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Nach all diesen Einschüchterungen befanden sich die österreichischen Freimaurer in großer Angst und vernichteten alle Dokumente ihrer Zugehörigkeit. Die SS hatte befürchtet, dass Großlogen anderer Länder Protestnoten in der Presse lancieren würden, doch einmal mehr hatte sie die „Macht“ der Loge überschätzt, denn es gab nur ein paar kleine Nachrufe auf das Ende der GLvW in freimaurerischen Publikationen in Prag und Paris. Im „Stürmer“ erschien in der Sondernummer „Österreich“ im September 1938 ein Foto des kurz davor verstorbenen Großmeisters Richard Schlesinger mit einem hämischen Kommentar. Den „Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich“ konnte die NS-Propaganda als großen Erfolg verkaufen, die ein Nachgeben im Inneren ermöglichte, so dass im Sinne der „Volksgemeinschaft“ eine „Führeramnestie“ für ehemalige Freimaurer ausgesprochen und am 27. April 1938 im Völkischen Beobachter veröffentlicht wurde. Doch diese neuen Bestimmungen blieben nur unklar formuliert, und letztendlich entschied ein NSDAP-Parteigericht über Aufnahmeanträge ehemaliger Freimaurer. Gänzlich davon ausgeschlossen blieben solche, die am Tag der „Machtergreifung“ noch Logenmitglieder waren. Ins Visier der Gestapo und in Haft kamen vor allem leitende Funktionäre wie Stuhlmeister und Großlogenbeamte sowie Angehörige von Hochgraden. Adolf Eichmann hatte im Übrigen seine „Karriere“ mit dem Erstellen einer Freimaurer-Kartei begonnen. Es gab jedoch keine orthodoxe Lehrmeinung des Nationalsozialismus über den Umgang mit ihren Mitgliedern, wie dies bei Juden und Kommunisten der Fall war. Auch galt es zu verleugnen, dass Persönlichkeiten der deutschen Geschichte wie etwa Friedrich I., der Große, Goethe und Mozart bekennende Freimaurer waren. Das Spektrum gegenüber der Freimaurerei reichte von fanatischer Verhetzung bis zu bloßer Geringschätzung. Es waren vor allem freischaffende NS-Autoren wie Friedrich Wichtl, Erich Ludendorff, Friedrich Hasselbacher und Gregor Schwartz-Bostunitsch, die mit übelsten Beschuldigungen arbeiteten, während die maßgeblichen Parteistellen längst die politische Harmlosigkeit der Freimaurerei erkannt hatten. Franz Alfred Six führte die wissenschaftliche Sichtweise der SS auf die Freimaurerei ein, frei von Dämonisierung findet sich bei ihm ein akademischer Stil mit Hinweis auf umfassende Quellenstudien in den erbeuteten Logenarchiven.’ Der hier erhobene Vorwurf gegen die Freimaurerei ist im Endeffekt nur, das sie politisch den Liberalismus gefördert habe und durch die Aufnahme von Juden in die Logen auch deren Integration in die Gesellschaft. Dies ist nicht falsch, aber im Rahmen der NS-Ideologie bereits ein Todesurteil. So heißt es in einer SS-Broschüre: „Nordisch ist das Weltbild des Nationalsozialismus, orientalisch-jüdisch das der Freimaurer, rassebewußt die nationalsozialistische Einstellung gegenüber der antirassischen, projiidischen des Logentums. [...] Der Nationalsozialismus setzt einen bedingungslosen vélkischen Nationalismus dem kosmopolitischen Internationalismus der Freimaurerei entgegen.“® Ihre politische Harmlosigkeit wurde erkannt, doch als Feindbild hatte sie sich gegenüber den Westmächten bewährt, schließlich war Roosevelt aktiver, Churchill ehemaliger Freimaurer. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs startete eine neue Hetzkampagne mit Ausstellungen in Frankreich und Spanien, wo Freimaurer einmal zu den Stützen der Republik gehört hatten. Das Propaganda-Schlagwort gegen den Osten lautete „jüdischbolschewistisch“, und gegen den Westen „jüdisch-freimaurerisch“. Gefahr für Leib und Leben ehemaliger Freimaurer bestand daher für Juden und politisch aktive Gegner des NS-Regimes. Die genaue Zahl der in NS-Konzentrationslagern ermordeten österreichischen Freimaurer lässt sich aufgrund von Namensgleichheiten nicht endgültig ermitteln, an die 100 Namen sind jedoch gesichert, darunter — pars pro toto — der Kabarettist Fritz Grünbaum, der Medizin-Professor Victor Hammerschlag (Vater des Kabarettisten Peter Hammerschlag), der Rechtsanwalt Otto Kreisky (Onkel von Bruno Kreisky), der Schriftsteller und sozialdemokratische Historiker Ludwig Brügel (Autor der fünfbändigen Parteigeschichte), der Konzertmeister der Wiener Staatsoper Julius Stwertka oder der Verlagsbuchhändler Josef Kende. Einigen wenigen ehemaligen Freimaurern gelang es, NSDAPMitglied zu werden und damit auch eine entsprechende Position in der Gesellschaft zu besetzen. Zu den Prominentesten gehörten der Schriftsteller Franz Karl Ginzkey und der Künstler Remigius Geyling. Weniger Glück hatte der Kärntner Heimatdichter Josef Friedrich Perkonig, der vom Gaugericht Kärnten abgelehnt wurde, weil er bereits eine hochrangige Funktion im Ständestaat inne hatte und darüber hinaus nicht nur Freimaurer, sondern auch Schlaraffe gewesen war. Einen speziellen Fall bildet Franz Papez, der 1943 in seinem Antrag auf Gnadenerlass zu Protokoll gab, er sei nur Mitglied der Loge „Zukunft“ geworden, um in den Besitz bestimmter Papiere zur Konferenz von Aachen zu kommen. Sein Sohn habe als „illegaler Nazi“ am Putsch gegen Bundeskanzler Dollfuß teilgenommen und sei dafür ins Gefängnis gegangen. Als Zeugen seiner Ausführungen führte Franz Papez 17 BlutordenTräger an. Weit komplexer ist wiederum der Fall des Schriftstellers Johann Ferch, der in den 1920er Jahren am linksradikalen Rand der Sozialdemokratie angesiedelt war und sich große Verdienste im Rahmen der volksbildnerischen Aufklärung über Schwangerschaft und Fristenlösung erworben hatte. Er biederte sich 1938 massiv an die neuen Machthaber an, hatte vorerst aber noch Publikationsverbot. 1943 erschien mit Der Herrgott von Wien ein hymnischer Roman auf Karl Lueger, 1945 fand sich Ferch wieder im Kreis der Freimaurer ein. Da er niemals Parteimitglied gewesen war, nahm niemand daran Anstoß. Ebenso verhielt es sich mit Josef Friedrich Perkonig — Remigius Geyling hingegen wurde wie auch anderen die Wiederaufnahme verwehrt. Als größter Opportunist erwies sich der Philosoph Kurt Reichl, er war schon im jugendlichen Alter von 23 Jahren aufgenommen worden und entwickelte sich aufgrund seines scharfen Intellekts zu einer Art Shooting Star. 1925 begann er einen Briefwechsel mit dem Jesuitenparter Hermann Gruber, der damals größten katholischen Kapazität in Sachen Freimaurerei, wovon man sich einen Ausgleich mit der Kirche erhoffte. Die Bemühungen scheiterten, Reichl wurde 1932 wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten aus der Loge ausgeschlossen. Danach verdingte er sich als FreimaurerSpezialist für die Presseorgane des „Ständestaats“, wodurch die SS auf ihn aufmerksam wurde und ihn im Juli 1935 als Informanten verpflichtete. Zwar pokerte Reichl um eine fixe Anstellung, doch bezüglich seines Austritts aus der Loge hatte er seine Vorgesetzten belogen. Das wurde im März 1938 nach Einsichtnahme in das Archiv der GLvW entdeckt, was zu Reichls sofortiger Verhaftung führte. Um 1940 wurde er jedoch reaktiviert und in der Deutschen Gesandtschaft in Paris eingesetzt, wo er den französischen Klerus im Sinne der NS-Kirchenpolitik beeinflussen sollte. Nach Österreich zurückgekehrt, entging auch er der Nachkriegsjustiz, da er niemals NSDAP-Mitglied war und seine geheimdienstliche Tätigkeit nicht nachweisbar war. Nur sehr wenige Freimaurer sind den schweren Weg des Widerstands gegen das NS-Regime gegangen. Dies lag vor allem daran, dass die Juden unter ihnen vertrieben oder ermordet wurden, und Oktober 2017 31