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armenischen und der udmurtischen Nationalität wählen können. Mit großer Wahrscheinlichkeit war eine solche Familie übrigens russischsprachig und russisch akkulturiert. Kinder aus gemischten Ehen entschieden sich meist, wenn dies möglich war, für die im öffentlichen Leben „opportunere“ Nationalität. Wer einen jüdischen Vater und eine russische Mutter hatte, optierte eigentlich immer für die russische Volkszugehörigkeit. Ich selbst kenne eine Ausnahme. Der Sohn einer Bekannten meiner Mutter — Isaak (Isja) Rabinowitsch — deklarierte sich mit 16 als Jude. „Beruhige dich, Mama“, erklärte er seiner weinenden russischen, also nichtjüdischen Mutter, der er stolz seinen eben erst ausgestellten Personalausweis gezeigt hatte. „Isja. Isaak Abramowitsch Rabinowitsch. Russe? Das ist doch ein Witz; schau dir meine Nase an.“ Diese Geschichte zeigt, wie schr dieses Konzept der nationalen Identität von den Betroffenen selbst schon internalisiert worden war, was natürlich nicht bedeutet, dass sie glücklich damit waren. Die verpflichtende Angabe der Herkunft wurde in der Russischen Föderation 1992 abgeschafft. Der berüchtigte „Punkt 5“ — „Nationalität“ — wurde aus den Personalausweisen gestrichen. Die anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion taten dasselbe. In der Ukraine verschwand der Passus 1996, als die alten sowjetischen Ausweise durch neue ukrainische ersetzt wurden. In manchen Ländern gibt es die Möglichkeit, die Volkszugehörigkeit freiwillig anzugeben. Bei Volkszählungen wird sie weiterhin abgefragt, wobei allerdings die Wahl der jeweiligen „Nationalität“ frei ist. In der Russischen Föderation wurde allerdings vor einiger Zeit die Auswählmögichkeit auf real existierende Völker beschränkt, nachdem sich einige Menschen als Vudkanier oder Hobbits deklariert hatten. In den Köpfen vieler Menschen bleibt die alte Kategorisierung allerdings bestehen. Umfragen in Russland ergaben, dass etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung die Wiedereinführung der Nationalitätsrubrik im Pass befürworten würde. Viele andere lehnen dies jedoch vehement ab. Übrigens wird in Russland, um Missverständnissen vorzubeugen, zwischen den Begriffen Russkij, Russe, und Rossijanin, Bürger der Russischen Föderation (der ja nicht immer Russe ist), unterschieden. Westliche Länder kommen meist ohne solch übergeordnete Begriffe aus. Ein Österreicher mit türkischem Migrationshintergrund kann sich als Österreicher, Salzburger, Wiener oder Vorarlberger UND als Türke fühlen. Das geht doch. Oder etwa doch nicht? Das Wesen von autoritären Herrschaftssystemen (ob nun von absoluten Monarchien, faschistischen Regimen, sozialistischen Volksdemokratien oder islamischen Republiken) ist, dass sie Menschen kategorisieren, bewerten und ablegen. Die Schablone ist ein gutes Machtinstrument für Herrscher, den Beherrschten wiederum gibt es Sicherheit, ein Gefühl der Zugehörigkeit, die zum unabänderlichen Schicksal wird. Dadurch kommt man nie unter Stress, dieses Schicksal ändern zu müssen. Viele Menschen haben eine ausgesprochen sinnliche Beziehung zu ihrer eigenen Schablone. Dies wusste schon König Hammurabi, der vor etwa 3000 Jahren die erste umfassende Gesetzessammlung anfertigen ließ, die wir kennen. Dort wird klar zwischen Freien, Hörigen und Sklaven unterschieden. Wer einen Sklaven tötet, muss eine Strafe zahlen, wer einen Hörigen tötet, muss eine viel höhere Strafe zahlen, wer einen Freien töten, wird selbst getötet. Wer die Tochter eines Freien tötet, dessen eigene Tochter soll getötet werden. Den Zeitgenossen König Hammurabis erschien dies alles sowohl selbstverständlich als auch gerecht. Vielen Menschen in Osteuropa erscheint es heute selbstverständlich und gerecht, 74 ZWISCHENWELT dass ein dunkelhäutiger Mensch nicht der Titularnation in einem Land wie der Ukraine angehören kann. Aber fragen Sie bei uns eine „besorgte Bürgerin“ oder einen „besorgten Bürger“, ob ein gläubiger Moslem ein „echter Österreicher“ ist. Ist eine Muslima, die ein Kopftuch trägt, eine echte Österreicherin? Fragen Sie auch gleich, ob es einen Unterschied ausmacht, ob der Moslem zum Islam konvertiert ist und weiterhin Huber oder Mayer heißt oder das Kind türkischer Gastarbeiter ist. Die Antworten können Sie sich denken. Vorausgesetzt natürlich, Sie bekommen auf eine solche Frage eine ehrliche Antwort. Oder überhaupt eine Antwort. Jene Ukrainer, die sich darüber empören, dass irgendwelche dunkelhäutigen Menschen, die übrigens akzentfrei Ukrainisch sprechen, der ukrainischen Nation zugerechnet werden, sind aber nicht unbedingt Rassisten, jedenfalls schen sie sich nicht als solche. Was sie haben, ist ein Identitätskonzept, das vor allem ausschließt und nicht einschließt. Das hatten wir, hier bei uns, vor gar nicht so langer Zeit allerdings auch, und so wie es aussicht, kriecht es aus den Niederungen der Geschichte wieder hervor, breitet sich aus und feiert einen Etappensieg nach dem anderen — sowohl im Westen als auch im Osten. Heute haben wir eine „soziale Heimatpartei“, deren Chef sich vor ein paar Jahren beschwerte, man mache in unserem Land keine Politik für die „ärmsten der Armen, sondern für die wärmsten der Warmen“. Kein Wunder, dass es zwischen der FPÖ und dem Putin-Regime so viele Affinitäten gibt. Die französische Revolution war keine nationalistische, sondern eine nationale. Sie schloss alle ein, die sich zur französischen Nation bekannten, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrer Religionszugehörigkeit, und machte sie zu Franzosen. Das hinderte viele Franzosen nicht daran, rassistisch zu sein, es hinderte sie 150 Jahre später nicht daran, mit den Nazis zu kollaborieren, und es hindert sie heute nicht daran, die Front National zu wählen. Der Nationalsozialismus schloss alle aus, die rassisch nicht dazugehörten, und machte sie zu Untermenschen. Diese Zeiten sind natürlich längst vorbei und überwunden. Man sollte nur an keiner Pegida-Demo teilnehmen, sonst glaubt man das nicht so recht. Der „real existierende Sozialismus“ berief sich auf den Internationalismus, auf die Überwindung nationaler Grenzen und die Gleichheit aller, entwickelte aber ein klar etatistisches und hierarchisches Herrschaftsmodell, kategorisierte Menschen nach ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft, behauptete jedoch, das eine sei nur vorübergehend, das andere keineswegs diskriminierend, tat aber genau das Gegenteil von dem, was er behauptete. Man war chauvinistisch und rassistisch, verschlüsselte dies jedoch durch eine spezifische Form von „sozialistischer politischer Korrektheit“, so dass der Rassismus wie Freundschaft der Völker und der Chauvinismus und der Imperialismus wie eine Befreiungsideologie klangen. Juden, die man mit antisemitischen Beleidigungen angriff, wurden als „Kosmopoliten“ (und niemals als Juden) bezeichnet, das „große Russland“ habe andere Völker befreit und vereinigt (dies konnte man sogar in der sowjetischen Hymne hören), und die „große, reiche und mächtige russische Sprache“ sei die Sprache Lenins gewesen, der die Weltrevolution und die Befreiung aller Völker gepredigt hatte... Nach dem Zusammenbruch des Regimes verschwand diese Form der allzu offensichtlichen Heuchelei und verlogenen Rhetorik, die Denkungsart dahinter blieb jedoch bestehen. Was vor allem erhalten blieb, ist das Konzept der Kategorisierung und Ausschließung als konstitutives Merkmal des eigenen Selbst.