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Christiana Puschak

Adrienne Thomas’ autobiographisches Schreiben

Wer Adrienne Thomas ist, wissen nur wenige. Zwar wurde sie
im Zuge der Frauen- und Friedensbewegung und von Exilfor¬
scherinnen zeitweilig wiederentdeckt. Dauerhaftes Interesse fand
ihr Schaffen aber nicht. Immerhin: Vor einigen Jahren erschien
eine in den deutschen Feuilletons vielbeachtete Neuauflage ihres
tagebuchartigen Antikriegs- und Liebesromans Die Katrin wird
Soldat. Das Buch, 1930 als Vorabdruck in der Vossischen Zeitung
erschienen, hatte seinerzeit ein unvergleichliches, überwältigendes
Echo und internationale Beachtung gefunden. Es wurde sogar
verfilmt und die französische Ausgabe wurde mit einem Vor¬
wort von Jean Giraudoux versehen. Dieser Bestseller fügte den
Antikriegsbüchern von Ludwig Renn, Erich Maria Remarque
und Arnold Zweig eine weibliche Sicht auf die Erschütterungen
der Ereignisse des Krieges hinzu und ist ein Plädoyer für ein
„Nie wieder Krieg!“. Er beginnt im Jahre 1911 und endet im
Dezember 1916. Wie ihre späteren Romane, so basieren auch die
hier geschilderten Erlebnisse der Protagonistin auf den eigenen
der Autorin, die mit bürgerlichem Namen Hertha Strauch hieß
und aus einer in Elsaß-Lothringen ansässigen jüdischen Familie
stammte:

Die Katrin ... ja, das war ich. Das heifst, ich war es insofern, als
Punkt für Punkt die politischen Ereignisse stimmen ... Aber irgend¬
eine Wirklichkeit war immer dabei. Wirklichkeit und — Phantasie.

Gewidmet hat sie diesen Roman ihrem ersten Mann, mit dem
sie von 1921 bis zu seinem Tode 1930 zusammenlebte: Dem
Andenken von Arthur Lesser.

Erzählen die ersten Teile dieses Tagebuch-Romans von den
eher unbeschwerten „Backfisch-Jahren“ der Protagonistin aus gut
bürgerlichen Kreisen und einer Rebellin in der Schule, so ändert
sich dies mit Ausbruch und Fortdauer des Krieges. Als Rot-Kreuz¬
Schwester auf dem Bahnhof von Metz ist sie mit „endlos langen
Verwundetenzügen“ konfrontiert, sicht die Verletzten, die Ver¬
sehrten und Sterbenden. Das Erleben dieses Grauens ändert das
Lebensgefühl der Protagonistin. Es macht aus einer Klagenden eine
Pazifistin, die dem Krieg jede Notwendigkeit und Heldenhaftigkeit
abspricht. Es ist ein aufwühlendes Bekenntnis zum Humanismus
und zur Idee des Friedens. Doch rückblickend wird für Adrienne
Thomas aus dem Bucherfolg eine Niederlage, verstand sie doch
ihr Schreiben als littérature engagée:

(Dch hatte in Deutschland den grofsten Bucherfolg, den eine Frau
dort jemals hatte. Trotzdem war es der grofste Mifserfolg, den ein
Buch dieser Art nur haben kann ... Wieder kam Krieg.

An diesen ihren ersten Roman knüpft ihr 1936 bei Allert de
Lange erschienener Roman Katrin! Die Welt brennt! an, in dem
Bericht, Briefe und Tagebuch einander abwechseln. Dem Roman
vorangestellt hat Adrienne Thomas ein erhellendes Motto:

Kinder sind ja noch vollkommen: ihnen ist noch nicht alles Mög¬
liche verloren gegangen.

Im Unterschied zu ihrem Antikriegsroman Die Katrin wird
Soldat verdeutlicht Adrienne Thomas in ihrem Essay Nein und Ja,
dass es noch ein weitaus größeres Unglück gibt als einen Krieg. Es
geht um die „Herrschaft des Antimenschen“, der „ganze Völker
durch Hunger, Konzentrationslager, [...] Marter, [...] Lüge, Verrat,

Massenverhetzung, Meuchelmord“ ausrottet — daher sei dessen Be¬
kämpfung mit allen Mitteln, also auch mit Waffengewalt erlaubt:

Ich hatte Angst vor dieser braunen Pestwelle, vor diesem Unter¬
weltabschaum, der das Straßenbild beherrschte. Ich hatte Angst; aber
nachts saß ich dann doch an irgend einem Tisch und schrieb. Man
durfte doch nicht schweigen. Man mufste doch zeigen, wer die hier
waren. Alle moralischen, alle menschlichen Kräfte der Welt mufsten
sich vereinen gegen den Antimensch. Jede Stimme, auch die kleinste,
mufste mit einstimmen.

Deshalb begrüßte Adrienne Thomas Amerikas Eintritt in den
Krieg „zum Sammeln aller moralischen, aller menschlichen Kräfte
... gegen den Antimensch.“ Bereits im Juli 1933 veröffentlichte die
Arbeiter-Zeitung in Wien einen flammenden Appell der Autorin
gegen die Hitler-Barbarei.

Gleichermaßen über weite Strecken autobiographisch und tage¬
buchartig ist der Roman Reisen Sie ab, Mademoiselle! abgetasst. Gut
dokumentiert wird dies mit folgender Szene, die einem inneren
Monolog gleicht:

Adolf Hitler! Adolf Hitler! Überall Hitler! Wie eine Zündschnur
läuft dieser Name durch die ganze Welt. War das nicht beschämend
und lächerlich? Ein unheldischer, ein tief vulgärer Name, wie er in
der Geschichte noch nicht da war! — Weiter! Weiter! Sie will das nicht
mehr hören. Was sagt Frankreich? ... Kein einziges Wort ist vorerst
zu unterscheiden. Was tuts? Weiter! Weiter!... Sie muß Paris hören!
Hier, gleich neben München ist doch der Pariser Sender — ja — sie
hat ihn jetzt! Ganz klar und deutlich, wie man den Pariser Sender
selten bekommt.

Dieser Roman erzählt vom Schicksal einer österreichischen
Familie, vom Alltag unter dem Nationalsozialismus, vom Zerfall
von Familie und Freundschaft, von Vertreibung und Flucht als
Folge der unmenschlichen politischen Verhältnisse. Bis in die
Einzelheiten stimmen die in dem Roman erzählten Wege und
Stationen der Flucht vor Hitler und die Emigration von Land zu
Land mit dem Fluchtweg von Adrienne Thomas überein: „(Alles
lag hinter einem: Menschen, Heimat, Liebe, Freundschaft und
ein ganzes Kapitel Leben.“

Gabriele Kreis meint, dass die Starke dieses Romans nicht im
phantasievollen Fabulieren, im Ausdenken von Wirklichkeiten
lage, sondern im Schreiben aus eigener Anschauung, aus per¬
sönlicher Betroffenheit, wie es zum Beispiel der Bericht über das
Leben im französischen Internierungslager Gurs zeige:

... diesem Gurs der Garde Mobile ...; dem Gurs des Hungers und
der Zwangsarbeit; dem Gurs, wo die stolzesten Söhne Spaniens und
ihre Kampfgefährten Sträflingsarbeit verrichteten.

Resümierend konstatiert Gabriele Kreis:

(Adrienne Thomas) mischt Zeitgeschichte, persönliche Erfahrun¬
gen und kluge Einschätzungen der politischen Lage ... Bei ihr sind
die Guten gut und die Bösen böse; Widersprüche duldet sie nicht,
aufser dem einen großen, der da heifst: Widerspruch gegen den Hitler¬
Faschismus.

Geboren wurde Hertha Strauch am 24. Juni 1897 in Saint
Avold/Moselle. Sie wuchs zweisprachig auf. Bis zu ihrem zehnten

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