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Trude Waehner Der Wind des Volkes Mit dieser wenige Jahre vor ihrem Tod geschriebenen Selbstdarstellung Trude Waehners schließt ZW an den Aufsatz von Sabine PlakolmForsthuber in ZW Nr. 3/2017, 5. 12-16 an. Die Abbildungen in jenem und auch in diesem Heft geben Einblick in das holzschneiderische Werk Trude Waehners, wozu uns Josef Szekely, der Sohn der Künstlerin, schrieb: „In ihren späteren Lebensjahren hatte die Künstlerin auch ein Atelier in Venedig, wo, aber auch in ihrem Wiener Atelier, ein umfangreiches Holzschnittwerk entstand. Der Sohn der Künstlerin hatte Gelegenheit dort die kleinen, fleiffigen Hände der Künstlerin zu beobachten, die, oft bis spät in die Nacht, mit dieser schweren Schnitzarbeit beschäftigt waren. “Josef Szekely danken wir für die Übersetzung des vorliegenden Textes aus dem Italienischen und auch für die freundliche Gehmigung der Abbildungen. Ich bin in Wien geboren. Mütterlicherseits war mein Großvater französischer Herkunft, meine Großmutter slawischer. Mein Vater war Mathematiker, aber von einem lebendigen Interesse für alle Künste beseelt. Er war einer der wichtigsten Proponenten der Wiener Secession. Unser Haus, gebaut vom Architekten Josef Urban (der später auch der Architekt des New School Building in New York werden sollte) und eingerichtet von Heinrich Löffler und Kolo Moser, wurde immer von einer großen Zahl von Malern, Bildhauern und Musikern besucht, unter ihnen Alban Berg; zu meinen Kindheitserinnerungen gehört ein Abend, an dem bei uns zu Hause die Annahme seines Werkes „Wozzeck“ durch die Oper gefeiert wurde. Ich besuchte das Lyzeum und gleichzeitig belegte ich Kurse an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt. Anschließend schrieb ich mich an der Akademie für Angewandte Kunst und an der Musikakademice ein. Die Erfahrung des Ersten Weltkriegs und der Verlust der mir am Nächsten stehenden Personen bewogen mich bereits in meiner Kindheit entschieden dazu, auf einfache Lösungen zu verzichten. Alles, was das Leben verbessern konnte, und alles, was Kriege verhindern konnte, wurde äußerst wichtig für mich. Es war gerade dieses Streben nach einem für alle leichteren Leben, das mich auf die schwierigen Wege führte. Es war diese Gerichtetheit, die mich in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg mit der „Jugendbewegung“ und dem Sozialismus verband. Ich war noch ein Kind, doch war ich für Probleme philosophischer Art bereits empfänglich; ich begann, mich für die Ideen von George Grosz und der surrealistischen Bewegungen, des Dada und der Abstrakten zu interessieren; diese Studien wurden durch eine Reise meiner Familie in die Schweiz und nach Frankreich kräftig angeregt. George Grosz, Paul Klee und André Breton hatten in der Schweiz das „Cabaret Voltaire“ gegründet, mit dem sie mitten im Krieg kriegsgegnerische Ideen verbreiteten. Sie hatten gedacht, ihre Ideen durch radikale Zerstörung aller Formen traditioneller Kunst durchsetzen zu können. Die Ideen dieser Gruppe fanden ihre Fortführung im Nachkriegsdeutschland im Bauhaus, zumindest was die Form betrifft. Also ging ich zum Bauhaus nach Dessau, und bald nahm ich an der „Wandmalerei“ teil, studierte in der „Meisterklasse“ Paul Klees. Doch zugleich erschütterten mich die politischen Ereignisse in Italien und veranlassten mich zu ersten Zeichnungen mit politischer Tendenz. In Berlin kam ich mit dem Architekten Josef Frank in Kontakt, mit dem mich später in Wien, Schweden, Frankreich und Amerika viele Jahre eine enge Freundschaft verband. Meine immer größer werdende Abneigung gegen jede Form der Metaphysik und gegen jeden Anspruch auf Absolutes entfernte mich nach und nach vom Bauhaus. Denn was ich nach dem Ersten Weltkrieg suchte, war ein authentisch neuer Lebensinhalt, in den die Kunst ihre Wurzeln schlagen sollte. Da mir dies immer einsichtiger wurde, nicht nur verstandesmäßig, sondern auch in meinem Fühlen, namentlich in einer Zeit, in der ich die stets wachsende Gefährdung durch faschistische Ideen zur Kenntnis nehmen musste, war ich für keine dogmatisch-metaphysische Kunsttheorie mehr empfänglich, selbst dann nicht, wenn sie sich als modern präsentierte. So wusste ich mit den Worten Kandinskys, seiner Forderung - ich zitiere —, „das Absolute zu malen“, wobei er sich auf Platons „Nomoi“ bezog (Kandinsky verwendete den Begriff, „Neues Reich“) und den „Albtraum der materiellen Welt abschütteln“ wollte, nichts mehr anzufangen. Schon damals erschienen diese Iheorien mir in demselben Licht, in dem George Grosz sie in weiterer Folge in seinem Buch „A little yes and a big no“, sah. Für mich konnte und kann die materielle Welt an sich kein Albtraum sein, den ich abschütteln will. Ich liebe das Leben, auch wenn darin gewisse, vielleicht allzu viele, Ereignisse Ungeheuer hervorbringen, die zu bekämpfen sind. Ich liebe es in seiner Vielfalt und so auch den Menschen. Das Leben hat mir Abgründe der Verzweiflung und Gipfel der Schönheit gezeigt. Für mich sind menschliche Beziehungen interessant und bedeutend, wenn man vor allem von der künstlerischen Darstellung des Menschen, seinem Ausdruck, im Porträt ausgeht. Meine Meinungen waren ein Sakrileg für die Anhänger all der „-ismen“; sie versuchten, mich als Reaktionärin zu stigmatisieren. Nie hat es — wie es mir damals schien und wie es mir heute noch mehr scheint — so wenig Zivilcourage und so viel Angst, als altmodisch zu gelten, gegeben, wenn man der Richtung, die gerade „en vogue“ war, nicht folgen wollte. Als wäre die Kunst ein Kleid oder gar eine Uniform! Denn der Mensch ist schwach, und deshalb verweigert er sich am selben Tag dreimal seinen Nächsten und dem Besten, das er in sich selbst hat. Er ist ein Automat geworden, frei nach Andre Breton, der sagt: „Der Surrealismus ist der psychische Automatismus, der das Denkvermögen ausschalten soll.“ Für mich konnte und kann die Kunst weder Ausdruck primitiver oder puritanischer Tabus sein und auch keine neurotische Obsession oder ein Automatismus, weder Werbung noch Zynismus. Für mich beruht die Kunst auf der Integration des Denkens und Fühlens des Individuums und der Gesellschaft. Und dies in Konsequenz der Entwicklung einer Idee, die eine Jugend-, Rebellions- und Romantikphase hat und zu einer revolutionären Begrifflichkeit gelangt ist. Nachdem ich das Bauhaus verlassen hatte, begab ich mich nach Berlin, wo ich bis 1933 blieb, bis ich als Antifaschistin gezwungen war, nach Paris und Italien zu gehen, von wo aus ich nach Wien zurückkehrte. Josef Frank, städtebaulicher Organisator der Dezember 2017 31