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Stephan Grigat
Die Arbeit nieder!

Würde heute ein Politiker oder eine Politikerin fordern „weitet die
Arbeitslosigkeit aus“, er oder sie könnte sofort einpacken. Des¬
wegen versprechen Politmanager über alle Parteigrenzen hinweg
bekanntlich genau das Gegenteil: nämlich Arbeit, Arbeit, Arbeit.
Und das, obwohl jeder weiß oder zumindest wissen könnte, wenn
er morgens oder abends den Mitmenschen in der U-Bahn oder
im Bus genauer ins Gesicht schauen würde: Arbeit macht krank,
Arbeit ist Mühsal und macht hässlich. Karl Marx wusste das und
hat allen Kritikern gesellschaftlicher Elendsproduktion in seinem
Hauptwerk Das Kapital ins Stammbuch geschrieben: „Das Reich
der Freiheit beginnt erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und
äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört.“ An anderer Stel¬
le, in seinen Anmerkungen zum deutschen Nationalökonomen
Friedrich List führt Marx aus: „Es ist eins der größten Mißver¬
ständnisse, von freier, gesellschaftlicher menschlicher Arbeit, von
Arbeit ohne Privateigentum zu sprechen. Die ‚Arbeit‘ ist ihrem
Wesen nach die unfreie, unmenschliche, ungesellschaftliche, von
Privateigentum bedingte und das Privateigentum schaffende Tä¬
tigkeit. Die Aufhebung des Privateigentums wird also erst zu einer
Wirklichkeit, wenn sie als Aufhebug der Arbeit gefaßt wird.“

Der Mainstream der sich merkwürdigerweise immer wieder
auf Marx berufenden Arbeiterbewegung hat die Vernutzung der
Arbeitskräfte zum Zweck der Verwertung des Kapitals hingegen
zum sine qua non der Selbstverwirklichung geadelt. Das proleta¬
tische Schaffen sei gut, und der eigentliche Skandal des Kapita¬
lismus bestehe darin, nicht jedem Menschen einen Arbeitsplatz
zur Verfügung zu stellen.

1891 schrieb Oscar Wilde in seinem Essay Der Sozialismus und
die Seele des Menschen: „Heutzutage wird schr viel Unsinn über die
Würde der körperlichen Arbeit geschrieben. An der körperlichen
Arbeit ist ganz und gar nichts notwendig Würdevolles [...]. Es
ist geistig und moralisch genommen schimpflich für den Men¬
schen, irgendetwas zu tun, was ihm keine Freude macht, und viele
Formen der Arbeit sind ganz freudlose Beschäftigungen.“ Hätte
sich die Linke in den letzten 100 Jahren mehr an Oscar Wildes
vorzüglicher und leider viel zu unbekannten Schrift orientiert,
anstatt den Arbeitsfetischismus ihrer Vordenker aufzusaugen,
hätte sie gewusst, dass Arbeit den Menschen in aller Regel nicht
erfüllt, sondern fertig macht. Sie würde nicht beklagen, dass der
Gesellschaft die Arbeit ausgeht, sondern skandalisieren, dass in
der bestehenden Gesellschaft solch eine ausgesprochen begrü¬
ßenswerte Entwicklung zu keiner Befreiung führt. Was ist das
für eine Welt, in welcher der technische Fortschritt systematisch
neues Elend verursacht, anstatt die Menschen von der Plackerei
zu befreien? Und was sind das für Menschen, die angesichts der
Einrichtung dieser Welt nicht mit aller Leidenschaft für jenes ganz
Andere streiten, das es den Individuen ermöglichen müsste, sich
in Ausschweifung und Genuss, geistiger und körperlicher Hin¬
gabe, Kunst und intellektueller Selbstreflexion als Gattungswesen
überhaupt erst zu konstituieren?

Es ginge darum, sich die Welt im wie auch immer widersprüch¬
lichen Einklang mit den Mitmenschen und mit der größtmög¬
lichen Bequemlichkeit anzueignen. Das hieße unter anderem:

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Transformation des Privateigentums an zentralen Produktions¬
mitteln hin zu gesellschaftlicher Verfügung zum Zwecke der
Verwirklichung von Freiheit. Nicht aus Hass auf die Reichen
oder gar den Reichtum, sondern auf Grund der Beschränkungen
der menschlichen Entfaltung, die solche Formen von Eigentum
zwangsläufig mit sich bringen und selbst noch den Besitzenden
auferlegen. Es ginge um eine von Ausbeutung und Herrschaft
befreite Gesellschaft, nicht zum Zwecke der Konstitution repres¬
siver Kollektive oder gar einer Rückkehr zu irgendeiner vermeint¬
lich „natürlichen“, vorzivilisatorischen Lebensweise, sondern zur
Befreiung der Individuen aus jenen gesellschaftlichen Zwängen,
die angesichts des gesellschaftlichen Reichtums vollkommen ana¬
chronistisch sind.

Doch statt für die Bedingungen der Möglichkeit individueller
Freiheit und gesellschaftlicher Autonomie zu streiten, für eine Art
produktiven Müßiggang, der das Gegenteil von auf die Dauer nur
Langeweile verströmendem Nichtstun wäre, suchen allzu viele in
der Schinderei der Arbeit Erfüllung — und findet sie womöglich
auch noch.

Die Linken haben den Arbeitsfetischismus keineswegs für sich
gepachtet. Ob Sozialdemokraten oder Bolschewisten, ob christliche
Soziallehre, islamistischer Furor oder faschistischer Produktivitats¬
wahn, ob Leninisten oder liberale Verwertungsapologeten — bei
aller Heterogenitat ihrer jeweiligen politischen Projekte konnten
und können sie sich doch alle für die elende Parole „Die Arbeit
hoch“ begeistern. Sayd Qutb, der Vordenker der ägyptischen
Muslimbruderschaft, der von Ali Khamenei ins Persische übersetzt
wurde, lobt in seinem programmatischen Werk Wegmarken den
Islam dafür, dass er den Menschen im „Zentrum Afrikas [...] die
Freude an der Arbeit“ lehrte. In der Bibel heißt es: „Wenn jemand
nicht arbeiten will, soll er auch nicht essen.“ Auf den Parolenbän¬
dern der stalinistischen Arbeitslager wurde das nur geringfügig
abgewandelt. Und vor einigen Jahren hat auch Franz Müntefering
als SPD-Vorsitzender mit dem Ausspruch „Nur wer arbeitet, soll
auch essen“ das Programm seiner Partei für die Schwachen und
Armen schön auf den Punkt gebracht. Papst Ratzinger verkündete,
die Arbeit trage dazu bei, „Gott und den anderen näher zu sein“.
Beim Nazi-Versand ihres Vertrauens können Sie „I-Hemden“
mit der Aufschrift „Arbeit adelt“ erwerben, dem alten Slogan des
nationalsozialistischen Reichsarbeitsdienstes. Bei der NPD firmiert
„Arbeit“ noch vor „Familie“ und „Vaterland“, die Freiheitliche
Partei in Österreich forderte „Hackeln statt packeln“ und linke
Gruppen drohen ihren Gegnern in ihren reichlich abgehalfterten
Demoparolen an, sie „in die Produktion“ zu schicken.

Wo sich Gewerkschaften zumindest innerhalb des schlechten
Bestehenden als partiell vernünftig erweisen und wie die Schweizer
Arbeitervertretung einen Volksentscheid zur Arbeitsminimierung
initiieren, prallen sie auf die geballte Arbeitswut der Mehrheits¬
bevölkerung: 66,5 Prozent der Eidgenossen stimmten 2012 in
einem Referendum gegen die Verlängerung des gesetzlichen Min¬
desturlaubs von vier auf sechs Wochen.

Der Mainstream der Linken liebt die Arbeit. In vielen ihrer Aus¬
prägungen steht sie geradezu für eine Hingabe an die menschliche