Eine Mannschaft von vierzehn Freimaurern und anderen „uner¬
wünschten Elementen“ wurde dort stationiert, um die anonymen
Gräber für die Opfer auszuheben. Viele von ihnen wurden später
selbst erschossen. [...] Im Morgengrauen wurden die Gefangenen
herausgeholt und erschossen [...]. Dann kamen die Totengräber und
verscharrten sie, wo sie lagen. Nicht selten stellten sie dabei zu ihrem
Entsetzen fest, daß sie die Leiche eines Freundes oder Verwandten
vor sich hatten.
Ian Gibson tiber Federico Garcia Lorca.
Die beschriebenen Hinrichtungen durch die „Schwarze Schwa¬
dron“ fanden im Sommer 1936 in Viznar, in der Umgebung
von Granada, im Areal eines ehemaligen Sommercamps für
SchülerInnen statt. Am 19. August begruben die Totengräber
außer dem Volksschullehrer Diöscoro Galindo Gonzales und
zwei anarchistischen Widerstands-Aktivisten aus Granada auch
Federico Garcia Lorca. Ian Gibson konnte in seiner Lorca-Biografie
darüber berichten, weil er 1965 in Granada Interviews mit Zeu¬
gen und Zeuginnen führte, darunter mit dem Totengräber und
Freimaurer Don Antonio Mendoza de la Fuente, Meister vom
Stuhl, also Leiter der Loge „Riveras del Genil y Ganivet“ im
Orient von Granada. Er wurde nicht — wie die meisten anderen
Mitglieder seiner Loge — erschossen, weil ihn ein befreundeter
Offizier retten konnte. All dies wusste ich noch nicht, als ich das
erste Mal Ian Gibsons 750 Seiten starke Lorca-Biografie las. Die
Erwähnung der Iotengräber von Granada brachte mir jedenfalls
auf eindrückliche Weise das Schicksal der Freimaurer in Francos
Spanien nahe.
Am 17. Juli 1936 begannen Teile der spanischen Armee gegen
die Regierung der jungen Republik zu putschen. Die katholische
Kirche, die Monarchisten und Faschisten unterstützten den Putsch.
Die Regierung war seit einigen Monaten im Amt und wurde im
Cortes, im Parlament, von den Abgeordneten der linksliberalen
und linken Parteien, die im Frühjahr 1936 die Wahlen dank eines
Volksfrontbündnisses gewonnen hatten, gestützt. Die Volksfron¬
tregierung verfolgte neben einer strengen Trennung von Kirche
und Staat soziale Reformen, ganz auf Kosten der alten Eliten,
z.B. der Großgrundbesitzer und der Kirche. Die putschenden
Militärs unter der Führung der Generäle Francisco Franco und
Emilio Mola wollten einen schnellen Coup landen. Aus diesem
Coup resultierte jedoch ein dreijähriger Bürgerkrieg, welcher
vielen hunderttausenden Menschen das Leben kostete.
In diesen drei Jahren starben mehr Menschen durch den Terror
der Putschisten als durch die Kampfhandlungen. In manchen
Städten wurden gleich nach der Eroberung 1936, innerhalb we¬
niger Tage und ohne Gerichtsverhandlung, all jene hingerichtet,
denen man ein Naheverhältnis zur Republik nachsagte. Bür¬
germeister, Gewerkschaftsfunktionäre, regierungstreue Beamte,
Militärs, Polizisten, Intellektuelle, einfache Parteimitglieder einer
republikanischen oder linken Partei, Arbeiter, tatsächliche oder
mutmaßliche Freimaurer wurden an die Wand gestellt oder nach
brutaler Folter mit Messern abgeschlachtet. In den ersten Tagen,
als vielen Betroffenen das Ausmaß ihrer geplanten Auslöschung
noch nicht bewusst war, stieg die Zahl der Hinrichtungen in
vielen eroberten Gemeinde auf bis zu mehreren Tausend. Sevilla
z.B., die Hauptstadt Andalusiens, wurde am 18. Juli von den
Rebellen angegriffen. Diese, bestehend aus spanischen Militärs,
Falangisten, Mitgliedern der spanischen Fremdenlegion und ma¬
rokkanischen Soldaten, ermordeten im Arbeiterviertel bis zum
25. Juli ohne Unterbrechung Kinder, Frauen, Männer. Arbeiter
und teilweise die Polizei leisteten erbitterten Widerstand gegen
die Militärs, doch fehlte es den überrumpelten Verteidigern der
Republik an Waffen. Bis zum Jänner 1937 betrug die Zahl der
Hingerichteten in Sevilla und Umgebung (damals ca. 25.000
Einwohner) 8.000 Menschen. General Franco, der Anführer der
Putschisten, hegte nachweislich einen besonderen Hass gegen die
Freimaurer. In seinen Augen waren diese mit den Kommunisten
und Juden Schuld am Niedergang des alten, ehrwürdigen, katho¬
lischen Spaniens. Somit standen die Freimaurer ganz oben auf
der Todesliste der Hinrichtungskommandos. In Sevilla kamen in
diesen Julitagen 200 Freimaurer ums Leben. Die Logen der Stadt,
ob die „Isis und Osiris“ oder der „Fe de Sevilla“, waren seit vielen
Jahren politisch schr aktiv und setzen sich offen für die Republik
ein, viele ihrer Mitglieder gehörten der Regierungspartei „Partido
Socialista Obrero Espanol“ (Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens)
an. Das wohl prominenteste Mitglied einer Loge aus Sevilla war
kein Sozialist, sondern der linksliberale Politiker Diego Martinez
Barrio. Dieser war in den Julitagen kurzfristig Regierungschef
und hatte den Auftrag, mit General Mola zu verhandeln. Er sollte
erst später erfahren, dass in den Tagen, da er versuchte Frieden zu
stiften, fast alle seine Freimaurer-Brüder, die er aus Sevilla kannte,
erschossen wurden.
Nach zweieinhalb Jahren Krieg fällt Barcelona am 26. Jänner 1939
in die Hände der Faschisten. Die Stadt ist eine der letzten bedeuten¬
den Bastionen der Republik und des Widerstandes. Viele Archive
jener Institutionen, die das Schlimmste von den Putschisten zu
befürchten hatten, waren aus ganz Spanien in die katalanische
Hauptstadt gebracht worden. Sie sollten nach Frankreich gerettet
werden, wohin im Laufe der letzten Monate schon fast 500.000
Spanier geflüchtet waren. Doch keines der Archive schaffte es ins
Nachbarland, und so fielen auch jene der spanischen Großlogen
in die Hände von Francos Geheimpolizei. Die Unterlagen wurden
nach Salamanca gebracht, wo Franco während des Krieges sein
Hauptquartier hatte. Sie wurden von spanischen Beamten und der
deutschen Gestapo — Nazideutschland und Italien unterstützen
Franco maßgeblich militärisch und logistisch — unter der Leitung
des katholischen Priesters Juan Tusquets Terrats ausgewertet. Die