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Die Theodor Kramer Gesellschaft versteht sich als Brücke zwi¬
schen den kritischen SchriftstellerInnen und Intellektuellen des
Exils und des Widerstandes, ihrem Werk, ihren Ideen einerseits,
den nachgeborenen KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen
in ihrem Streben nach Gerechtigkeit und geschichtlichem Be¬
wußtsein andererseits.

Insbesondere engagiert sich die Theodor Kramer Gesellschaft
seit 1984 für Themen und Fragen zu Exil und Widerstand, die
vernachlässigt, ausgeklammert, an den Rand gedrängt worden sind.

Neben der kritischen Aufarbeitung von Exil, Widerstand und
Verfolgung durch Publikationen (Verlag, Zeitschrift) und bei
Veranstaltungen wird auch gesammelt und bewahrt, nämlich
die Unterlagen der Exilierten und jene der Forschung. Seitdem
es uns die digitalen Medien erlauben, werden diese Unterlagen
auch sukzessive im Internet der Forschung zur Verfügung gestellt.

Harald Maria Höfinger

Die Theodor Kramer Gesellschaft tritt insbesondere ein für:

— die Kenntnisnahme und Publikation der Literatur des Exils;
- eine Internationalisierung der Exilforschung, sowohl in Hinblick
auf das Schicksal der einst Vertriebenen, als auch angesichts der
vielen heute im Exil lebenden Menschen;

- ein Erinnern, das sich nicht auf eine dominierende Geschichts¬
erzählung beschränkt;

- eine restlose Aufklärung der Verbrechen des Nationalsozialismus
nach allen Seiten;

— die lebendige Verbindung heute aktiver SchriftstellerInnen und
KünstlerInnen mit unserer Erinnerungsarbeit;

-ein „Haus des Exils“ als einen Ort der Begegnung, Forschung
und Bewahrung;

—die Einrichtung einer Theodor Kramer-Gedenkstatte in Kramers
Geburtshaus in Niederhollabrunn.

Im Rahmen der Sendereihe „Unterwegs in Österreich“ hat der
ORF am Karsamstag 2019 die Dokumentation „Haydn, Schiele,
Kramer, Kokoschka - Ihre Wurzeln in Niederösterreich“ ausge¬
strahlt. In Beiträgen zu je sechs Minuten versuchten die Gestalter
einem breiteren, nicht dem Schöngeistigen an sich zugeneigten
Publikum lebendige Porträts anzubieten. In Gesellschaft mit den
drei großen, bekannten Künstlern wird Theodor Kramer in der
Öffentlichkeit aufgewertet und wahrgenommen, den Menschen
ans Herz gelegt. Wenn er mit ihnen gleichsam im selben Atemzug
genannt wird, geschicht das ja nicht von ungefähr, macht das jene,
denen er bisher nicht oder wenig bekannt war, aufmerksam, viel¬
leicht sogar neugierig. Das ergibt eine gute Gelegenheit, Theodor
Kramer für sich zu entdecken. Niederhollabrunn, der Geburtsort
des Dichters, kommt jetzt mit der wunderbaren Landschaft auf
der kulturellen Landkarte des Fernschens nach langen Jahren
wieder einmal vor. Der ORF hat, den Wurzeln der Künstler in
NÖ nachspürend, am öffentlich-rechtlichen Auftrag gearbeitet.
Das ist insgesamt so wenig nicht. Barbara Baldauf, Oswald Denk¬
mayr, Andrea Schuh und dem Sprecher Florentin Groll darf man
jedenfalls für ihre durchaus anständige Arbeit danken.

Selbst der Bürgermeister des Dorfes nimmt an, was immer das
auch heißen mag, nun bessere Karten bei den Verhandlungen mit
dem Land NÖ bezüglich einer langfristig abgesicherten, dem
Dichter würdigen Gedenkstätte zu haben. Im Vergleich zu den
„Museen“ der anderen Künstler wirkt das, was wir derzeit haben,
ziemlich bescheiden.

Menschen, denen die Gedichte Theodor Kramers seit langem
enorm viel bedeuten, in der nach ihm benannten Gesellschaft
sein Werk pflegen, in seinem Namen einen Preis fiir Schreiben
im Widerstand und Exil vergeben, unzahlige Biicher herausge¬
ben, vielfältig und weit über seine Verse hinaus tätig sind, wollen
naturgemäß mehr.

Durch die schönen Bilder und die in der Musik verpackten
Verse drängt sich eine Kulinarik in den Vordergrund, die Kra¬
mers Stärke, sich der mit dem Leben und Überleben ringenden
Menschen bedingungslos anzunehmen, nicht deutlich genug
darstellt. Da wäre noch mehr gegangen.

Ich habe den Drehtag und den Lokalaugenschein davor mit
dem Kamerateam bereitwillig verbracht und ihm bestmöglich

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zugearbeitet. Man fühlt sich zumindest mitverantwortlich, obwohl
man, aber das ist von Anfang an klar, keinen Einfluss darauf hat,
welche Sätze, welche Musik, welche Filmszenen, welche Bilder,
schlussendlich Eingang finden in die Produktion. Noch dazu ist das
Medium ein flüchtiges, einmal Gesagtes ist unumkehrbar gesagt.

Die Theodor Kramer Gesellschaft darf sich iiber den wohltu¬
enden Riickenwind freuen. Es gibt noch viel zu tun! Das Lesen
der Gedichte, die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Ver¬
sen, gerade in rückwärtsgewandten Zeiten kann und darf sich
niemand ersparen.

Wer mit mir rund um den Kirchberg und durch die Ausstel¬
lung im Geburtshaus gehen möchte, ist eingeladen, dies zu tun.
(Formlose Anmeldung: 0699 8141 2009)

Die allererste Tagung der Theodor Kramer Gesellschaft, am 13./14. Oktober 1984
in Haselbach, war dem Thema „Theodor Kramer und die Arbeiterkultur“ gewidmet.
Erwin Chvojka referierte über das Bild der Arbeitswelt in der österreichischen
yes BABU Lyrik im ersten Drittel des

20. Jahrhunderts, Viktor
Matejka berichtete von seinen
vielfachen Bemühungen für
und um Theodor Kramer,
Konstantin Kaiser sprach
über die Prägung Kramers
durch die „Sozialreformer“
Popper-Lynkeus, Jodi, Neurath
und steuerte den Aufsatz
„Theodor Kramer und der
12. Februar 1934“ bei. 30
Jahre später kam die Theodor
Kramer Gesellschaft auf die
mittlerweile zum Stiefkind
der Forschung gewordene,
aus der öffentlichen
Auseinandersetzung
verdrängte Arbeiterkultur
zurück. Die Arbeitsthese war:
Wer immer vom Verschwinden
der Arbeiterkultur spricht,
muß zuerst ihre Zerstörung
durch Faschismus und
Nationalsozialismus
bedenken.

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