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seit heute Nachmittag, 40 Jahre nach Morgensterns Iod, erinnert
eine Gedenktafel beim Eingang dieses Hauses daran, dass der
Schriftsteller Soma Morgenstern dort gelebt hat, wahrscheinlich
in einer der glücklichsten Perioden seines Lebens.

Anmerkungen

1 Soma Morgenstern: Die Blutsäule. Hans Deutsch Verlag, Wien-Stuttgart¬
Zürich 1964.

2 Der aus Hamburg stammende Ingolf Schulte.

3 Das Gesamtwerk Morgensterns wurde von Ingolf Schulte beim Lüneburger
Verlag Zu Klampen in elf Bänden 1994-2001 herausgegeben.

4 Immerhin gab es in Wien zwei Morgenstern-Veranstaltungen: 2001 eine
Lesung in der ÖGfL in der Herrengasse; 2005 hier in diesem Raum die Prä¬
sentation einer Biographie. Beide Veranstaltungen fanden unter Mitwirkung

Peter Roessler

von Wendelin Schmidt-Dengler statt, der sich besonders für das Werk Mor¬
gensterns einsetzte.

5 „Die Richter“, Übersetzung des Dramas „Seziowie“ (1907) von Stanislaw
Wvyspianski. Morgensterns Manuskript ist verschollen.

6 Dan Morgenstern hat heute Nachmittag die Gedenktafel für seinen Vater
enthüllt.

7 „Joseph Roths Flucht und Ende“, zu Klampen, Lüneburg 1994; „Alban
Berg und seine Idole“, zu Klampen, Lüneburg 1995.

8 Alle kursiv wiedergegebenen Zitate stammen aus Morgensterns publizierter
Gesamtausgabe.

9 In ungefährer Reihenfolge der Erwerbung: Ukrainisch, Jiddisch, Hebrä¬
isch, Polnisch, Deutsch, Latein, Französisch, Altgriechisch, Englisch und
wahrscheinlich auch ein wenig Ungarisch.

10 „Alt-Hietzing. In Memoriam Katharina Schratt“, in: Freies Österreich/
La Libre Autriche, Paris 1940.

11 „Sensationen einer Straße“, Frankfurter Zeitung, 27. Mai 1928.

12 Joachim Stutschewsky (1891 Ukraine — 1982 Tel Aviv).

Ein Werk im Exil

Dem Dramatiker Vaclav Havel wurde am Burgtheater wahrend
der Direktionszeit von Achim Benning (1976 bis 1986) besondere
Bedeutung beigemessen. Sieben Stücke des tschechischen Schrift¬
stellers kamen zur Aufführung, bis auf eine Ausnahme waren dies
alles Uraufführungen.! Obgleich Havel hierdurch erst zu einem in
Wien überaus beachteten Autor wurde, hatte diese seine Wiener
Wirksamkeit ihre Vorgeschichte: 1965 war am Volkstheater Das
Gartenfest, 1967 Die Benachrichtigung inszeniert worden und
1965 war der international erfolgreiche Autor — anlässlich der
Aufführung des Gartenfestes — gemeinsam mit Jan Grossmann, dem
Direktor des Theaters am Geländer, dessen „Hausautor“ Havel
war, in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur zu Gast
gewesen.? 1968 hatte Havel den Österreichischen Staatspreis für
Europäische Literatur erhalten, wobei die Verleihung allerdings
unauffällig durch den damaligen Botschafter Rudolf Kirschläger
in der Österreichischen Botschaft in Prag erfolgen musste, denn
Havel war - als Kritiker des Regimes und Vorsitzender des Clubs
unabhängiger Schriftsteller — bereits längst ins Visier der tsche¬
choslowakischen Behörden geraten.

Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings war Havels
Werk (ab 1969) mit einem Publikations- und Aufführungsverbot
belegt worden, das sich auf sämtliche Staaten des „Warschauer
Vertrags“ erstreckte und dazu führte, dass seine Texte dort nur
mehr im Untergrund Verbreitung fanden. Der in seiner Heimat
verbotene Autor wurde zum „Hausautor“? des Burgtheaters, der
seine eigenen Stücke nicht schen konnte, denn ihm wurde von den
Behörden der CSSR die Ausreise verunmöglicht. „Wir vermissen
heute Abend Vaclav Havel“, hieß es auf einem „Einlageblatt“
zum Programmheft, anlässlich der Uraufführung seiner Einakter
Audienz und Vernissage am Akademietheater im Oktober 1976.4
Beim Schlussapplaus wurde eine Tafel vom Schnürboden herunter¬
gelassen, auf der der Name Väclav Havel stand, eine symbolische
Präsenz des Autors und zugleich ein Verweis darauf, dass er nicht
nach Wien reisen hatte dürfen.

Auf dem vierseitigen „Einlageblatt“ wurden die offiziellen
Einladungen der Österreichischen Gesellschaft für Literatur,

der Direktion des Burgtheaters sowie des sozialdemokratischen
Bundesministers für Unterricht Fred Sinowatz an den Autor do¬
kumentiert und mit der Verweigerung der Ausreisebewilligung
durch den tschechoslowakischen Staat konfrontiert. Vor allem
aber waren hier — sowie im eigentlichen Programmheft - Stel¬
lungnahmen von Havel zu lesen, darunter ein Auszug aus seinem
„Offenen Brief‘ an den Generalsekretär der KPC und Präsidenten
der CSSR, Gustav Husäk, aus dem Jahr 1975. Havel kritisierte
darin die realen Verhältnisse der CSSR hinter der „vornehmel[n]
Fassade der großen humanistischen Ideale“ und beschrieb in die¬
sem Zusammenhang eine seiner Ansicht nach besonders wirksame
Form der Bedrohung, die er als „Existenzdruck“ bezeichnete.
Hierbei sei der „absolute Wert der Bedrohung [...] nie so wichtig
wie ihr relativer Wert“ und es ginge „nicht so schr darum, was
der Mensch objektiv verlieren kann“, sondern „darum, was für
eine subjektive Bedeutung es für ihn“ habe, „vom Standpunkt
seiner Welt und ihrer Wertskala.“°

In diesem Zeugnis seiner Kritik am Regime, das die Frage
nach dem Verhalten des Einzelnen unter repressiven Bedingun¬
gen einschließt, ist ein wesentliches Motiv erkennbar, das die

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Vaclav Havel und Achim Benning (v.I.n.r.) — in Havels
Wohnung, Prag 1986. Foto: Privat

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