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Klaus Hübner Bomben und Zischlaute Ein Roman von Hermann Kesten 26. April 1937 — mehr als achtzig Jahre ist es her, dass deutsche Kampfllugzeuge der „Legion Condor“ zusammen mit dem italienischen „Corpo Truppe Volontarie“ die spanischen Putschisten unter Francisco Franco unterstützten und wehrlose baskische Städte wie Gernika und Durango in Schutt und Asche legten. Pablo Picasso reagierte schnell — sein Gemälde Guernica entstand noch 1937 und gehört seither zu den bekanntesten Werken des weltberühmten Malers. Zu den zahlreichen zivilisierten Europäern, die mit Empörung und Erschütterung auf diese damals neue und ungeahnte Eskalation des Kriegsgeschehens reagierten, zählte auch ein aus Franken stammender Literat: Hermann Kesten. Zwei Jahre nach dem Bombardement legte er seinen Roman dazu vor: Die Kinder von Gernika. Der im Jahr 1900 in Nürnberg geborene und dort auch aufgewachsene Kesten, ein in der Weimarer Republik recht erfolgreicher Autor von Gedichten und Theaterstiicken sowie von zahlreichen Romanen, Novellen, Essays und Kollegenporträts, musste als Jude aus Deutschland fliehen, nach Holland, Frankreich und 1940 in die USA. 1953 ließ er sich in Rom nieder - in Deutschland wollte er nicht mehr leben. Später ging er nach Basel, wo er mit 96 Jahren starb, hochgeehrt als Chronist seines Jahrhunderts; Albert M. Debrunner hat für seine neue, durch die Fülle des ausgebreiteten Materials geradezu überwältigende Kesten-Biografie nicht ohne Grund den Titel Zu Hause im 20. Jahrhundert gewählt. Zur Zeit des Bürgerkriegs war Hermann Kesten nicht in Spanien. Aber er nahm Anteil: „Die Kinder, neben dem Volk und der Kultur Spaniens, sind die wahren Opfer des Bürgerkriegs“, schrieb der liberale Pazifist Kesten 1938 an Ernst Toller. Es habe neben den in Spanien aktiv kämpfenden, meist kommunistischen deutschen Schriftstellern eine ganze Reihe von Autoren gegeben, die den Bürgerkrieg „zwar aus der Ferne, aber mit starker Anteilnahme“ beobachtet und ihn zum „Gegenstand von Erzählungen oder Dramen“ gemacht hätten, fasst Patrik v. zur Mühlen in seinem Buch Spanien war ihre Hoffnung. Die deutsche Linke im Spanischen Bürgerkrieg 1936 bis 1939 (1983) zusammen und nennt dabei auch Hermann Kesten, in dessen Werk von Anfang an das Thema der Freiheit des Individuums im Vordergrund stand. Nach den historischen Romanen Ferdinand und Isabella (1936) und König Philipp II. (1938), die Spaniens Aufstieg zur Weltmacht im 15. und 16. Jahrhundert als Tragödie und zugleich als Farce zeigen, schrieb Kesten unter dem unmittelbaren Eindruck des 26. April 1937 Die Kinder von Gernika, ein Buch, das unübersehbare Parallelen zu seinem Prosadebüt Josef sucht die Freiheit (1927) aufweist. Dieser Roman, der seine Leser erschüttern und zu mehr antimilitaristischem Engagement aufrütteln sollte, „derives its character to a significant degree from its structure as a family novel“, hebt Robert FE Bell hervor. Carlos Espinosa, der Protagonist dieses 1939 in Amsterdam erschienenen Familienromans, ist 15 Jahre alt und lebt bei seinen Adoptiveltern in Paris, „eines dieser vielen tausend spanischen Flüchtlingskinder, die man neuerdings in den Städten Europas gewahrt“. Der Apothekerssohn aus Gernika berichtet dem IchErzähler von seiner Familie, die ohne ihr Zutun zwischen die politischen Fronten und am 26. April 1937 ins Bomben- und MG-Feuer deutscher Jagdflieger geriet — der Vater und vier Geschwister kamen darin um: „Wir waren sieben Kinder, am Montagmorgen. Abends lebten noch drei.“ Die näheren Einzelheiten der verwickelten, durch die Gestalt des Onkel Pablo partienweise auch komischen Handlung von Die Kinder von Gernika, deren Erzählkern natürlich die barbarischen Angriffe der Legion Condor auf das baskische Städtchen und das benachbarte Durango sind, können hier nicht genauer erörtert werden. Der Bürgerkrieg, über den Carlos berichtet, hatte lange vor diesen Angriffen begonnen, das Leben in Gernika wurde immer bedrohlicher, Flüchtlinge aus Irun oder San Sebastiän verbreiteten die aberwitzigsten Gerüchte, die Kinder wurden zunehmend verstört und die Erwachsenen, besonders der Vater, wurden immer nervöser: „Es war, als säße der Krieg rülpsend und fett in unserem Haus und blase auf uns, Seifenblasen, so schien es manchmal, langsam tötendes Giftgas ein andermal ... Die Angst ist die wahre Kinderhölle.“ Selbst scheinbar lustige Episoden wie die mit einem deutschen Gast entbehren nicht des Unheimlichen: Eines Tages bringt der weltläufige Onkel Pablo, der den Kindern schon einmal den schneidigen Ton der Wehrmacht vorgeführt hatte, einen wenig sympathischen Geschäftsmann und Opportunisten ins Haus, einen August Perkonigg, der angeblich seit 1910 die Firma Krupp in Bilbao vertritt, in Wirklichkeit aber Chef der deutschen Spionage im Ersten Weltkrieg gewesen ist. Nun berichtet er von den Angriffen auf Bilbao und Las Arenas. Auf seine Frage, ob sie Deutsch sprächen, antworten die Geschwister im Chor mit „Jawoll! Jawoll!“ — und bringen sogleich spontan erfundene „Artikulationen“ hervor, die ihnen der deutschen Sprache ähnlich erscheinen: „Wir spuckten ganze Wagenladungen voll Konsonanten und Zischlauten aus und machten die Oberkörper steif und die Gesten eckig und schnarrten.“ Und selbst als der Fremde schon lange wieder fort ist, dröhnen den Kindern die Ohren vom „Schall seines donnernden Gelächters“. Die baskischen Kinder, von denen der deutsche Autor erzählt, haben also bereits einen Deutschen und seine Sprache erlebt, als das Unfassbare geschieht: „Ausländische Buben kommen geflogen — zur Hilfe der heimischen Mörder —, aus fernen Ländern geflogen, und sie werfen Bomben auf meinen Bruder Ghil! Oh, wie zärtlich er lächelte, mit siebenjähriger Weltlust! Und sie zerrissen ihn!“. Für dieses Verbrechen, sagt Carlos später in Paris dem Ich-Erzähler, bleibe Deutschland verflucht — nein, nicht doch, antwortet dieser: „Schelten wir nicht Völker, schelten wir das Böse!“ Man kann das ohne Rücksicht auf den Romankontext als Hermann Kesten pur lesen. Das letzte Wort in Die Kinder von Gernika hat seine Haupthgur Carlos, doch auch hier hört man den Autor selber sprechen: „Sie meinen, der Krieg in Spanien muss einmal aufhören? Er hat schon über zwei Jahre gedauert. Wenn es genug tote Spanier gibt, hört er vielleicht einmal auf. Dann werden wir heimkehren, zu unseren Toten. Und dann? ... Was kann aus mir noch werden?“ ‘Thomas Mann hat diesen antiheroischen Roman einen Hohepunkt im Schaffen Hermann Kestens genannt und von einer sehr beeindruckenden Darstellung der „konsternierenden Ambivalenz des Menschlichen“ gesprochen, „die kein Urteil zulässt wie ‚Der November 2018 13