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Doch inzwischen hatte er die Dolmetscherin und Sekretärin
Ruth Reinhard, eine Berlinerin, bei der gemeinsamen Arbeit für
die amerikanischen Behörden näher kennen gelernt. Sie begleitete
ihn auch in den letzten Tagen seines Aufenthaltes in Deutschland
auf Einladung des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller (SDS)
zu einem Vortrag über deutsche Exilliteratur in München. Als er
am 18. August 1947 wieder in die USA abreisen musste, war die
gemeinsame Zukunft mit Ruth fest geplant: „Auf den Tag genau
ein Jahr später wird er in New York seine letzte Heimreise nach
Deutschland antreten“ dokumentiert Pfanner und konstatiert:
„Hirsch hegte die große Hoffnung ... mit seiner literarischen
Arbeit dort anknüpfen zu können, wo er sie ein gutes Jahrzehnt
zuvor hatte unterbrechen müssen. Unterstützt wurde er in diesem
Gedanken auch von seinem Verleger Kurt Desch, der bei Hirschs
Hochzeit mit Ruth am 6. September 1948 anwesend war und ihn
dazu ermunterte, sofort mit dem Schreiben von Erinnerungswer¬
ken und Romanen zu beginnen.“ Aber die gesellschaftspolitischen
Realitäten entwickelten sich für den linksorientierten Schriftsteller
K.J. Hirsch — wie für die Rezeption von Exilliteratur bekanntlich
überhaupt - recht ungünstig.

Trotz seiner Enttäuschung und zunehmenden Verbitterung über
die Zurückweisung seiner Manuskripte arbeitete er unverdrossen
weiter, wenn auch zumeist nur für die Tagespresse; größere Manu¬
skripte wanderten vorerst in die Schublade. Posthum erschienen:

Ursula Langkau-Alex

Hochzeitsmarsch in Moll (1986), Manhattan-Serenade (2001),
Einer muss es ja tun (2003) -, jeweils herausgegeben von H.E.
Pfanner. (Vgl. Werkverzeichnis bei H.F. Pfanner: Karl Jakob
Hirsch. Schriftsteller, Künstler und Exilant, S. 113 ff.)

Mit Stolz nahm Hirsch dessen ungeachtet die Wahl in die deut¬
sche Sektion des PEN-Clubs am 1. Dezember 1951 zur Kenntnis.
Allerdings erkrankte er zunehmend derart, dass er nur mit Hilfe
seiner Frau Ruth gelegentlich weiterarbeiten konnte. Er korre¬
spondierte darüber noch mit Alfred Döblin, dem ehemaligen
Neurologen. Doch konnte er dessen Ratschläge nicht mehr nutzen.

Am 8. Juli 1952 verstarb Karl Jakob Hirsch in einer Münche¬
ner Klinik. Seine Urne wurde am 11. Juli auf dem Münchener
Ostfriedhof beigesetzt. Mehrere Nachrufe würdigten das Leben
und Schaffen Hirschs, wobei die Zeitschrift „Die Literatur“ vom
1. August 1952 den Verstorbenen wohl am zutreflendsten charak¬
terisiert als einen derjenigen Menschen, denen man „das Leben
nimmt, wenn man ihnen die Sprache nimmt“.

Ein Denkmal hat ihm jedoch erst Helmut FE. Pfanner gesetzt mit
der bereits eingangs erwähnten Biografie und Werksgeschichte des
Schriftstellers und Künstlers Karl Jakob Hirsch, damit dieser als
Chronist seiner Zeit wieder wahrgenommen und in das öffentliche
Bewusstsein zurück geholt werde - eine allerdings noch immer
aktuelle Aufforderung.

Am 24. Januar 2018 wäre sie 91 Jahre alt geworden, die am
16. Dezember 2017 in Lexington/Massachusetts verstorbene
Dr. Hanna Papanck, Ehrenmitglied der Gesellschaft für Exil¬
forschung. Wien, 8. Mai 2015: Tag und Ort der Verleihung der
Ehrenmitgliedschaft entsprachen ihrer Biographie. Es war 70 Jahre
her, dass Deutschland und Österreich von nationalsozialistischer
Schreckensherrschaft und Weltkrieg befreit worden waren - eine
seelische Befreiung auch für die aus ihrer Heimat Vertriebenen.
Befreit von Flucht und Angst hatte sie sich gefühlt, als sie mit
ihrer Mutter Ende 1940 in ihrem dritten Exil, den USA, ankam
und mit dem Vater wiedervereint wurde wie in den ersten bei¬
den Exilen, in der Tschechoslowakei (Prag, April 1934) und in
Frankreich (Paris, Mai 1938). Wien war die Geburts- und Ster¬
bestadt, bis zur Flucht 1934 auch die erste Wirkungsstätte ihres
unvergessenen Schwiegervaters, des (Jung-)Sozialisten, Pädagogen
und später, nach der zweiten Flucht, Professors in seinem Metier
an verschiedenen Universitäten der USA: Ernst Papanck. Am Tag
ihrer eigenen Ehrung legte Hanna ein Buch mit Schriften von
und eigenen Erinnerungen an den vor 115 Jahren Geborenen
vor, das sie zusammen mit Inge Hansen-Schaberg und Gabriele
Rühl-Nawabi konzipiert und im Wiener Böhlau-Verlag herausgab
(Ernst Papanek: Pädagogische und therapeutische Arbeit. Kinder mit
Verfolgungs-, Flucht und Exilerfahrungen während der NS-Zeit.
Wien, Köln, Weimar 2015). Damit ging ihr jahrelang gehegter,
persönlich wie wissenschaftlich motivierter Wunsch in Erfüllung
(siehe Neuer Nachrichtenbrief der Gesellschaft für Exilforschung
e.V, Nr. 45, Juni 2015).

Hanna Papanck wird am 24. Januar 1927 in Berlin in ein so¬
zialdemokratisches Nest hineingeboren. Mutter Elly Kaiser ist

22 _ ZWISCHENWELT

Sekretärin und Archivarin in der SPD-Reichstagsfraktion; Vater
Alexander Stein (Rubinstejn), aus jüdischem Handwerkermilieu
in Lettland stammend, 1905 als Menschewik nach Deutschland
geflohen, ist Journalist, Publizist und seit 1925 Bildungssekre¬
tär der SPD. Die keinesfalls homogene und konfliktfreie, aber
doch von der Klassenzugehörigkeit geprägte „sozialdemokrati¬
sche Solidargemeinschaft“ — wie der Soziologe Peter Lösche sie
definiert hat — erlebt Hanna bis zu ihrem siebten Lebensjahr im
Berlin der niedergehenden Weimarer Republik. Sie wird zu einer
Schicksalsgemeinschaft der vom nationalsozialistischen Regime
Ausgestoßenen, doch überschattet von zunehmenden politischen
Divergenzen; die Solidarität wird brüchig in der von Angst und
Überlebenswillen beherrschten Hektik der Flucht aus Frankreich
im Sommer/Herbst 1940, doch lebt auf Seiten der Entkommenen
in gemeinsamen Anstrengungen mit US-amerikanischen Orga¬
nisationen und Persönlichkeiten zur Rettung Zurückgebliebener
wieder auf. Abseits von Eltern und Querelen der ‚Politiker‘ bietet
die homogene Gruppe der österreichischen „Roten Falken“, der
sie kurz nach ihrer Ankunft in Paris beitritt und mit der sie von
September 1939 an sukzessiv von Nord- nach Südfrankreich in
verschiedene, von Ernst Papanek geleitete Flüchtlings-Kinder¬
heime der OSE evakuiert wird, der unbekümmerter Kindheit
entwachsenden Hanna Kaiser noch einmal einen festen Anker
und neue Erfahrungshorizonte zugleich. Das Ideal einer sozial¬
demokratischen Solidargemeinschaft hat sie sich als Hanna Papa¬
nek - sie ist seit 1947 verheiratet mit ihrer „Roten Falken“-Liebe
Gustav (Gus), Ernst Papaneks ältestem Sohn — bewahrt und jenseits
von politischer Partei schließlich gefunden in den Prinzipien der