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im heißen Wasser und wurde eingeseift. Wieder fiel mein Blick auf Brüste und dann auf die über mich gebeugte Frau. Die lachte über meine Erregung, fröhlich, gab mir ein Stück Seife, rief, ich solle mich selber einseifen, da ich nun wach sei. Sie legte ein Tuch zum Abtrocknen bereit, zeigte auf einen Stuhl, über dem zivile Kleidung hergerichtet war und verließ den Raum. Ich sah die Frau am Brunnen erst heute Nacht wieder, in meinem Traum. „Hier sollte ich“, dachte mein Stiefvater, „etwas einfügen... Etwas einfügen, über diese unmittelbare Verbundenheit von zwei so jungen Fremden, die gemeinsame Blöße, die eine allgemeine war, und zu keinem gemeinsamen Leben führte. Dies kommt mir bedeutsam vor, wichtiger, als dass ich weitererzähle, wie ich mich in einem Gasthaus wiederfand, Rotwein und heiße Kastanien bestellte, um meine Ruhr zu kurieren, denn beides stopft. Da ich kein Geld hatte, verließ ich das Gasthaus durch die Toilette. Im Hof hingen Militärdecken. Ich nahm eine, legte sie über die Schulter und überwand eine kleine Mauer, um auf die Landstraße zu kommen. Hufe klapperten gemächlich neben mir. Ein Fuhrwerk blieb stehen, und ließ mich aufsitzen. Der Mann auf dem Bock wandte sich, während wir fuhren, immer wieder um und kniff ein Auge zusammen. Er wiss genau, wollte er damit sagen, dass ich Zeche geprellt und eine italienische Militärdecke mitgenommen hatte Noor Kanj Ein Leben auf gepackten Koffern Aus dem Arabischen von Hakan Özkan. Lektoriert von Bettina Baer Der Text entstand im Projekt „Ankunft — Literarische Reportagen von geflüchteten Autoren“ der Peter- Weiss-Stiftung für Kunst und Politik e.V. Die Autorin stellte ihren Text am 10. September 2017 beim 17. internationalen literaturfestival berlin zusammen mit der Autorin Susanne Heinrich vor. Am vierten Juli erhielt ich eine E-Mail, man bat mich darum, einen Text über meine Ankunft in Deutschland zu schreiben. Ich erinnere mich nicht mehr genau, was ich damals gefühlt habe. Kann man überhaupt seine persönliche Geschichte erzählen? Bestimmt unsere sehr persönliche Lebenserfahrung unser zukünftiges Leben nicht vollends? Sollte ich meine Erfahrungen allen Menschen offenbaren? Können wir das, was wir ausdrücken wollen — unsere Nöte, unseren Kummer, unsere Freude — anderen vermitteln, ohne dass wir dabei etwas verfälschen, etwas dazudichten oder auslassen? Wollen wir tatsächlich, dass jedes Detail unseres Lebens preisgegeben wird? Wollen wir, dass andere Menschen Teil dieser Geschichte werden? Fragen über Fragen, die mir den Anfang schwer machen... Ich habe genauso wie jeder andere Mensch auf dieser Welt das Recht, nach Freiheit zu streben, das zu sagen, was ich will und all das zu erreichen, was ich verloren habe: Familie und Land, Freunde und Träume. Verlust ist für mich eine Tatsache und existenziell, wie nichts anderes in meinem Leben. Ich erinnere mich noch an den Tag, als ich meinen Reisepass vom zuständigen Amt in meiner Heimatstadt Suwayda abgeholt und in Wirklichkeit ein desertierter Soldat einer feindlichen Armee sei.“ Mein Stiefvater pflegte jedes Mal, wenn er die Geschichte erzählte, ein Auge fest zusammenzukneifen, und dann lachte er, und wir konnten Fragen stellen, und er hatte wohl vergessen, dass er etwas einfügen hatte wollen. Er hat seine Geschichte so erzählt, dass die jungen Menschen um ihn stutzten und Fragen stellten, die er dann beantworten konnte. Dieses Treiben um ihn mag ihm etwas von seiner Einsamkeit in einer fremden neuen Zeit genommen haben. Aufden weiß gebliebenen Blättern auf seinem Schreibtisch aber steht seit heute: Diese Frau und ich, wir waren beide öffentlich entblößt durch den Krieg. Die Blöße der Märtyrer, die ich in diesem Augenblick verstand, und im Frieden dann nie wieder — in einem Frieden der Abschottung von solchen Dingen, die manchmal in der Luft schweben, der Abschottung durch einen Alltag der Nachkriegszeit — heute Zwischenkriegszeit genannt, wie jede Nachkriegszeit in Wahrheit Zwischenkriegszeit ist. Ich verstand die Blöße Christi, für einen Augenblick, ich, der ich vorher Atheist gewesen und bis heute bin. Ich sah die Frau am Brunnen erst wieder, heute Nacht, in meinem Traum. „Schreib“, sagte sie, „schreib über uns, und es wäre so cool, wenn Du über mich schreibst.“ Ja, sie sagte tatsächlich „cool“. Ich kann die Amerikaner nicht ausstehen, die ihre Sprache in unsere Träume schmuggeln. Damit wir nicht krank werden, nie mehr, krank werden, vor Liebe... und nach Frieden. habe. Ich freute mich wie jemand, der einen Sechser im Lotto gewonnen hat. Plötzlich fiel mir das Grab meiner Eltern ein. Ich dachte: Wenn ich weggehe, dann verwaise ich zum zweiten Mal. Von meinen Eltern blieben mir nur wenige Erinnerungen und Fotos, die ich nicht mitnehmen konnte. Ihr Tod wurde zu einem einschneidenden Ereignis, das mein weiteres Leben, meine richtigen und falschen Weichenstellungen beeinflussen sollte. Ihr Tod machte aus mir, wer ich heute bin. Ich lief in der Stadt, die aus einer anderen Zeit und einer anderen Welt zu stammen schien, herum, dachte nach, verlor mich in Erinnerungen, betrachtete die Straßen, die Geschäfte, die Bettler, die Menschen. Unter ihnen waren solche, die sich vor anderen fürchteten, die meinten, sie gehörten zu einer Minderheit, zu Unterdrückten, und dass die Mehrheit sich gegen sie verschworen hätte. Ich hielt meinen Pass wie im Traum und wusste, dass ich aus dem "Traum nicht aufwachen werde. Während ich herumlief, schaute ich ihn an, öffnete ihn, blätterte in ihm herum und sagte mir mit einem Lächeln auf den Lippen: „Endlich kannst du weg, Mädchen.“ Als ich im Feld Religion die Bezeichnung „Muslimin“ sah, stockte ich. Ich wusste nicht, ob ich mich ungerecht oder nur dumm behandelt fühlen sollte. Ich bin Drusin, das heißt, möglicherweise bin ich Drusin. Ich kann es nicht eindeutig sagen. Wenn du zu einer Religion gerechnet wirst, über die du kaum etwas weißt, außer dass du dazugehörst, was sagt das schon über dich aus! Eine Religion, die man selbst als Zugehörige nicht begreifen kann, die sich darüberhinaus bedroht fühlt und alles, was sie umgibt, argwöhnisch beäugt und sich deshalb bemüht zu Juni 2018 79