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und konnte sich ausschließlich der Musik widmen. Auch seine jüdische Abstammung erhielt für ihn neue Bedeutung. Er komponierte jiddische Lieder und hebräische Chorwerke. Ebenso Klaviersonaten, Streichquartette und Symphonien. Manche von ihnen, wie die 6. Klaviersonate op. 49, wurden von der Pianistin Edith Kraus im Lager uraufgeführt.” In den 25 Monaten seines Aufenthaltes entstanden über zwei Dutzend Werke.” Die Themen bewegten sich zwischen Abschied und Untergang, Liebe und Tod, dem Jahres- und Lebenskreis. Es ist, als hätte er erahnt, dass seine Lebenszeit nur mehr begrenzt war, und er ein musikalisches Vermächtnis hinerlassen wollte. Sicher bot ihm sein Schaffensdrang die Konzentration auf das Werk und ermöglichte ihm die Errichtung eines psychischen Schutzraumes. In ihm fand er Halt und Richtung. Mit seinen berühmten musikalischen Mithäftlingen, dem Komponisten Pavel Haas, dem Dirigenten Karel Anéerl oder dem Pianisten Bernhard Kaff, traf er sich oft bei den Holzplatten, die für den Bau von Baracken bestimmt waren, zum gemeinsamen Gedankensautausch. Der stets heftig diskutierende Männerbund nannte sich die „Plattenbrüder“. Trotz des vielfältigen Engagements von Viktor Ullmann verlief die Kooperation mit der „Jüdischen Selbstverwaltung“ und ihrer Musiksektion durchaus nicht friktionsfrei, wie sein Brief an die Lagerverwaltung 1943 dokumentiert: „Man tötet unseren Aktivismus durch — Iotschweigen.“ Und weiter heißt es: Wir Künstler hören so viel von jüdischer Kultur, daß wir erwartet haben, daß die im Ghetto geschaffenen Werke ihrer Bestimmung zugeführt werden. (...) Der Weg meiner Werke nach Genf, London, New York u.s.w. war kürzer als der von der Genie- zur Magdeburgkaserne.** Letztere war der Sitz der Lagerorganisation. Ihre überdimensionale Bürokratie verwaltete durch strenge Hierarchie die Zwangsgemeinschaft. Zimmer-, Gruppen- Gebäude- oder Bezirksälteste fungierten als Ordnungshüter und Informationsquelle für den „Ältestenrat“. Er und sein Vorsitzender - der „Judenälteste“ - besaßen zwar einen gewissen Entscheidungsspielraum, unterstanden aber den Direktiven einer zahlenmäßig kleinen SS-Führung. Das Leid, das die „Jüdische Selbstverwaltung“ zu verursachen schien, geschah auf Anordnung der sich im Hintergrund haltenden SS. Da die obersten jüdischen Entscheidungsorgane als Vertretungsbehörde der Inhaftierten fungierten und daher von diesen als verantwortlich wahrgenommen wurden, galten sie oft als suspekt, vor allem wenn sie der Korruption oder Bestechung erlagen. Die mit Sonderprivilegien Ausgestatteten bildeten somit eine eigene Lageraristokratie, die sogar Maskenbälle veranstaltete.” Die Inhaftierten und auch die Kunstschaffenden bildeten keineswegs eine homogene Gemeinschaft. Nationale Konflikte zwischen der tschechischen, deutschen, ungarischen oder dänischen Gruppe waren ebenso auf der Tagesordnung wie politische, soziale oder konfessionelle Gegensätze. Konflikte waren allgegenwärtig, ebenso die Angst, auf die Deportationsliste zu gelangen und auf Transport geschickt zu werden. Eine permanente Mobilität der Häftlinge zwischen Ankunft und Abfahrt zerstörte die ohnehin fragilen Solidargemeinschaften. Die Lebensverhältnisse in Terezin blieben physisch und psychisch eine Tortur. Viktor Ullmanns in Theresienstadt komponierte Oper Der Kaiser von Atlantis oder die Tod-Verweigerung, ein einaktiges Spiel in vier Bildern, beruhte unter diesen Rahmenbedingungen auf einem Kraftakt. Sie kann als sein musikalisches Meisterstück verstanden werden. Durch Papiermangel wurde das Libretto auf ausgemusterten Namenskarteiblättern geschrieben. Sie waren überflüssig geworden, da die darauf beschriebenen Personen bereits verstorben oder nach dem Osten in den Tod transportiert worden waren — ein makaberes Beispiel, das die unmenschliche Lagerrealität und die zermürbenden Bedingungen eines musikalischen Schaffens widerspiegelt.“ Auf einer Abschrift des Librettos erscheint der Name eines Mitgefangenen, des Malers und Dichters Peter Kien. Seine Autorschaft ist jedoch nicht gesichert, Ullmanns Mitwirkung erscheint plausibel. Als Soldat in den Schiitzengraben des Ersten Weltkrieges traumatisiert, beschaftigte sich Ullmann bereits in der Zwischenkriegszeit mit dem Widerstand gegen diktatorische Regime. Die Grundlage für seine erste Oper Der Sturz des Antichrist bezog er von dem gleichnamigen Werk des Anthroposophen Albert Steffen. Auch der Inhalt seiner Theresienstädter Oper kann als Parabel auftotalitäre Systeme gelesen werden, zitiert jedoch gleichzeitig Inhalte aus der Anthroposophie. Legt man eine weitere Folie über das Werk, nämlich jene der „Königlichen Kunst“, so entsteht darüber hinaus ein komplexes metaphorisches Gebäude und eine tiefgründige Aussage für nachfolgende Generationen. Zum Inhalt Als der Kaiser von Atlantis eine Willkürherrschaft errichtet und dem Tod die Niederstreckung des Feindes befiehlt, verweigert dieser die Arbeit. Da nun niemand mehr stirbt, versinkt das Land im Chaos. So fleht der Kaiser den Sensenmann an, seine Arbeit wieder aufzunehmen. Schließlich willigt dieser ein, fordert jedoch als erstes Opfer das Leben des Tyrannen. Im letzten Bild kommt es zu einer „Spiegelszene“, die diesbezüglich als Schlüssel interpretiert werden kann. Der Kaiser sicht in einen lange verhangenen Spiegel und erblickt in ihm als sein Ebenbild den Tod, der zu ihm spricht: Ich bin der Gärtner Tod, der Gärtner Tod und säe Schlaf in schmerzgepflügte Spuren. Ich bin der Tod, der Gärtner Tod und jäte welkes Unkraut müder Kreaturen. Ich bin der Tod, der Gärtner Tod und mähe reifes Korn des Leidens auf den Fluren. Bin der, der von der Pest befreit, und nicht die Pest. Bin der, der Erlösung bringt von Leid, nicht der Euch leiden läßt. Ich bin das wohlig warme Nest, wohin das angstgehetzte Leben flieht. Ich bin das größte Freiheitsfest. Ich bin das letzte Schlummerlied. Still ist und friedvoll mein gastlich Haus! Kommt, ruhet aus!" Der Kaisers willigt in den Vorschlag des Todes ein, und in der Abschiedsarie führt ihn der Tod sanft durch den Spiegel ab, während der Schlusschoral ertönt: Komm, Tod, du unser werter Gast, in unseres Herzens Kammer. Nimm von uns Lebens Leid und Last, führ uns zur Rast nach Schmerz und Jammer. Lehr uns Lebens Lust und Not in unsern Brüdern ehren. Lehr uns das heiligste Gebot: Du sollst den großen Namen Tod Nicht eitel beschwören?” In dieser Oper erhält die Forderung nach Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und die Verweigerung des Gehorsams gegen den Diktator eine besondere Bedeutung. Die Liebe wird zum Oktober 2017 53