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Bis zur Aufdringlichkeit hämmert Fried in diesem Wortspiel (sich und seinen Hörern) das dominierende Problem des Exils ein. Einer der wenigen erhaltenen Vorträge von Fried (datiert 1957, ein Jahr vor seinem Tod) ist betitelt „Goethes Vorausahnung und seelentreue Schilderung des Emigrantentums“. Er deckt erst im Verlauf des Vortrags auf, dass es sich um das Drama „Iphigenie auf Tauris“ handelt. (Werkverzeichnis 26): Ein junges Mädchen, ein halbes Kind noch, wird durch die Kriegswirren der Zeit gewaltsam von seinen Eltern getrennt. Auf die merkwürdigste, ... Weise, wie Tausende von uns sie in den letzten 25 Jahren an zahllosen Einzelbeispielen gelernt haben, gelangt die junge Dame in ein überseeisches Land. Es ist nicht das Land, das sie in ihrem Herzen ... bewahrt hat ... Hier beginnen die ewigen und anscheinend in allen Zeiten unveränderlichen unabwendbaren Auswandererprobleme, die Goethe vorahnend ... geschildert hat, mit Worten, die früher oder später aus den unergründlichen Tiefen der Seele jedes Einwanderers hervorbrechen ... Nur in einem Vers offenbart Fried seine Bedrückung über die Tatsache, dass es ihm nicht gelungen ist, seine Mutter zu retten: Fremd geworden Man sagt mir, dass die alten Städte aus Schutt und Moder neu entstehen... Doch wo blieb meiner Mutter Bette, und wohin kann ich selber gehen? (Werkverzeichnis 27) Von anderen Exilierten, so zum Beispiel von Hugo Wiener”, ist bekannt, dass er ein Leben lang darunter litt, dass seine in Wien zurückgebliebenen Angehörigen ermordet wurden. Nur seiner Ehefrau Cissy Kraner konnte er sich anvertrauen. Seine Handlungsmöglichkeiten von Venezuela aus waren äußerst gering. Carl Fried bleibt interessiert an seiner alten Heimat, er erlebt — im Traum — erneute Begegnungen mit altvertrauten Orten und Bildern. Er empfindet bei solchen nur in seiner Phantasie ablaufenden Reisen in die alte Heimat eine merkwürdig geschärfte Wahrnehmung: Fahrt in den Morgen die Saat schien niemals noch wie heut so grün, nie war so märchenstill der dunkle Wald, die Flüsse fließen sanft, doch voll Gewalı, die Ackererde lockt mich hinzuknien. Ich aber sche heute mancherlei, was immer war, was ich doch neu entdecke. (Werkverzeichnis 30) Das folgende Gedicht datiert Fried auf den Oktober 1956. Es stimmt mit anderen Daten einer (realen) letzten Reise nach Europa überein. Seine Erlebnisse sind oft bedrückend, aber auch erhebend. Als ich durch deutsche Städte schritt, da waren sie nicht mehr wie eh, über die Fronten der Häuser glitt erschrockener Blick — und tat weh. Ich schritt: ein Fremdgewordener schritt und aß ein bitteres Brot: nicht vermisst zu werden. — Und wieder litt ich verlorener Liebe Tod... (Werkverzeichnis 29) 28 _ ZWISCHENWELT Trotz aller Schrecknisse gibt es für Fried unzerstörbare Bindungen zum europäischen Kulturraum. Der Begriff von „Heimat“ ist frei von der missbräuchlichen Verwendung in der Nazizeit. „Heimat“ hat bei Fried eine fast transzendentale Dimension im Sinne eines tröstlichen Aufgehobenseins. Die folgenden Zeilen spannen einen weiten Bogen über Flucht, Exil in Brasilien und eine ambivalente Auseinandersetzung mit seiner alten Heimat: Und wie sies auch getrieben, was sie mir auch getan: welch Glück, dass ich Euch lieben, dich, Land, umfangen kann. Nun liegt das Heu in Schwaden, soweit das Auge reicht: mein Wagen ist geladen, mein Herz ist schwer und - leicht. (Werkverzeichnis 30) Frieds eigener Weg, das Exil zu bewältigen Kompromisse waren nötig, um sich innerhalb der deutschen Gemeinde zu behaupten, um in einer deutschen Sprachgemeinschaft verbleiben zu dürfen. Furtado-Kestler formuliert es so: Die drei Dichter Fried, Bresslau-Hoff und Benton waren jüdischer Herkunft und mussten, um sich überhaupt literarisch zu profilieren, Aufnahme bei den anfänglich nazi-begeisterten Deutschbrasilianern® suchen. Sie hatten höchstwahrscheinlich keine andere Alternative. Es wirkt unverständlich, aber die Tendenz, die deutsche Vergangenheit zu beschönigen, bestand auch noch in den Jahren nach 1945 weiter. Selbst im Nachwort von B.A. Aust im Büchlein von 1954 findet sich kein Wort über Unrecht und Vertreibung. Er meidet es, die Verursacher zu benennen, er vermerkt allenfalls die Tatsache, „dass sich Menschen - oft unter tragischen Umständen - in das tropische, sprachlich und kulturell völlig andere Klima Brasiliens verpflanzt sahen.“ Ebenso vermeidet der Nachruf in der „Bamberger Zeitung“ von 1958 die Worte „Vertreibung“ und „Exil“. Erwin Oesterreicher formuliert 1987: . in diesem Artikel, wie übrigens in allen von mir durchgesehen Artikeln zur deutschen Literatur in Brasilien, gibt es nirgendwo einen Hinweis darauf, dass die oben dargestellten Autoren Exilautoren seien. Überhaupt wird nie von Exil und Vertreibung gesprochen. Es ist nur von den „ereignisreichen Jahren nach 1933“ die Rede. Carl Fried nennt zwar die Nazis „geistlose Barbaren“, aber er deutet das ihm persönlich und seiner Familie angetane Unrecht nur an. Er will die Nationalsozialisten gar nicht durch seine Aufmerksamkeit aufwerten; es widerstrebt ihm, deren Verbrechen erneut schmerzhaft ins Bewusstsein zu bringen. Andere Exilanten trafen andere Entscheidungen: Susanne Bach zum Beispiel war entschlossen, auf jeglichen Umgang mit nicht klar antifaschistischen Mitmenschen?” zu verzichten. Das vielleicht markanteste Beispiel für konsequentes politisches Engagement bietet Bertolt Brecht. Die brasilianischen antifaschistischen Gruppen gewannen für den Widerstand keine Bedeutung, obwohl der bereits genannte Übersetzer und Regisseur Willi Keller” von der „Notgemeinschaft deutscher Antifaschisten“” unermüdlich für eine Politisierung der Masse der Fxilierten plädierte: Der vom Glück begünstigte Emigrant, der nicht in Nazi-Europa leben muss, nimmt alle Vorteile, die ihm die demokratischen