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„Pearl Harbour“ beginnt, mündet in einer der - in formaler Hinsicht — besonders interessanten Szenen des Buches: „Die Geschichte vom nicht erhängten Soldaten“. Der Beginn des Kapitels ist noch in der Vergangenheitsform verfasst und erzählt von einem abgestürzten amerikanischen Kampfpiloten, der nach einem Luftangriff von einer wütenden Menge misshandelt und auf den Hauptplatz geführt wird. An diesem Punkt bietet die Erzählung, nun im Konjunktiv, zwei mögliche Versionen an: In der einen wird der Soldat an einem Laternenpfahl aufgehängt. „So wäre es am ehesten gewesen“, kommentiert die Erzählung diesen Ausgang der Situation. Dann folgt ein weiterer möglicher Ausgang, in dem eine Frau einschreitet und die Ermordung des amerikanischen Soldaten verhindert. Beide Versionen stehen gleichwertig nebeneinander und wirken wie zwei verschiedene, einander gegenübergestellte Aussagen von Zeugen in einem Prozess. Im Laufe der Erzählung setzt der Autor dieses Stilmittel der zwei alternativen Realitäten des Öfteren ein und erzählt dadurch immer wieder unwahrscheinliche Geschichten. Als schließlich der desertierte weißrussische Maler Michail auf dem Bauernhof Zuflucht sucht, versteckt und schützt ihn die Familie. Wie weit ihr Mut geht, als der Flüchtling entdeckt wird, und ob der „Großvater“ im Buch sich — wie der Titel verspricht — tatsächlich heldenhaft verhält, ist ungewiss: Die Geschichte bietet auch hier mehrere Versionen an. Es ist dies eine der größten Stärken der Erzählung: Dass sie mit der Fiktion spielt und offen lässt, was sich tatsächlich ereignet hat. Zwar liefern jene Kapitel, die aus der Sicht Nellis geschrieben sind, stets Hinweise auf den letztendlichen Ausgang der Geschichten, dennoch bleibt dem Leser immer auch die Hoffnung, es habe in dem Grauen, welches das Buch beschreibt, irgendetwas auch ein gutes Ende gehabt. Gleichzeitig werden dadurch jene Leser und Leserinnen wachgerüttelt, die vorschnell annehmen, ohnehin schon zu wissen, wie Geschichten in einem Buch über die Zeit des Nationalsozialismus auszugehen haben. Wann immer der Autor — im letzten Moment — das Blatt noch einmal wendet, unterstreicht er damit außerdem, ohne es jemals explizit anzusprechen, dass der Ausgang jeder Situation, insbesondere im Krieg und in einer Diktatur, oft nur von der Entscheidung eines einzelnen Menschen abhängig ist, davon, ob dieser den Mut zu handeln hat oder ob er wortlos zuschaut. Dieser versteckte Appell - nicht zu resignieren, sondern selbst einzugreifen - ist es, welcher dem fein gearbeiteten Text zusätzliche Dringlichkeit verleiht. Auch wirkt die Erzählung wie eine nachgereichte Anklage an jene Teile der Zivilbevölkerung, die sich damals von der NS-Ideologie blenden ließen. Gerade in den letzten Wochen des zweiten Weltkrieges fanden in dem beschriebenen Gebiet, das zuletzt zwischen den Fronten lag, noch schwere Kriegsverbrechen statt. Hochgatterer, der in der Erzählung Geschichten aus seiner Großeltern- und Elterngeneration verarbeitet hat, hat aber vor allem jenen ein Denkmal gesetzt, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten gegen den Nationalsozialismus aufbegehrt und sich der Unmenschlichkeit verweigert haben. Dem Autor ist mit „Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war“ ein fast gemäldeartiges, in sich geschlossenes und dennoch überraschend offenes Werk gelungen, das die letzten Kriegswochen im ländlichen Raum anschaulich beschreibt. In einfacher, aber treffsicherer Sprache verfasst und mit einem jungen, selbstsicheren Mädchen als Protagonistin ist das Buch auch gut zur Lektüre in Schulen geeignet. Ina Ricarda Kolck-Thudt Paulus Hochgatterer: Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war. Wien: Deuticke im Paul Zsolnay Verlag 2017, 112 S. € 18,50 Die Geschichte des Warschauer Ghettos ist ohne Zweifel einer der dunkelsten Flecke im Geschichtsbuch des 20. Jahrhunderts. Zu Beginn praktisch schon ein Gefangnis, spater dann eine Sammelstelle fiir die Deportationen nach Treblinka und in andere Vernichtungslager. Außerdem Ausgangspunkt einer hoffnungslosen und mit dem Mut und dem Schmerz dieser Hoffnungslosigkeit geführten Widerstandsaktion, die in die Vernichtung des Ghettos und aller Bewohner, die sich nicht auf irgendeine Weise in Sicherheit bringen konnten, mündete. Der polnische Autor Ludwik Hering (1908 1984) galt nach dem Krieg als große Inspiration für viele polnische Künsder und vielen war er auch ein Mentor. Gemeinsam mit dem Dichter Miron Bialoszewski entwickelte er in den 1950er Jahren das eigenwillige „Teatr Osobny“ (das „Eigene Iheater“) in Warschau; im Nachwort zu diesem Erzählband wird er etwas umfassender portraitiert. Das Warschau des Ghettos hat Hering selbst gekannt und es 1945, im Rückblick, in drei Texten portraitiert; im Prinzip sind es drei Versuche (ein längerer, zwei kürzere), sich dem Elend und dem Grauen des Gegenstandes zu nähern, das Bild durch die Windungen der Erzählung scharfzustellen, auf dass es unübersehbar wird. Im ersten Text, Spuren, geht es zunächst um die Kinder, die sich morgens aus dem Ghetto stehlen, um irgendwie an Nahrung für sich und ihre Familien zukommen. Eines dieser Kinder 94 ZWISCHENWELT nimmt der Erzähler eine Nacht bei sich auf. Das Kind erzählt, stockend, von seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart. An seinem kleinen, simplen Beispiel, wird die Ungeheuerlichkeit des Ghettos nicht greifbar, aber auf Umwegen lernen wir in seiner Gestalt eine Existenz kennen, die das Ghetto und seine Mechanik hervorgebracht haben. Die ganze entsetzliche Psychologie, untrüglich zu lesen in den Augen eines wehrlosen Kindes. Hakenschlagen, stehenbleiben, fliehen. Diese Augen in den ausgemergelten, kleinen Gesichtern — aufmerksam, stets auf der Hut — wie oft habe diese Augen sie beschützt, und wie oft auch waren sie verräterisch. Von arischen Altersgenossen gestellt, an eine Hauswand geschmiegt, wird das Kind sich nicht wehren, nicht beißen, nicht treten. Schweigend steht es im Gejohle der Verhöhnung, sein Blick versucht, über die Köpfe der Peiniger hinweg zu entkommen, denn es gilt zu prüfen, ob nicht eine andere Gefahr sich nähert: eine Uniform. Der Text endet, unvermeidlich und doch widersinnig, nachdem die Gestalt des Kindes einem schon so nahgekommen ist, mit der Verstärkung der Wachen und der Auflösung des Ghettos im Juli 1942. Das Ghetto wird geräumt, niemand entkommt mehr über Tag, sondern muss entweder ausharren oder wird abtransportiert. Kinder werden den Händen ihrer Mütter entrissen, die Kinder, die einst hungrig durch Warschaus Straßen liefen, aber auch viel kleinere Kinder, die kaum laufen können. Das Ghetto lebte von Warschau— und Warschau lebte vom Ghetto. Jeder zog seinen Nutzen daraus, aufser jenen reinen Seelen, die ihren Nutzen zogen, ohne es wissen zu wollen. Es herrschte ein reger, ofhiziell illegaler Warenverkehr zwischen dem Ghetto und der Außenwelt. Wertgegenstände und in den Fabriken produzierte Güter verließen das Ghetto und viele Schmuggler machten sich die Ausnahmesituation der Menschen im Ghetto zunutze und ließen sich bezahlen für einige Dinge, die sie nachts durch Schlupflöcher ins Ghetto brachten oder oft auch tagsüber einfach an bestochenen Wachleuten vorbeitrugen. Auch Menschen wurden so herausgeschmuggelt. Diese absurde Situation des Ghettos als großes Geschäft, die bis zur Auflösung und dem anschließenden Aufstand gang und gäbe war, ist schon oft in Augenschein genommen worden; u.a. hat Roman Polanski in seinem Film „Der Pianist“ einige dieser Aspekte dargestellt. Hering schildert das Ganze aus der Perspektive eines alten, von vielen Schicksalsschlägen gebeutelten Nachtwächters, der an einem der Tore zum Ghetto auf das nahegelegene Fabrikgelände aufpassen soll. Hering selbst war auch Nachtwächter bei einer Gerberei und verhalfeinigen Menschen zur Flucht, indem er ihnen seine Kleidung gab und sich von seinem Onkel, der auf dem Gelände der Gerberei wohnte, andere Kleidung lieh. Seine Tochter schreibt in ihrem Nachwort: