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flüchtiger Zug nach dem Orient“ (1999) nicht noch ein Sisi-Film ist. Ruth Beckermann begibt sich auf die Spuren Kaiserin Elisabeths in Ägypten, wo die rastlose Reisende allerdings keine Spuren hinterließ. Zu sehen sind Impressionen der Gegenwart und historische Aufnahmen aus dem Nachlass der Kaisergemahlin. Beckermann stellt Fragen, was mag Elisabeth auf ihren Reisen gesucht haben, was hat sie möglicherweise (nicht) gefunden. Fragen sind zentrale Elemente in Ruth Beckermanns Dokumentarfilmen, in denen es nicht darum geht, vorgefertigte Thesen zu vermitteln, sondern um Hinhören, Hinschauen, ums Offensein dafür, was einem in einem Geschehen, in Gesprächen, im Sich-Bewegen oder im An-einem-Ort-Verharren begegnet. Ruth Beckermanns nächster Film, der frühestens im Herbst dieses Jahres fertiggestellt sein wird, ist ein „Kompilationsfilm über Waldheim und die Kunst des Verleugnens“. Das Material dieses „Postproduktionsfilms“, wie Beckermann das Projekt nennt, besteht aus Nachrichtensendungen aus den Jahren 1986 bis 1988. „Dreißig Jahre später stellen sich viele Fragen: Wie kam es, dass der Wahlkampf Kurt Waldheims zu einem internationalen Skandal wurde? Wie wirkt dieser historische Moment weiter, als die Lüge von ‚Österreich als erstem Opfer‘ in sich zusammenfiel (...). Warum wurde ein Nixon zum Rücktritt gezwungen, während in Österreich so gut wie nie jemand abtritt? (...) Und wie manifestiert sich der österreichische, von Neid und Ressentiment geprägte Antisemitismus (...)“, schreibt Beckermann in ihren „Notizen aus dem Schneideraum‘“, die in Band 29 der FilmmuseumSynemaPublikationen zu lesen sind. Das von Alexander Horwath und Michael Omasta herausgegebene Buch umfasst großteils Originalbeiträge, in denen sich die AutorInnen mit den Filmen Beckermanns auseinandersetzen oder sich auch an gemeinsames Arbeiten erinnern. Die Texte stammen von Christof Ransmayr, Christa Blümlinger, Bert Rebhandl, Christina Nord, Olga Neuwirth, Georg Stefan Troller, Armin Thurnher, Jean Perret, Ina Hartwig und Alice Leroy. Dazu kommen Ausziige aus Ruth Beckermanns Drehtagebiichern und Exposées und ein Interview, das die Herausgeber mit der Filmemacherin führten. Eine kommentierte Filmografie sowie eine Liste ihrer weiteren künsderischen und publizistischen Werke ergänzen den Band, der auch (denn gerade in einem Filmbuch sollten Bilder nicht fehlen) zahlreiche Fotos von Filmstlls bis zu privaten Fotografien enthält. Jenny Legenstein Alexander Horwath, Michael Omasta (Hg.): Ruth Beckermann. Wien: SYNEMA-Publikationen 2017. 192 S. € 20,- (Band 29 der FilmmuseumSynemaPublikationen). Wer weiß, vielleicht ist Gerschon Schoffmann auch deshalb für die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen in Wetzelsdorf gelandet, weil sein Vorbild oder gar Idol Peter Altenberg in den 1880er Jahren eine Zeit lang in Graz erfolglos Jus studiert hatte. Jedenfalls lebte Schoffman ab Anfang der 1920er Jahre im Grazer Vorort Wetzelsdorf, der 1938, als Schoffmann - inzwischen mit Frau und zwei Kindern — nach Palästina flüchten musste und konnte, in die steirische Landeshauptstadt eingemeindet wurde. In die Steiermark gelangt, hatte der junge Schriftsteller bereits eine bemerkenswerte Flüchtlingsodyssee hinter sich. 1880 im Zarenreich in einer Kleinstadt östlich von Minsk geboren, begann er schon als Jugendlicher zu schreiben, anfangs noch russisch, bald aber, sowohl in Opposition zum erstarkenden Antisemitismus, als auch durch seine starke religiöse Bindung und beeinflusst durch die wachsende jüdische Nationalbewegung, in hebräischer Sprache. 1904 aus der zaristischen Armee desertiert, flüchtete er ins Habsburgerreich nach Lemberg und wurde dort rasch zu einer beachteten Figur der hebräischen Literatur. 1913 kommt er nach Wien. Er hält sich mit Ach und Krach über Wasser, findet keinen rechten Anschluss und übersiedelt schließlich 1921 nach einem kurzen Intermezzo in Baden, wo er seine (katholische) Frau heiratet (die Verwandte in der Steiermark hatte), in den genannten Grazer Vorort. Fast ein Jahrhundert später erscheint nun erstmals just in Graz eine Auswahl seiner Geschichten in deutscher Sprache — kreisend hauptsächlich um die Zeit zwischen 1914 und 1938. Herausgeber des Bandes ist der Leiter des Centrums für jüdische Studien an der Universität Graz, Gerald Lamprecht, der diese Werkauswahl 74 2WISCHENWELT in der Übersetzung einer der renommiertesten Übersetzerinnen aus dem Hebräischen, der Deutsch-Israelin Ruth Achlama, präsentieren kann (unter anderem Übersetzerin von Omos Oz, Meir Shalev und vielen anderen). Sie schafft es, Schoffmanns Sprache auch dort, wo sie hundert Jahre alt ist oder Dinge beschreibt, die von heute aus gesehen mehr als hundert Jahre zurückliegen, der Zeit gemäß, aber nicht antiquiert erscheinen zu lassen und kommt zugleich ohne alle Modernismen aus. Die im vorliegenden Band versammelten 99 Texte werden allesamt „Erzählungen“ genannt und sind bis auf eine Ausnahme maximal einige Seiten, manchmal nur eine knappe Seite lang. Sie folgen keinem bestimmten Muster. Manchmal sind es philosophische Betrachtungen, ausgehend von Sinneseindrücken oder Beobachtungen, dann wieder essayistische Thesen über die menschliche Natur, Berichte über das Leben in der Fremde, das beherrschende Thema Antisemitismus zwischen Russland und der Steiermark, zwischen Metropole und Provinz, zwischen Stadt und Dorf. In einem ersten Abschnitt finden sich einige Texte, die den vergangenen Ersten Weltkrieg zum Thema haben. Aber nicht politisch, sondern höchstens mit einem Anflug von Pazifismus. Zum Beispiel mit folgendem Beginn: „Die große Sense, die über die Männer geschwungen wurde, tut getreulich das ihre. Häufig trifft das Auge auf rostende Metallfüße, leere Ärmel, knochige Gesichter, wie aus dem Erdboden ausgegraben. Das Tapferkeitskreuz auf der kaputten, mageren Brust wirkt wie ein Grabkreuz.“ Aber Schoffmann schrieb beispielsweise auch — auf knapp sieben Seiten — eine gut komponierte, trocken erzählte DreiecksLiebesgeschichte mit dem Titel „Der Kaiser“, die den gesamten Verlauf des Krieges einfängt und in der dieser Kaiser lediglich als Zitat in der Hymne und schließlich als Parole „Nieder mit dem Kaiser!“ vorkommt. — Grandios! Gerschon Schoffmann wurde in Österreich nie heimisch. Das belegt der Herausgeber Lamprecht im informativen Nachwort schon allein durch den Hinweis, dass sich zwischen 1913 und 1920 dreizehn Wohnungswechsel feststellen lassen, und Schoffmann nach dem Kurzaufenthalt in Baden mit seiner Familie in Wetzelsdorf an vier weiteren unterschiedlichen Adressen wohnte. Darüber hinaus war seine finanzielle Lage immer prekär, trotz Unterstützung durch das Verlagshaus Stiebel in Palästina sowohl für eigene Schriften, als auch für Übersetzungen von Tschechow und Altenberg ins Hebräische. Und zudem kam offenbar nie ein engerer Kontakt mit der jüdischen Gemeinde in Graz zustande, obwohl die beiden Kinder schließlich die jüdische Schule in Graz besuchten. Die Familie blieb im damals fast durchwegs noch bäuerlichen Wetzelsdorf weitgehend isoliert, nicht selten auch angefeindet. Apropos bäuerlich: Wo kann man in derart komprimierter Drastik Blicke auf das ländliche Leben am Rande dieser Landeshauptstadt werfen wie mit Schoffmann? — Da holt der Dorfbiirgermeister in aller Früh, wenn die Starenmutter ausgeflogen ist, die frisch geschlüpften Jungen aus dem Nest, „schneidet ihnen die Köpfe ab und kocht ‚Gulasch‘ daraus“; und „die übrigen Bauern sind nicht besser. Etwa der reiche Bauer Schwarz und sein junger Sohn mit ihren abscheulichen Nasen. Wie schinden sie beide ihren alten, mageren Knecht“; und: „Wehe Susi, wenn sie da irgendetwas nicht richtig machte [...]. Susi ist schon neunzehn Jahre alt. Arbeitet hier seit ihrem zehnten Lebensjahr.“ Und: „An den Fenstern torkeln nachts die Betrunkenen