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der „Islamischen Republik“. Die einen Verbrechen am eigenen
Volk, an den anders Denkenden, Freiheit-Suchenden und nach
ihren Freiheitsvorstellungen Handelnden geschahen unter dem
Schah-Regime als Verteidigung der Staatsdiktatur, und die ande¬
ren, späteren geschahen und geschehen noch immer im Namen
Gottes („Alahu Akbar!“) und des Islams. Aber alle diese Staats¬
verbrechen, die ohne die vielen Helfershelfer der SAVAK oder der
Glaubenswächter gar nicht durchführbar wären, sind ungeheure
Verbrechen gegen das eigene Volk, gegen die Menschlichkeit. Für
die Opfer macht das keinen Unterschied, ob sie unter diesem
oder jenem Regime gequält, gefoltert, im Morgengrauen gehängt
oder erschossen werden. Und die Welt, die UNO, die sogenannte
zivilisierte Staatengemeinschaft und deren Repräsentanten schauen
nicht nur untätig zu, sondern schütteln den Verfolgern und Mör¬
dern freundlich lächelnd die Hände. Man macht gute Geschäfte
mit ihnen, kauft ihr Öl, hofiert sie und erklärt sie zu kultivierten
Partnern der „Freien Welt“; jedenfalls dann, wenn es um den
eigenen Profit geht; da zählen die Menschenrechte nichts.

Aus einer solchen Welt der Willkür und Gewalt, der Unter¬
drückung aller Freiheits- und Menschenrechte, vor allem auch
der Rechte der Frauen, flieht die persische Intellektuelle und
Schriftstellerin Nahid Bagheri-Goldschmied; sie geht durch Emi¬
gration ins Exil; in ein Land, in dem zwar nicht mehr ihr Leben
bedroht wird, in dem sie aber auch an Grenzen stößt, an Grenzen
der Ausgrenzung, durch ihr Anderssein. Sie findet sich wieder in
einem Land, das nicht das ihre ist, nie das ihre sein wird, das keine
Heimat für sie ist, nie Heimat werden kann. Ihr Lebensgefühl,
ihre Lebensposition drückt sie schr klar in folgenden Versen eines
ihrer Gedichte aus:

Die Brücke zur Heimat
hinter mir abgerissen, vor die Wahl gestellt

zwischen Stillhalten und Nichtsein. - Am Rand des neuen Landes

kralle ich mich fest.

Und:

Im Ödland dieser Einsamkeit habe ich mich
bis an die Grenze der Blindheit geweint ...

Ein hoher Preis für die Freiheit; für die Freiheit, anders, nämlich
selbstbestimmt, leben zu dürfen; zu leben „im Haus, in dem ich
unwillkommener Gast bin“. So lebt die Dichterin Nahid Bagheri¬
Goldschmied nun seit mehr als 35 Jahren in unserem Heimatland
Österreich. Und ihre Gedichte, ihre Literatur legen Zeugnis ab von
diesem — nicht gerade glücklichen und erfüllten — Leben mitten
unter uns. Da stellt sich die Frage: Wie ist unser Verhältnis, wie
ist unsere Beziehung zu ihr? Ist sie „eine von uns“ oder (auch) nur
„eine mit uns“? Gibt es eine Gemeinschaft mit ihr? Haben wir sie
wirklich aufgenommen als eine Zu-uns-Gehörende? Und wer ist
dieses „Wir“? Vielleicht doch nur die Freunde, die Kollegenschaft.
Aber rundherum ist doch mehr an Umgebung, an Umwelt. Wie
ist ihr Umweltgefühl, ihr Selbst(wert)gefühl in dem Land, in dem
sie seit fast 40 Jahren lebt? Wiederum geben protokollarische
Sätze, Verszeilen aus einem ihrer Gedichte darüber Auskunft, in
der erschütternden Feststellung; Jeden Sonntag legen meine Hände
das Nachthemd/ morgens wie ein Totenhemd aufs Bett, um abends
wieder hineinzuschliipfen./ Jeden Sonntag ist mir/ als habe ich es
gar nicht abgelegt. — Der Friedhof meines Herzens/ ist großzügig
gegossen jeden Sonntag.

Einsamkeit, Sonntagseinsamkeit; inmitten der Großstadt. Man¬
che kennen das: diese Form des Alleinseins, des Verlassenseins,
der Einsamkeit, des Ichseins. Nein, Glücksmomente sind das
sicherlich nicht.

Die Zeit schreitet fort. Das Älterwerden. Das Bewußtwerden
der eigenen Endlichkeit, mit zunehmendem Alter; mit abneh¬
mender Kraft, die vom Leben im Exil schneller aufgebraucht,
wovon man schneller ausgezehrt wird. Dieser Bereich kommt
zum Leben im Exil nun noch hinzu: dieses immer stärker wer¬
dende Gefühl vom Bewußtsein um die eigene Endlichkeit, um
die schon vorgerückte Zeit.

In den Glocken schwingt der Tod/ im Sekundenzeiger stockt die Zeit.

Plötzlich und schon wieder steht eine Verszeile als Markierung
am Lebensweg vor einem da, als dunkle, unerbittliche Bedrohung,
als Ausdruck des Wissens um das noch einmal Weggehen-Müssen
in ein anderes Land. Dem steht jetzt noch ein anderes intensives
Lebensgefühl und Wissen um sich selbst entgegen, das einhüllt
und beschützt, das Hoffung gibt, auch auf „die gestundete Zeit“
(Ingeborg Bachmann); das von Nahid im folgenden Vers ausge¬
drückt wird, der da lautet:

Ich bin so übervoll von Liebe/ und sehnender Zwersicht — ich
verliere mich im Atem des Lebens.

Vielleicht ist es die Liebe, die uns tröstet, die uns rettet; auch
wenn sie vergänglich ist, ist sie doch bisweilen und für eine Weile
ein Zufluchtsort, ja sogar ein Rettungsort, wenn wir unterzuge¬
hen drohen.

Die Liebe rettet dich — oder auch nicht;/ das weifst du schon längst,

heißt es in einem meiner Spätgedichte. Aber wann kommt
diese Liebe: wirklich dann, wenn man sie am nötigsten braucht?
Manchmal kommt sie auch nie. Oder der geliebte Mensch verläßt
uns, nein, nicht einfach so, sondern durch sein Sterben, durch
seinen Tod, durch sein Weggehen in ein anderes Land; in ein
Niemandsland. So viele unbeantwortete und auch unbeantwort¬
bare Fragen! Und da die Gewißheit: Auch wir Heimatbürger sind
immer auch zugleich in unserer Heimat-Behütung ausgesetzt dem
eigenen Ich als einem uns fremden Land. Und aus dem können
wir nicht emigrieren, nicht ins Exil gehen, in dem müssen wir
lebenslang verbleiben.

Auch diese Lebensdimension betrifft die Dichterin Nahid Bag¬
heri-Goldschmied. Ihr Wissen darum blitzt in ihren Gedichten, in
ihrer Literatur auf, prägt sie. „Die Zeit liegt im Niemandsland“ — so
ein Vers von ihr; ein Schlüssel zu ihrer Literatur und zu ihr selbst.
Und weil fiir die Dichterin Nahid Bagheri-Goldschmied alles so
war und ist wie es war und ist, rafft sie sich auf zu einem Appell
an die Menschheit; ein Appell, der vielleicht eine Besserung der
Menschheit und des Lebens, eine Befreiung von den das Leben
einengenden Kräften und zerstörerischen Machenschaften der
Menschheit bringen könnte, indem sie aus ihrem Ich-Gefängnis
hinausschreit: Öffnet die Türen und Fenster der Welt! Und das ist
keine Floskel, sondern ein Befreiungsruf, den wir ernst nehmen
sollten, wenn uns am Menschen und an dieser Welt noch etwas
liegt.

Peter Paul Wiplinger, Schrifisteller und künstlerischer Fotograf, geb.
1939 in Haslach, Oberösterreich. Lebt seit 1960 in Wien. Studium der
Theaterwissenschaft, Germanistik, Philosophie. Vorwiegend Lyriker.
Seine Gedichte wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt und als
Gedichtbände publiziert. Bisher 47 Buchpublikationen, hunderte
Beiträge in Anthologien und Zeitschriften. Zahlreiche Rundfunksen¬
dungen im Inland und im Ausland. Weitere Informationen: www.
wiplinger.eu

Juni 2018 39