OCR
Konstantin Kaiser Mit Entsetzen nehme ich zur Kenntnis, dass führende österreichische Gewerkschafter sich mit der Idee eines Zehnstundentages arrangieren, indem sie die Vereinbarung von Viertagewochen ins Auge fassen. Selbstredend sollen dabei auch Neuvereinbarungen der Wochenarbeitszeit in Richtung 38-Stunden-Woche herausschauen. Aber selbst wenn ein künftiger Zehnstundentag letztlich de facto nur ein Neuneinhalbstundentag sein mag, bleibt der Zeitaufwand für die Betroffenen inklusive Wege zum und vom Arbeitsplatz kaum unter zehneinhalb Stunden; die Frage, ob die Pause nach der sechsten Arbeitsstunde in die Arbeitszeit eingerechnet wird oder nicht, ist dabei noch offen. Diese Art von Viertagewoche geht in jeder Hinsicht in die falsche Richtung. Erstens verschärft ein Zehnstundentag alle Probleme der Kinderbetreuung und verstärkt die Tendenz, Mütter aus dem Arbeitsleben zu drangen oder auf Teilzeitbeschaftigungen zu fixieren. (Das kann auch einer kleineren Gruppe von Vätern passieren.) Richard Wall Zweitens können sich nur wenige Menschen nach einem überlangen Arbeitstag mit anderen Dingen ernsthaft beschäftigen, sei es ein Hobby, ein Sport, die Pflege einer Freundschaft, ein politisches, soziales oder kulturelles Engagement. Die Idee des Achtstundentages war ja, den Arbeitenden ein ausgeglicheneres Leben zu ermöglichen, mit einigermaßen normalen Zeiteinteilungen. Und dies nicht nur an arbeitsfreien Tagen. Drittens steigt die psychische und physische Belastung bei überlanger Arbeitszeit überproportionalan. Es nimmt in den späteren Stunden des Arbeitstages aber auch die Arbeitsproduktivität ab. Wenn man also davon ausgeht, dass diese Stunden zu gleichem Tarif bezahlt werden wie die bisherigen Normalarbeitsstunden, wird die letztlich gesunkene Arbeitproduktivität mittelfristig einen Druck auf den Reallohn ausüben. Viertens dürfte eine Viertagewoche zwar für alle Pendler günstiger sein, was den Zeitaufwand der Anreise betrifft, fördert jedoch die’ Tendenz, sich außerhalb der Städte anzusiedeln, um dort die verlängerten Wochenden bei Garten- und Traditionspflege genießen zu können. Drei Tage Man kann sagen, dass der Faschismus der alten Kunst zu lügen gewissermaßen eine neue Variante hinzugefügt hat — die teuflischste Variante, die man sich denken kann — nämlich: das Wahrlügen. Hannah Arendt Es sei gar nicht so einfach, meinte ich, eine Nation, einen Kontinent so weit zu bringen, dass die Bevölkerung ihre Ideen von Freiheit und zivilisiertrem Umgang aufgibt. Ich habe mich, so wie viele andere, geirrt. Faschismus entsteht in einer Demokratie nicht von heute auf Morgen. Man muss Versuchsballons starten, die folgenden Zweck erfüllen: Erstens Menschen mit gezielten Aussagen an etwas zu gewöhnen, von dem sie zunächst noch zurückschrecken. Zweitens die Mittel dieser Manipulation — eindimensionale Erklarungsmuster — zu verfeinern, zu variieren und quantitativ zu steigern. Diese Wühlarbeit geschieht derzeit. Man muss schon ein Narr oder Dummkopf sein, um dies nicht zu erkennen. Ein bevorzugtes Mittel des Faschismus ist die Manipulation von Wahlen. Jeder konnte sehen, wie dies beispielsweise bei der Wahl von 72 ZWISCHENWELT Trump, beim Brexit-Referendum und in der Türkei funktionierte. Eine weitere Strategie ist das Ansprechen atavistischer Gefühle, die Schaffung von stammesähnlichen Identitäten, die Spaltung der Gesellschaft in sich gegenseitig ausschließende Gruppen und Gruppierungen. Der Faschismus benötigt keine Mehrheit. Er erobert sich die Macht mit weniger als 50 Prozent der Wählerstimmen. Er versucht in der Folge mit allen möglichen Mitteln, Kontrolle über das politische Geschehen zu erlangen; und er betreibt Einschüchterung, um die Macht auszubauen und schließlich zu konsolidieren. Es macht gar nichts aus, wenn die Mehrheit diese Vorgänge ablehnt, solange rund 30 bis 40 Prozent den Prozess fanatisch unterstützen. Selbstverständlich wird der Faschismus durch eine Wirtschaftsideologie begünstigt, die all dem nichts entgegensetzt: Der Neoliberalismus ist auf seiner Seite. Die Theoretiker und Professoren Friedrich August von Hayek und Milton Friedman haben die Grundlagen geliefert, Heerscharen von Schulen wie jene der „Chicago Boys“ haben erfolgreich eine Gegenbewegung zur Sozialen Marktwirtschaft eingeleitet. Und, Rekreation machen vier Tage Arbeitssklaverei nicht wett. Fünftens: Über die gesundheitlichen Folgen mögen Arbeitsmediziner urteilen. Ich kann mir, vor allem bei den psychischen Erkrankungen, einiges ausmalen. Ich schreibe das auch, weil ich häufiger Mitorganisator von Autorenlesungen, Diskussionen, Vorträgen bin, zu deren TeilnehmerInnen Personen nach einem Zehnstundentag eher nicht gehören werden. DS.: Es ist mir bekannt, dass die Viertagewoche auch von manchen ArbeitnehmerInnen begrüft wird. Und es ist mir bewusst, dass aufgrund des technischen Fortschritts statt des Achtstundentages ein Sechsstundentag möglich und wünschenswert wäre. Das ist aber kein Grund, den Achtstundentag nicht zu verteidigen. Angesichts dessen, dass der österreichische Staat die gesetzlichen Regelungen des Achtstundentages aufweicht und aushöhlt, müsste wenigstens die Gewerkschaft die ArbeiterInnen davor schützen, sich mit Haut und Haar zu verkaufen. wir erinnern uns: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“ (Max Horkheimer, Die Juden in Europa, 1939). Die Strategen des Faschismus brauchen und gebrauchen eine Propagandamaschinerie, die so effektvoll ist, dass sie für seine Anhänger und Handlanger ein ganzes Universum von „alternativen Fakten“ schafft. Diese Indoktrinierung geht permanent und aggressiv gegen ungewünschte Realitäten und Tatsachen vor. Sind Lügen einmal in die Welt gesetzt, ist es nahezu unmöglich, das Gegenteil zu beweisen. Emotionen, nicht Fakten, schaffen die Realität. Dies alles geht in Ungarn, in Polen, in Deutschland, in der Türkei, in den USA und hierzulande bereits vor sich, wird ausgetestet, hat Erfolg. Sobald all dies funktioniert, haarsträubende Aussagen und Anschuldigungen zur Gewohnheit werden und mit dem Frühstück zum Alltag gehören, kommt der nächste Schritt: Moralische Grenzen werden unterminiert und zu Fall gebracht. Das Volk wird daran gewöhnt, extrem grausame Handlungen zu akzeptieren. Wie eine Meute von Bluthunden muss es auf