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Trotz dieser Tatsache richtete Schützenhofer am 2. März 1946 an
das Innenministerium eine Bitte um Ent-Registrierung mit der
Begründung, er hätte zwar am 25. März 1938 einen Aufnahme¬
antrag gestellt, ohne jedoch vor oder nach diesem Zeitpunkt für
die Partei tätig gewesen zu sein.° Weiters schreibt er:

Zur Begründung meines Ansuchens sei noch weiter angeführt, dass
ich seit 18 Jahren unter etwa 35 israelitischen Parteien wohne und bis
zu meiner Einrückung als Hausvertrauensmann die Mieterinteressen
zu vertreten hatte. Das lückenlos unterschriebene Wahldokument liegt
heute noch in meinen Papieren. Gegenstände aus jüdischem Besitz
habe ich nie, auch nicht im Zeitpunkt der Verdrängung der Juden
erworben und auch Kaufanbote, da sie doch nur Zwangskäufe dar¬
stellten, abgelehnt. Die Witwe des Hauswartes Frau Josefine Puttinger,
die selbst durch Denunziation lange Zeit im KZ verbrachte, kann
diese Angaben bestätigen und auch sonst Auskunft über mein Tun
während der letzten 20 Jahre geben. Auferdem ist auch schon ein
Familienmitglied einer mir damals benachbarten jüdischen Partei
zurückgekehrt und könnte auch dieses über mein jederzeit anstän¬
diges Benehmen im Verkehr mit den Juden Zeugenschaft abgeben.’

Die Hausbesorgerin, Josefine Puttinger, war tatsächlich ver¬
haftet worden:

Am 18. 10. 1943 wurde die deutschblütige Josefine Puttinger,
geb. Aigner, Hausbesorgerin, 11. 4. 1894 in Nussdorf geb., DR.,
rk., verw., Wien IL, Taborstr. 2ZIA wh., festgenommen. Sie hat als
Hausbesorgerin Juden, die umgesiedelt wurden, Wäsche, Kleider, Pelze
und Bargeld zur Aufbewahrung übernommen, um sie dem Zugriff
der staatlichen Behörden zu entziehen. Gegen sie wird Schutzhaft
beantragt.®

Ob Josefine Puttinger in einem KZ war, wie Karl Schützen¬
hofer in seinem Schreiben hervorhebt, geht aus den Unterlagen
nicht hervor. Am 25. Juni 1946 erhebt Schützenhofer allerdings
Einspruch gegen die Registrierung und behauptet, nie ein Mit¬
gliedsbuch erhalten zu haben. Allerdings gibt er zu, 1938 einen
Antrag auf Aufnahme in die NSDAP gestellt zu haben. Er habe
sich allerdings bei Vorsprachen vor staatlichen Behörden als Na¬
tionalsozialist bzw. Parteimitglied ausgegeben. Auch habe er der
NSDAP eine größere Summe, nämlich 150 Mark, gespendet,
damit die Erledigung seines Antrags auf Parteimitgliedschaft ra¬
scher erledigt werde. Nach seiner Einrückung zum Militär am
7. August 1939 ruhte das Ansuchen um Mitgliedschaft. Schlie߬
lich versichert er noch, niemals, weder in Wort noch Tat, etwas
dazu beigetragen zu haben, die Ideen des Nationalsozialismus
auf österreichischem Boden zu verbreiten oder deren Verbrei¬
tung unterstützt zu haben.” Schützenhofers Gesuch ist insofern
nachgegeben worden, als die Unterstreichung seines Namens
mit Rotstift in der Registrierungsliste aufgehoben wurde und er
damit als minderbelastete Person galt.

Raimund Strobl hatte 1939 das Strickwarengeschäft von Alfred
Rabl (wohnhaft in Taborstr. 21A), das sich im Nachbarhaus Ta¬
borstr. 23 befand, arisiert. Er war Wehrmachtssoldat, wurde im
Mai 1945 interniert, kehrte am 28. November 1946 nach Wien
zurück und wurde am 12. Dezember 1946 verhaftet und dem
Landesgericht II überstellt.!° Er war der NSDAP schon 1925 bei¬
getreten, neuerlich nach Unterbrechung 1932. Im Gerichtsurteil
aus dem Jahr 1948 heißt es:

Im Jahr 1935 wurde er wegen hochverräterischer Betätigung vom
Landesgericht für Strafsachen II in Wien zu 18 Monaten schweren
Kerkers verurteilt, wovon er über ein Jahr verbüfste. Nach der An¬
nexion im Jahr 1938 wurde seine Mitgliedschaft ab 1933 mit der
Mitgliedsnummer 1.388.555 im Erfassungsverfahren anerkannt.

8 _ ZWISCHENWELT

Er erhielt für seine Haft eine Wiedergutmachung von RM 1500
und den Blutorden.''

Nach dem Krieg also wurde er erstens angeklagt, der NSDAP
und der SA angehört zu haben, sich für die nationalsozialistische
Bewegung betätigt zu haben, von der NSDAP als „Alter Kämpfer“
anerkannt worden zu sein, einem Wehrverband, nämlich der SA,
im Rang eines Sturmführers angehört zu haben und Träger des
Blutordens gewesen zu sein. Die Anklage lautete: Verbrechen des
Hochverrats. Zweitens wurde er angeklagt, sich aus besonders
verwerflicher Gesinnung im Jahre 1939 unverhältnismäßige Ver¬
mögensvorteile zugewendet zu haben. Und zwar habe er sich unter
Ausnützung der nationalsozialistischen Machtergreifung und na¬
tionalsozialistischer Einrichtungen und Maßnahmen an fremdem,
nämlich dem Alfred Rabl gehörigen Vermögen bereichert. Die
Anklage lautete: Verbrechen der missbräuchlichen Bereicherung.
Was den ersten Anklagepunkt betrifft, so wurde Raimund Strobl
des Verbrechens des Hochverrates schuldig gesprochen und zu
einem Jahr schweren Kerkers verurteilt.'” Vom zweiten Ankla¬
gepunkt, des Verbrechens der missbräuchlichen Bereicherung,
wurde er jedoch freigesprochen, mit der Begründung:

Wenn der Sachverständige den Firmenwert mit RM 10.000 schätzt,
so ist auch diese Schätzung nicht verlässlich, denn sie berücksichtigt
den Umstand nicht, dass das Geschäft ein jüdisches, im jüdischen
Stadtteil mit fast ausschließlich jüdischen Kunden war, der jüdische
Kundenstock naturgemäß fast zur Gänze ausgefallen ist. Der An¬
geklagte musste einen neuen Kundenstock erwerben. Er hat faktisch
nur die Waren und das Lokal übernommen und hierfür rund RM
8.000 bezahlt. Der vom Sachverständigen geschätzte Firmenwert
ist äußerst zweifelhaft.”

Im Klartext heißt das, Raimund Strobl konnte sich gar nicht
bereichern, weil es gar keine Kunden mehr gab, die bei ihm ein¬
kaufen konnten, denn diese waren in den Tod geschickt worden,
im besten Fall hatten sie emigrieren können.

Ernst Nowak (geboren 1935), ein Sohn Johann Nowaks, der
heute noch in der Taborstraße 21A wohnt, erzählt, dass sein Vater
die Wohnung vom Wohnungsamt zugewiesen bekommen habe
und für einen Durchlauferhitzer und einen Ofen 500 RM Ablöse
bezahlen musste.

Josef Benda, ab 1940 Mieter der Wohnung Tür 22, in der
vor seiner Emigration das Ehepaar Dr. Roll gelebt hatte, zog
Anfang der 1930er Jahre mit seiner Frau und seinen Eltern in
die Sowjetunion, wie seine Schwiegertochter erzählt, die seit
1957 in der Taborstraße 21A wohnt. Angesichts der durch die
Weltwirtschaftskrise verursachten Arbeitslosigkeit und aufgrund
sowjetischer Anwerbung von Facharbeitern gab es in den 1930er
Jahren eine Emigrationswelle aus Deutschland und Österreich in
die Sowjetunion.'* Die Familie bekam in Sibirien Arbeit. 1940
kehrte Benda mit seinen Eltern und seinem in Moskau geborenen
Sohn nach Wien zurück. Seine Frau musste allerdings in Sibirien
bleiben, da sie laut Erzählung der Schwiegertochter nicht aus¬
reisen durfte, da sie die sowjetische Staatsbürgerschaft hatte, um
die die Familie angesucht hatte, die aber nur Josefs Frau erhalten
hatte. Die Ausreise erfolgte schr spät, möglicherweise im Zuge
des Hitler-Stalin-Paktes.'

Über das Schicksal der Familien Schimak, Fröhlich, Plappart
und Schidler, die in die Wohnungen der Familie Apfelbaum,
der Ehepaare Pisk und Ringer, sowie in die Wohnung Leuchters
eingezogen sind, ist nichts Näheres bekannt.