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5 Als hier nicht weiter besprochenes Buch soll auf Felix Kucher, Kamnik,
Wien 2018, hingewiesen werden.

6 Nikolaus Prokop, Der Untergang im Wienerherz, http://railaxed.at/articles/
view/70/david_schalkos_krimipremiere (27.10.2018).

7 Geht es nach Régis Jauffret, so war nicht erst Fritzl, sondern bereits Nen¬
ning das personifizierte Böse an sich. Gerade in Mauthausen habe sich das
gezeigt: „Es dauert nicht lange, und Anette bekommt eine Arbeit in den vier
Krematorien zugewiesen“, weiß Jauffret über seine Romanfigur Anette, sprich
Marie Nenning, zu berichten. Dort habe sie Tag für Tag und Stunde für
Stunde die Leichen in den Ofen geschoben. Mehr noch: „Manche kommen

Maria Prieler-Woldan

inmitten der Karrenladungen voller Toter noch lebend an. Man rüstet Annette
mit einem Knüppel aus, damit sie deren Klagen ersticken kann. Oft sind
sie kaum hörbar, außerdem sind es zu viele, die jammern. In den Flammen
verstummen sie“ (Regis Jauffret, Claustria. Salzburg 2012, S. 44). Einen
Beleg für diese mythologisch anmutende Erzählung sucht man allerdings
vergebens. Aus Sicht des Historikers ist dazu nur zu sagen: Der Autor hat
hier seiner wenig subtilen künstlerischen Phantasie freien Lauf gelassen.

8 Hans Marsälek, Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen.
Dokumentation, Wien 2006.

44]

nicht aus politischen Gründen ...

Auch 2018 gibt es noch vergessene Opfergruppen: Frauen, die sich
mit Zwangsarbeitern oder Kriegsgefangenen „eingelassen“ hatten.
Selbst einfache menschliche Hilfeleistungen führten sie schon ins
Zuchthaus oder KZ, und auch in der Zweiten Republik ging die
Diffamierung weiter.

Im Zuge meiner Recherchen über die Salzburger Bergbäuerin
Maria Etzer (1890 — 1960) und ihre Verfolgung im Nationalso¬
zialismus” bin ich auf eine „Forschungslücke“ gestoßen, denn ihr
individuelles Schicksal ist nicht das einzige, das bislang sozusagen
nur unter vorgehaltener Hand besprochen wurde. Der „verbotene
Umgang“ mit Zwangsarbeitern oder Kriegsgefangenen war im
Dritten Reich kein Randphänomen. Etwa 3500 Frauen waren
wegen „Verkehrs mit Fremdvölkischen“ allein im Frauen-KZ
Ravensbrück inhaftiert, und das ist nur die Spitze des Eisbergs.
Die Leiterin der dortigen Gedenkstätte stellt noch 2014 fest, dass
deren Haftbedingungen „in der öffentlichen Erinnerung an die
Konzentrationslager jahrzehntelang so gut wie keine Erwähnung
gefunden haben“? und das Phänomen auch insgesamt noch er¬
klärungsbedürftig bleibe. Die wegen „Geschlechtsverkehrsverbre¬
chen“, eines politischen Delikts, verfolgten Frauen, häufig schon
in ihrem Wohnort öffentlich angeprangert, geschoren und mit
Schandtafeln vorgeführt, wurden in Ravensbrück in der ersten
Zeit noch alle drei Monate wieder geschoren und hatten auch
unter der Verachtung von Mithäftlingen zu leiden: „Unter dem
Druck des Lagerlebens haben schr viele scharfe Trennungslinien
gezogen zwischen der eigenen Gruppe und den verachtungswür¬
digen und deshalb auszuschließenden Anderen. Um die eigentlich
‚Politischen‘ auch sprachlich von den wegen Verkehrs inhaftier¬
ten Frauen zu trennen, wurden letztere in Ravensbrück auch als
‚Bettpolitische‘ bezeichnet und diffamiert.“*

Der Kern der Problematik wird damit schon deutlich: Sol¬
che Frauen wurden zwar als „Politische“ verfolgt und verurteilt,
gleichzeitig betrachtete man ihr „Delikt“ aber als Privatsache,
unter vorgehaltener Hand auch als „Privatvergnügen“. Selbst im
Nachkriegsösterreich waren sie verfemt und blieben im Dunkel,
auch der Forschung.

Wie die unterschiedlichen Schicksale dieser Frauen durch ein
Konzept von (weiblich konnotiertem) Widerstand verbunden
werden können, möchte ich im vorliegenden Beitrag zeigen.

Leben und Schicksal von Maria Etzer (1890-1970)

Ausgangspunkt meiner Forschungsarbeit waren die Recherchen
meiner Freundin Brigitte Menne’ über deren Großmutter Ma¬
ria Etzer mit Dokumenten aus verschiedenen Quellen: aus dem
Salzburger Landesarchiv (SLA) Maria Etzers Sondergerichtsurteil
und Opferfürsorgeakt; aus dem Staatsarchiv München ihr etwa
achtzig Seiten umfassender Zuchthausakt. Zusätzlich ist der „Fall“
Maria Etzer anonymisiert in einem 2011 erschienenen Buch über
„Fremdarbeiter“ im Pinzgau® erwähnt.

Maria Etzer, als ledige Tochter einer Dienstmagd 1890 im Salz¬
burger Innergebirg geboren, wurde nach ihrer Hochzeit 1911
Bergbäuerin in Goldegg im Pongau. Ihr Mann verstarb früh infolge
einer Verletzung aus dem Ersten Weltkrieg und hinterließ sie
als 35-jährige Witwe. Von acht Kindern blieben vier am Leben,
Maria Etzer führte zwanzig Jahre allein den Hof und zog noch
drei Enkelkinder auf. Sie war Mitglied der Katholischen Frauen¬
organisation’ und blieb ihrer religiösen Überzeugung treu. Das
brachte sie von Anfang an in Opposition zum Nationalsozialismus,
während ihre erwachsenen Kinder dessen Faszination erlagen.
Der einzige Sohn meldete sich freiwillig zur Waffen-SS und fiel
21-jährig in Russland.

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs verschärfte sich der ohnehin
vorhandene Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft akut, man
brauchte Ersatz für die eingerückten heimischen Arbeitskräfte. So
wurden den Höfen ab 1940 ZwangsarbeiterInnen und Kriegs¬
gefangene vermittelt. Ein näherer Kontakt zu diesen, ja schon
das gemeinsame Essen, war streng verboten. Auch wenn eine
sexuelle Bezichung oft gar nicht bewiesen war, reichte „eine Hil¬
festellung oder ein kollegialer Umgang für eine Verurteilung, wie
das Zustecken von Brot oder Zigaretten, das Versenden von Post
für Kriegsgefangene, das offene Grüßen auf der Straße oder das
Mitnehmen auf einem Pferdewagen.“* Es genügte also, das Selbst¬
verständliche zu tun: Schon einfache Akte der Mitmenschlichkeit
gegenüber Fremden galten als kriminelles Verhalten — und können
rückblickend als eine Form von Widerstand gedeutet werden.

Maria Etzer widerstand der Nazi-Doktrin, indem sie sich ge¬
genüber den „Fremdarbeitern“ ihre Menschlichkeit bewahrte:
„Dieser Franzose war mir als Hilfskraft für meine Landwirtschaft
zugeteilt; er war ein fleißiger und williger Arbeiter, und so habe
ich ihn auch behandelt“, gibt sie in ihrem Opferfürsorgeverfah¬
ren? an. Aus ihrem engsten Umfeld heraus wurde sie denun¬
ziert. Das Anzeigeprotokoll, das ich erst im Jahr 2018 ausfindig

Februar 2019 21