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Foto-Copyright: Privat/Dr. Nikola Gauß

natürlich die Gruppe der Überlebenden des Massakers von Hofamt
Priel unter der Führung von Dr. Henrik Weisz die einmarschie¬
renden Sowjettruppen mit weißem Flieder, den sie von einem
Strauch im Krankenhausgarten gepflückt hatten.

Manfred Wieningers Buch „223 oder Das Faustpfand. Ein Krimi¬
nalfall“ ist 2012 im Residenz Verlag erschienen. Eine Rezension des
Buches erschien in ZW Nr. 1-2/2013. In ihr wird informiert: „In

Gloria Gray Katz

leerstehenden Baubaracken des kaum begonnenen Donaukraftwerk¬
projekts Persenbeug wurde im April 1945 ein Auffanglager fiir aus
Wien und Strafshof in Fufsmdrschen nach Westen getriebene jüdische
ZwangsarbeiterInnen eingerichet. Für Bewachung und notdürftige
Versorgung wurde der Gendarmerieposten in Persenbeug verantwort¬
lich gemacht, und da wieder der eben hierher versetzte Revierinspektor
Winkler, der nach dem Verschwinden des Postenkommandanten die
Befehlsgewalt ausübte.

Das Lager blieb nachts unbewacht, und so konnte eine kleine SS¬
Einheit mit Unterstützung unidentifiziert bleibender einheimischer
Helfer das Lager in tiefer Nacht überfallen und seine Insassen an
eine zuvor gewählte Mordstätte im unweit gelegenen Hofamt Priel
bringen. Nur sechs Personen überlebten.“

Literatur und Quellen

Eleonore Lappin-Eppel: Ungarisch-Jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsar¬
beiterinnen in Österreich 1944/45. Arbeitseinsatz - Todesmärsche — Folgen.
Wien, Berlin: Lit 2010.

Henrik Weisz: Blut, Blut. In: Eleonore Lappin, Susanne Uslu-Pauer, Manfred
Wieninger: Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in
Niederösterreich 1944/45. Hg. von Willibald Rosner und Reinelde Motz¬
Linhart. St. Pölten: Institut für Landeskunde von Niederösterreich 2006,
S. 164-167

Manfred Wieninger: 223 oder Das Faustpfand. Ein Kriminalfall. St. Pölten,
Salzburg, Wien: Residenz 2012.

Gespräch mit Dr. Nikola Gauß vom 14.8.2018.

Waren es Fäuste, die an unsere Tür schlugen, oder Gewehrkolben?
Die sanfte Mitternacht der Kleinstadt bei Wien wurde plötzlich
durch einen Wirbel grober Schläge gegen die dünne Wohnungstür
unterbrochen. In der ruhigen Herbstnacht hörte sich das unna¬
türlich, fehl am Platz an.

„Sei still“, Aüsterte meine Mutter, „kein Laut, vielleicht ver¬
schwinden sie wieder.“ Es war das Jahr 1938, ein paar Monate
nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs an Deutschland. In Mödling,
dem kleinen Wiener Vorort, waren die Veränderungen durch die
Nazis wie eine langsame, schleichende Krankheit, die meiner bis
dahin beschaulichen Kindheit abrupt ein Ende bereiten sollte.

In einschüchternden Uniformen mit schimmernden SS-Abzeichen
drängten sich die Männer durch die Tür, die Gewehre griffbereit.
Aus dem Schlaf gerissen, blickte ich erstaunt, ungläubig und,
ehrlich gesagt, nur wenig verängstigt um mich, beinahe ein wenig
begeistert von der ganzen Aufregung. Schließlich war ich zu dem
Zeitpunkt gerade einmal acht Jahre alt.

Sie kamen mit Anordnungen, Formularen und einem Klemm¬
brett. „Alle von euch: Hoch, und kommt sofort mit uns!“, bellte
der Kommandant. Die Proteste meiner Mutter überging man.
„Nehmen Sie Ihre Dokumente und stecken Sie alle Wertsachen
in diesen Umschlag“, brüllte ein anderer, der die Formulare und
das Klemmbrett bei sich hatte.

„Aber wir sind ohnehin kurz davor auszuwandern, ich und meine
zwei Kinder. Sehen Sie, wir haben Fahrkarten, die Genehmigung

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ist fast erteilt... Sie können nachschauen, ich habe gepackt...“,
flehte meine Mutter zitternd.

„Ich werde mich nach Ihnen erkundigen“, entgegnete der Soldat
mit dem Klemmbrett überraschend und ließ seine Gefolgsleute,
die noch immer fest ihre Waffen umklammerten, zurück. Doch
es nützte nichts.

„Sie müssen mitkommen. Wir haben den Befehl, alle Juden
Mödlings mitzunehmen. Keine Ausnahmen.“

Während meine Mutter hastig ein wenig Kleidung zusammensuch¬
te, sich schnell ankleidete, die Wertgegenstände zusammenklaubte
und nervös in den speziell vorgesehenen Umschlag steckte, lösten
die Ereignisse für das achtjährige Mädchen vor allem das plötzliche
und dringende Bedürfnis aus, die Blase zu entleeren. „Sie muss
auf die Toilette“, Hüsterte meine Mutter stellvertretend für mich.
„Gut, einer unserer Männer muss sie begleiten.“

Und tatsächlich, einer aus dem TIrupp, jung und offenkundig
von niedrigem Rang (und merklich peinlich berührt) erfüllte seine
Aufgabe und lehnte sich an den Türpfosten des Badezimmers.
Ich war natürlich schr verlegen, aber auch überrascht von einem
aufkommenden, völlig unangebrachten Selbstwertgefühl. Solch
unerwünschte Aufmerksamkeit...

Danach wurde meiner Mutter und uns zwei Kindern (mir und
meiner Schwester, die fast zehn war) befohlen, uns nach draußen
zu begeben. Und dann marschierten wir, zwei Bewaffnete vor uns
und zwei hinter uns mit Gewehr im Anschlag, durch die stillen
Straßen des nächtlich dunklen Ortes. Ich erinnere mich noch