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Elisabeth Fritsch „Das ist eine Fügung“ — eine Redewendung, die ich öfter aus ihrem Mund gehört habe. Es war eine Fügung, dass sie, irgendwann Ende der Sechzigerjahre meinem — damals noch nicht — Mann in der Schottengasse begegnet ist (wo damals das Büro des österreichischen Zweigs des Internationalen Versöhnungsbunds war, bei dem er Halbzeit angestellt war) und er mich ihr und sie mir vorstellte: Frau Frank. Einmal hat sie mich eingeladen. Ich wollte etwas mitbringen. Mein Mann hat mir gesagt: Sie ist Vegetarierin — da hab ich mir gedacht: Topfengolatschen — also das war nicht das, was sie sich unter gesunder Ernährung vorgestellt hat. Sie hat mir, mit ihren vier Schneidezähnen, zwei oben, zwei unten, erklärt, dass man von einem Apfel fast alles essen kann; dass das Innere der Apfelkerne schr nahrhaft ist; vom Apfelstängel kann man den unteren Teil abkiefeln, der obere Teil ist zu hart. Sie hat mir erzählt von einem KZ-Häftling, der die Haft überlebt hat, weil er von dem Unkraut, das er jäten musste, heimlich die genießbaren Pflanzen gegessen hat. Sie hat mir (das muss aber später gewesen sein) empfohlen, als Kur für den kranken Darm meines Mannes einen Brei aus Eichel-Samen zu kochen; das hat mir eingeleuchtet, ich bin, das war im Vorfrühling, in den Prater gegangen, hab aber nur eine Hand voll Eicheln gefunden, nicht genug, um einen 100-kgMann satt zu bekommen, und hab das Rezept nicht ausprobiert. In einem Zinshaus im 5. Bezirk im letzten Stock auf einer geräumigen Plattform vor der Tür zum Dachboden hat sie mir gezeigt, wo sie ihre Gymnastik-Übungen macht. Wenn jemand heraufkommt, hört sie das und kann rechtzeitig unaufällig weggehen. Sie hat mich auf die Stiegen aufmerksam gemacht: wie bequem, mit niedrigen, breiten Stufen, wie in den StadtbahnStationen von Otto-Wagner — diese Stufen kann man auch im Finstern gehen. Sie hat mir eine Sammlung „Völkischer Beobachter“ angeboten. Wir haben damals in einer ca. 25 m’-Garconniere gewohnt mit einem kleinen Kellerabteil. Ich habe dankend abgelehnt: wenn ich den Völkischer Beobachter lesen will, kann ich in die Nationalbibliothek gehen. Mein Mann hat, in den Fünfzigerjahren, Schule geschwänzt und in der Nationalbibliothek den Völkischen Beobachter gelesen, weil er wissen wollte, worüber die Erwachsenen nicht gesprochen haben, wie es damals wirklich war. Heute denk ich mir, sie wollte wissen, was damals passiert ist, was ihr damals passiert ist. Ich hab ihr das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands empfohlen, sie hat sich das angehört, aber letztlich zu einer offiziellen Stelle kein Vertrauen gehabt. Sie hat zu diesem Staat kein Vertrauen gehabt. Von einer kostbaren Jugendstil-Vase hat sie mir erzählt, die ihr, ich weiß nicht wer, für ich weiß nicht welche Dienstleistungen gegeben hat, mit der sie nichts anfangen kann — wenn sie die am Flohmarkt verkaufen wollte wäre sie als Hehlerin verdächtig. Sie hat meines Wissens von Gelegenheits-Arbeiten gelebt, Stiegenhäuser reinigen, Deutsch-Unterricht... 58 _ ZWISCHENWELT . ich bin jetzt bei 3 + 4 Kindern = 7 Stück von 2 Familien - in einer feuchten souterrain Wohnung — — die Eltern sind zu plötzlichen Spitalsbesuch abgereist [...] —— wieso immer noch feuchte Wohnungen für Kinder !! — — — man muß das selbst erleben — — — — so viele !!! solche Wohnungen — — — — habe viel Arbeit! In der Nacht des 20. September 1976, nach der Fernseh-Ubertragung des Box-Weltmeisterschafts-Kampfs Muhammad Ali (Cassius Clay) gegen Ken Norton? wurde sie überfallen und verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert. Bis dahin hatte sie offensichtlich jeden Kontakt mit öffentlichen Einrichtungen vermieden. Hildegard Goss-Mayr, Reisesekretarin, später Ehrenpräsidentin des Internationalen Versöhnungsbunds, hat sich nach ihrer Entlassung (gegen Revers?) um einen Platz in einem Caritas-Heim bemüht .. ich hätte nie in dem Heim sein können, weil das 5000 — 6000 Schilling im Monat kostet [...] u. ja auch das Heim nicht brauche. [...] ich bin ja nicht bettligerig ...° Goss-Mayr hat sie letztlich bei den Kleinen Schwestern von Jesus in Regelsbrunn untergebracht: Die Hildegard hat gefragt, ob die Anna, die Frau Frank, ob die zu uns kommen kann, wenn sie vom Spital heraus kommt. Dann haben wir ja gesagt und dann ist sie gekommen und sie war sehr schlecht beinand, an das kann ich mich erinnern. Da haben wir damals eine Krankenschwester da gehabt und sie hat gesagt, sie hat nur 30 bis 0 Puls. Sie war ganz schwach, und trotzdem haben sie sie aus dem Spital entlassen. Sie war wirklich ganz schwach. Ich glaube, sie wollte nicht |im Spital, E.F.] bleiben. Die, Claude Christine hat sie geheifsen, hat gesagt, ich weiß nicht, ob die morgen noch lebt, weil sie hat wirklich nur 30/33 Puls. Aber sie hat immer wieder noch gelebt... Sie ist aber nicht lange geblieben. Ich weiß nicht genau, vielleicht eine Woche oder zwei Wochen, vielleicht drei Wochen, ich weiß es nicht... Dann hat sie der Engelbert |Pöcksteiner] irgendwann einmal geholt. An das kann ich mich erinnern.“ ... der zwangsweise Aufenthalt bei den kl. Schwestern war für mich total zerstörend! (Wohg verloren u.s.w. u. gesundheitlich schlecht? Bei den Kleinen Schwestern konnte sie nicht bleiben — ich nehme an: Als Gast wollte sie nicht bleiben, dafür war sie zu bedürftig nach Unabhängigkeit, und als Postulantin konnten die Kleinen Schwestern, damals alle schätzungsweise halb so alt wie sie, sie nicht aufnehmen, dafür war sie zu dominant. Schon ihre Vorstellung, jeder solle allein sein Essen essen, ist mit der vita communis der Kleinen Schwestern nicht kompatibel. (So weit, was mir vom Hörensagen in Erinnerung ist.) „... sie hat sich nie vorstellen können, dass sie einmal in einer Gemeinschaft lebt“, sagt die Kleine Schwester Claire Frederique von Jesus.° „... also bitte keine ‚wohlmeinenden‘ ??? Sorgen um mich ... Polizei hat auch alles genau + gut geordnet, weil es Überfall war“, schreibt Frau Frank.’ Wie sie vor dem Überfall gelebt hat, kann ich mir nur vage vorstellen. Wie sie nach dem Überfall zurechtgekommen ist, weiß ich nicht.