von Leichtsinn, Unverantwortlichkeit, Unzuverlässigkeit.“'® Er
wird die Familie nach dem Ersten Weltkrieg verlassen. Nach
Abschluss der Bürgerschule 1914 und einem missglückten Geh¬
versuch einer Lehre zur Modistin erhält sie einen Freiplatz und
kann eine Schauspielausbildung am Konservatorium beginnen.
Sie frequentiert das Café Herrenhof und bald hat sie dort ihre
„Entourage“.'” Unter den Verehrern ist für sie Jenö Kolb” der
Favorit, sie wird ihm jedoch umgehend von Gerhart Eisler aus¬
gespannt, einem fammenden Kommunisten, durch ihn wird
Hede Tune mit den Prinzipien der sozialistischen Weltanschauung
indoktriniert. Sie heiraten?! und ziehen nach Berlin; Hede Eisler
nimmt ein Engagement als Schauspielerin am Theater in Bielsko¬
Biala an, Gerhard Eisler wird Chefredakteur der Roten Fahne.
Der nächste Ehemann ist Julian Gumperz, ein wohlhabender aus
einer deutschamerikanischen Industriellenfamilie stammender
Soziologe, seit 1921 Mitinhaber des linken Malik-Verlages in
Berlin. Sie lernen einander 1923 in der Verlagsbuchhandlung
kennen, wo Hede Eisler arbeitet. Zu Pfingsten nimmt sie an der
‚Marxistischen Arbeitswoche‘ teil, dem ersten Theorieseminar des
neugegründeten Frankfurter Instituts für Sozialforschung.”” Es
erfolgt die Trennung von Gerhart Eisler, der sich seinerseits mit
Elli, der Schwester von Hede, die sie zu sich hat kommen lassen,
lüiert. Das Ehepaar Gumperz reist viel; sie verbringen längere Zeit
in den U.S.A., wo Julian Gumperz Recherchen für sein geplantes
Buch über die amerikanischen Agrarprobleme durchführt. Nach
Deutschland zurückgekehrt, geht er nach Frankfurt an das Institut
für Sozialforschung. Durch diese Heirat erhält Hede Gumperz
die amerikanische Staatsbürgerschaft, ein entscheidender Faktor
für ihre spätere Karriere.”
1928 lernt sie Paul Massing kennen, einen Agrarwissenschafler,
der soeben ein Jahr an der Sorbonne absolviert hat. Sie möchte
in Wien die Matura nachholen, um danach in die Fröbl-Schule
in Berlin aufgenommen zu werden, schafft dies jedoch nicht
und kehrt nach Berlin zurück. Nun lebt sie mit Paul Massing,
der sie heiratet.”* Paul Massing folgt 1929 einer Einladung nach
Moskau ans Internationale Agrar-Institut. Hede Massing nimmt
Kurse am Alfred Adler-Institut in Berlin, ihr Lieblingslehrer ist
Manés Sperber. In dieser Phase kommt Ika Sorge” auf sie zu
und macht sie mit einem „sehr wichtigen Genossen“ bekannt,
nämlich „Ludwig“, der, wie sich herausstellte, ihr Lieblingskunde
in der Buchhandlung des Malik-Verlages gewesen war. „Ihat
he was the chief of the European GPU, I was to find out only
after his death.“”° In den Monaten, bevor sie Paul Massing nach
Moskau folgt, unterweist sie „Ludwig“ in Verhaltensmustern
der konspirativen Arbeit. Der Aufenthalt in Moskau endet im
Frühjahr 1931. Die Schilderung der Härten des Moskauer Alltags
und deren Unzulänglichkeiten in den Memoiren decken sich
mit den Schilderungen von Elsa Poretsky, die sich zur gleichen
Zeit dort aufhält.” Hede und Paul Massing kehren nach Berlin
zurück, sie nehmen Vitya und Yury, die zwei Söhne des ameri¬
kanischen Journalistenehepaares Louis und Markoosha Fischer”
mit. Nach der Machtergreifung Hitlers schickt Hede Massing
die Kinder in die Tschechoslowakei und begleitet sie schließlich
nach Moskau. Auf dem Weg zurück übernimmt sie den Auftrag,
einen großen Geldbetrag nach Paris zu befördern. Am 30. Jänner
1933 wird Hitler zum Reichskanzler ernannt, Paul Massing wird
verhaftet, Hede Massing fährt im Oktober 1933 in die U.S.A.
und nimmt dort ihre klandestine Arbeit auf. Ihre Vorgesetzten
heißen „Bill“, „Fred“, sie begegnet „dem Langen“; hinter diesen
Decknamen verbergen sich prominente Figuren der sowjetischen
Spionage-Apparate. Paul Massing kommt frei und übersiedelt in
die U.S.A.; sie sind nun ein Emigrantenchepaar, verfolgte Kom¬
munisten. Paul Massing verfasst über seine Gefangenschaft im
Konzentrationslager Oranienburg das Buch Fatherland”. Es fuhrt
der amerikanischen Offentlichkeit den Faschismus in Deutschland
vor Augen und lést eine antifaschistische Welle aus. Im Vorwort
steht zu lesen: „Four thousand two hundred persons up to now
have been murdered under the Hitler régime; 317.800 have been
thrown in prison; 218.600 anti-Fascist workers, white-Collar
workers, peasants, intellectuals, communists, Social-Democrates,
and members of opposition Christian sects have been put to the
rack or have received bodily injuries of one sort or another.“*°
Im dritten Teil der Autobiographie berichtet Hede Massing in
acht Kapiteln über verschiedene Facetten ihrer Agententätigkeit,
die im Kontext des Kampfes gegen den Faschismus geschen wer¬
den muss; im vierten Teil beschreibt sie ihren Weg in Richtung
Ausstieg nach dem Mord an Ignace Reiss. Sie und Paul Massing
werden nach Moskau beordert, um darüber zu „verhandeln“;
die Verhöre finden in ihrem Hotelzimmer im Metropol statt
() und nach langen Monaten des Zuwartens und geschickten
Manövrierens kehren sie heil in die U.S.A. zurück.
Für die sowjetischen Apparate arbeiteten auch Amerikaner, u.a.
soll das auch bei Alger Hiss der Fall gewesen sein. Es war dies
ein hoher Staatsbeamter, gegen den Anklage wegen Spionage
erhoben wurde, der dies jedoch bis zu seinem Lebensende be¬
stritt; eine Zeugenaussage vor Gericht (‚second perjury trial‘) von
Hede Massing führte dazu, dass Hiss zu fünf Jahren Gefängnis
verurteilt wurde.?' Nach Aussage von Hede Massing soll Hiss
während einer Dinnerparty bei Herta und Noel Field versucht
haben, Noel Field für seinen Spionageapparat zu rekrutieren, was
das Gericht als Beweis für die Schuld von Hiss wertete.” Der Fall
Field beschäftigt die Zeitgeschichte bis heute.
Wie eruiert werden konnte, war 1938 die Spionagetätigkeit
des Paares noch nicht zu Ende; nach dem Zweiten Weltkrieg
kooperierten sie mit dem FBI, 1949 trennten sie sich. Paul Mas¬
sing konnte eine Professur an der renommierten Universität von
Rudgers erlangen, in der Pension kehrte er nach Deutschland
zurück, seine Forschungsarbeiten werden noch heute rezipiert.”
Hede Massing entging ebenso einer Anklage, indem sie mit dem
FBI kooperierte und die Geschichte ihres Ausstieges an die Presse
verkaufte und durch ihre Autobiographie untermauerte. „Until
her death in 1981 she continued to cooperate with the FBI and
served as a contact consultant to the CIA.“*
Frau Elfriede Faderler-Evangelisti ist im Besitz von Dokumenten,
den Bruder von Hede Massing betreffend. Nach dessen Geburts¬
zeugnis, ausgestellt vom Matrikelamt der Israelitischen Kultus¬
gemeinde, wurde Walter Tune am 28. Dezember 1906 in Wien
als Sohn von Feiwel Tune, Agent, und dessen Ehefrau Race, geb.
Rubinstein, geboren. Er erlernte das Goldschmiedehandwerk,
konnte dieses jedoch erst in den U.S.A. ausüben. Am 10. Mai
1938 wurde Walter Tune aus rassistischen Gründen verhaftet
(Anklagepunkt „Fluchtversuch“). Er konnte in die Schweiz fliehen,
wo er seine zukünftige Frau, Erika Hedwig Herold, eine Deutsche,
kennenlernte. 1948 emigrierte er in die U.S.A., wohin er seine
zukünftige Frau nachkommen ließ. Ihre Hochzeit fand 1949 statt;
auf dem Trauschein, ausgestellt am 25. Februar 1949 (City of New
York, Municipal Building Manhattan), scheint Hede Massing als
Trauzeugin auf. Das Ehepaar kehrte 1978 zurück, um, wie Walter
Tune in seinem Lebenslauf schreibt „meinen Lebensabend mit