Hier stellt sich die Frage, was der Richter mit „leider auch
politische Erwägungen“ meinte. Wohl, dass Dr. Genner Halbjü¬
din war und die Frau des kommunistischen Unterstaatssekretärs
Laurenz Genner. Pointiert formuliert: Der arme Nazi war Opfer
einer jüdisch-kommunistischen Verschwörung. In dem ganzen
Urteil wird mit keinem Wort erwähnt, dass Dipl.-Ing. Hammer
als registrierter Nationalsozialist seine Wohnung zur Verfügung
stellen musste und dass Dr. Genner als Mischling 1. Grades Opfer
des Nationalsozialismus war. Dr. Broda ging in Berufung. Das
Landesgericht hob das Urteil des Bezirksgerichts auf und verwies
es zurück an das Bezirksgericht. Die strittige Frage wäre, um wel¬
che Art von Mietvertrag es sich handelte bzw. ob überhaupt ein
Mietvertrag zustande gekommen ist oder ob Dr. Genner nur eine
Benützungsbewilligung hatte. Das neuerliche Urteil unterschied
sich nicht wesentlich vom ersten. Dr. Broda ging daraufhin erneut
in Berufung und das Urteil wurde zum zweiten Mal aufgehoben.
Daraufhin legte die Genossenschaft beim Obersten Gerichtshof
Revision ein. Der Oberste Gerichtshof schließlich entschied gegen
Dr. Genner. Leider ist das Urteil nicht vorhanden, nur ein Brief
vom 25. Mai 1957 von Dr. Broda an Dr. Genner:
Wie Sie aus der Begründung der Entscheidung ersehen, erklärt der
Oberste Gerichtshof zwar im Sinne der von uns in den verschiedenen
Instanzen vorgebrachten Einwendungen, dass die rechtlichen Erwä¬
gungen des Erstrichters unrichtig waren, kommt aber dann doch im
Ergebnis zu einer für Sie ungünstigen Entscheidung. Wie Sie aus
der Begründung ersehen, handelt es sich allerdings vorwiegend um
„Billigkeitserwägungen“ für die klagende Wohnungsgenossenschaft
„Gersthof-Grinzing“'
Es lag also im Ermessen des Obersten Gerichtshofes, wie er
urteilte, er hätte genauso gut anders urteilen können. Er hat aber
für die Genossenschaft entschieden, von der bekannt war, dass
sie die Wohnung dem ältesten Sohn des verstorbenen Dipl.-Ing.
Hammer sozusagen „zurückgeben“ wollte. Dass auch Dr. Günter
Hammer Parteigenosse war, war dem Gericht bekannt, wenn
es auch im Prozess nie zur Sprache kam. Selbstverständlich war
bekannt, dass Dipl.-Ing. Hammer seine Wohnung zur Verfügung
hatte stellen müssen, weil er registrierter Nationalsozialist gewe¬
sen war. Außerdem hat die beklagte Partei als Beweismittel die
Ablehnung des Antrags von Dipl.-Ing. Hammer auf Aufhebung
der Benützungsbewilligung seiner Wohnung als Ordination im
Sinne des Nationalsozialistengesetzes vom Magistrat der Stadt
Wien und ebenso den Bescheid des Bundesministeriums für So¬
ziale Verwaltung vorgelegt. Ich nehme also an, dass sowohl der
Richter des Bezirksgerichtes als auch der Richter des Obersten
Gerichtshofes Nazis waren.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Opfer, die nach
dem Krieg eine Wohnung von Nazis bekamen, rechtlich in einer
schlechten Position waren, ihr Mietrecht letztlich nur in einem
Benützungsrecht bestand, sodass sie ihre Wohnungen, falls die
Nazis darauf Anspruch erhoben, wieder verloren. So saßen die
Nazis bzw. Profiteure, die nach dem Anschluss für die Wohnun¬
gen der ermordeten oder emigrierten Juden gültige Mietverträge
bekommen hatten, nach dem Außerkrafttreten des Wohnungs¬
anforderungsgesetzes 1956 wieder in den letztlich unrechtmäßig
erhaltenen Wohnungen, wobei essich bei jenen, die schon vor 1938
Mieter gewesen waren, insofern anders verhält, als sie zumindest
nicht in Wohnungen ermordeter oder emigrierter Juden lebten.
Anhang
I. Die Mieter der Taborstraße 21A im Jahr 1938 im Detail
1. Kritzmann Abraham Tür 12
Geboren am 19. Juni 1887 in Balten-Russland, mosaisch, Kauf¬
mann. Am 3. Februar 1939 abgemeldet nach Amerika.
2. Roll Moritz Tür 22
Geboren am 17. Juni 1901 in der Bukowina, mosaisch, ver¬
heiratet, Arzt.
Gattin: Grethe, geborene Margulies, geboren am 11. November
1907.
Abgemeldetam 12. April 1939 nach England, separat gemeldet,
Meldezettel vom 24. November 1934, abgemeldet am 7. Juni
1939 nach Zürich.
3. Leuchter Julius Tür 24
geboren am 17. September 1884 in Brody, Kaufmann, ledig.
„Ist ausgezogen am 18. Oktober 40 nach II., Rotensterng. 14/17.“
„fortgezogen am 15. Oktober 1941 nach Litzmannstadt“.
4. Familie Pisk Tür 25
Gustav Pisk, geboren am 3. Jänner 1869 in Velm (Kreis Gän¬
serndorf), Kaufmann, ehem. Molkereibesitzer.
Theresia Pisk, geborene Sonnenmark, geboren am 14. Februar
1870.
Beide: am 15. März 1940 umgezogen nach IIl., Geusaugasse 10,
dann ohne Datum III., Rudolf von Altplatz 4, am 23. Juli 1941
nach I., Gélsdorfg. 2/11 bei Anna [Sara] Silberberg, ,,fortgezogen
am 22. Juli 42 nach Theresienstadt“.
5. Ringer Elisabeth [Sara] Tür 29
geborene Kurz, Private”, Rechtsanwaltswitwe, geboren am 14.
Jänner 1888 in Wien.
Ehemann Dr. Samuel Ringer, gestorben am 23. Oktober 1939.
„Ist ausgezogen am 16. Juli 40 nach HI, Weyrgasse 9/6.“ „Ist
ausgezogen am 5. Dezember 40 nach VOL, Wickenburgg. 14/8“.
„Zugezogen am 30. September 41 II. Glockengasse 18/II/9 bei
Hermine [Sara] Morgenstern“, „fortgezogen am 17. August 42
nach Minsk“.
6. Dr. Hoffmann Oskar Tür 31
Geboren am 12. März 1888 in Wien, Arzt. Seit 18. Dezember
1929 in Taborstr. 21A gemeldet. Deutsch-Osterreich (Vermerk
am Meldezettel). Verheiratet (Gattin nicht angeführt), Arzt. 1939
nach Shanghai abgemeldet.
7. Familie Apfelbaum Tür 35
Henriette Apfelbaum, geborene Öhlenberg, geboren am 28.
März 1883 in Jaroslav”.
Thr Gatte Moses Apfelbaum, geboren am 27. Marz 1880 in
Mateszöwka” (Kreis Tarnopol). Kaufmann.
Tochter Wilma, geboren am 7. November 1913 (istam 3. August
1939 nach England abgemeldet). Rechtsanwältin.
Tochter Blanka, geboren am 6. April 1924 (ist am 14. April
1939 nach London abgemeldet, vermutlich mit einem Kinder¬
oder Jugendtransport).
Moses und Henriette sind am 15. Oktober 1940 in die Wayr¬
gasse 6/10 gezogen.
Moses und Henriette sind „Laut Amtsstampiglie abgemeldet am
23. November 41“ „nach (Ort, Bezirk, Gasse Nr): Polentransport“
8. Schützenhofer Karl (einziger nichjjüdischer Bewohner)
Tür 36
Geboren am 19. März 1897, römisch-katholisch, verheiratet.
Filialleiter. Gattin: Franziska, geborene Leitermann, geboren am
11. Juli 1896.