Tuvia Rübner
Was sich seinem Namen entzieht
All dieses Leid
dieser Kummer und Gram
All dies Leid und dieser Gram
vergebens
Alle die Mütter
angstverkrümmt
die verwirrten Augen
All dieser nüchterne Irrsinn
vergebens, vergebens
Die Väter, alle die
Gleichmut vorspielenden Väter
vergebens
wehe, dieses Land
blutbetäubte Land
vergebens, vergebens
der Hass
der menschenvertilgende Hass
wehe wehe
All die jungen Gesichter
bunten jungen Gesichter
wehe, ihre Farbe verblich
Das fotografierte Lächeln
der Mädchen, jungen Frauen
die Küsse, Umarmungen
vergebens, vergebens
Blut betrunken von Blut
wehe, das verbrannte Fleisch
vergebens
der Untergang
der blindwütige augenlose Untergang
wehe, wehe
das knirschende Herz, machtlos
das Nirgendswohin
Was sich seinem Namen entzieht
Was sich seinem Namen entzieht
was den Menschen in uns ausradiert
nicht zu schlucken, nicht zu speien ist
legt sich als weißer Schatten auf jedes Wort.
Eine Amsel durchquert schräg die Luft
der Maulbeerbaum streckt seine breiten Blätter aus
hindurch fährt wie der Wind Kinderlachen.
Kommt in den Untergrund!
Lasst uns im Untergrund leben,
unter dem Land seiner Obrigkeit hörig
und preisen seine grünen Flächen, solange sie es noch gibt,
die Pracht seiner Eichen und Matix-Iherebinthen,
auch seiner Fichten, verdorrten sie nicht,
preisen die Schneeblüten der Mandelbäume im Frühling
und das Gelb der Pekannussbäume im Herbst,
die Bougainvilleen in ihren Farben von orange bis violett.
Ein Segen sind die Graddenkenden, die mit den reinen Händen,
deren Stimmen kaum hörbar sind und auch der Wildbach Dan,
der wie eine Herde weißer Büffel selbst im Sommer daherstürmt,
preisen das Purgatorium ihrer Sommer, den See Genezareth,
solange er
wie ein Auge des Abgrunds und ein Spiegel des Himmels ist,
sind wir doch gliicklich unter uns Gutherzige zu haben,
die den Hilfebdiirftigen unter die Achsel greifen — lasst uns
die Verborgenen entdecken und jene, denen die Liige nicht ihr
tagliches Brot ist, und preisen das Kleinod der Wiiste, das einzige
unseres Planeten, das Tote Meer, che es völlig ausgetrocknet ist.
Lasst uns preisen die grenzenlose Schönheit dieses Landes,
lasst uns im Untergrund leben!
In meiner frühen Jugend kannte ich
Griechenlands Götter und Helden besser
als so manche aus meiner Umgebung.
Aber nicht Skylla und Charybdis sondern ein Sturzregen
versperrte den Verkehr bei der Ausfahrt vom Flughafen Bratislava
und ich weiß gar nicht weshalb ich hierher kam statt einzuschlafen.
Es ist schon spät. Vergaß ich, dass diese Stadt mich ausgespien
hatte
und einem kupfernen Himmel preisgab? Oder soll ich ihr
dankbar sein, da ich durch ihren Verstoß am Leben blieb?
Das Geheul der Sirenen auf der Eilstrasse nach Beth Shean
geht unter im dumpfen Dröhnen der vorbeieilenden Emekbahn.
Ich taste nach meiner Uhr und finde sie nicht.
Ihr Name war Aja, nicht Kirke.
Die Erinnerung vergiftet wie Arsen, tötet langsam.
Ich bin todmüde.
Kein Kyklop versperrt mir nach der blauen Kirche die Einbiegung
in die Grösslinggasse mit dem Haus meiner Kindheit.
Wo bin ich?
Ich höre etwas. Höre ich richtig?
„Nicht Penelope. Persephone.“