gefälschtem Pass von Bukarest über Bulgarien, die Türkei, Syrien
und den Libanon nach Palästina.
Bukarest war einst eine faszinierende Stadt, viele nannten sie Klein
Paris. Ich war 1941 in Bukarest und hatte eher den Eindruck von
Klein Shanghai. Ein orientalisches Chaos herrschte in dieser Stadt ...
Bettler und Schuhputzer und schöne Frauen und elegante Nachtlokale
und schäbige, kleine Imbifstuben ... Schubkarren und elegante Fi¬
aker, Taxis und Autos. Man sah orthodoxe Juden mit Schläfenlocken
und Kaftan und Pelzmütze neben elegant gekleideten Geschäfisleuten
... Jetzt wirkte alles ein bifSchen müder, schäbiger, nicht so laut. (E.
Hilsenrath, „Die Abenteuer des Ruben Jablonski“).
Doch nur kurzzeitig blieb er an der Levante. „Tel Aviv berauschte
mich. Endlich mal wieder eine richtige Großstadt. Tel Aviv war
rein jüdisch, die arabische Bevölkerung lebte in der Nachbarstadt
Jaffa“, schreibt er und geht 1947 zu seiner Familie, die sich in
Frankreich, in Lyon wieder zusammengefunden hat. Doch be¬
reits Anfang der 1950er Jahre zicht es ihn weiter nach New York.
Das Schreiben wird seine Profession. Zu Ruhm gelangt er in
den USA mit seinem Buch Der Nazi & der Friseur in englischer
Sprache. Nach vielen Absagen kann das Buch erst Jahre später
auch in Deutschland erscheinen. In mehrere Sprachen werden
seine Bücher übersetzt und in Millionenauflagen verkauft. Doch
ihm fehlt die deutsche Sprache, sie ist seine Sprache, und so kehrt
er 1975 nach Deutschland, nach Westberlin zurück.
Edgar Hilsenrath lernte ich am 7. Oktober 2007 in Berlin¬
Friedenau kennen. Tage zuvor skypte ich mit meiner alten Czer¬
nowitzer Freundin, der Lexikographin Hedwig Brenner, die ihre
dritte Heimat 1982 in Haifa gefunden hatte. Sie wollte in einigen
Tagen zu mir nach Berlin kommen, ein neues Buch vorstellen
und ein Gespräch mit Edgar Hilsenrath haben. Lesungen für
sie hatte ich organisiert, nun kam noch ein Termin mit Edgar
Hilsenrath hinzu. Hedwig Brenner hatte anhand eines Familien¬
fotos festgestellt, dass sie und die Ruckensteins verwandt waren.
Noch am Nachmittag ihrer Ankunft aus Israel fuhren wir nach
Friedenau zu Hilsenrath. In seiner kleinen Wohnung, vollgestellt
mit Büchern, wurden wir wie alte Freunde empfangen und von
Chiara mit Kaffee und feinstem selbstgebackenen Kuchen ver¬
sorgt. Schon bald befand ich mich geistig in der Herrengasse in
Czernowitz, im „Wiener Cafe“, und lauschte dem Gespräch der
beiden, die sich zuvor nie geschen und gesprochen hatten. Die
beiden „Bukowiner“ plauderten wie alte Freunde über Menschen,
die sie beide kannten, über Orte und Straßen, die ihnen in Er¬
innerung waren, Freunde und Verwandte, die in Transnistrien
umgekommen waren, oder andere, die überlebt hatten und wer
weiß wohin ausgewandert waren.
Edgar Hilsenrath erzählte, dass seine Bukowiner Großmutter
eine geborene Ruckenstein war und Bubi Ruckenstein seine Mutter
als junges Mädchen heiraten wollte, doch sie wollte nicht. Bubi
hat dann Binuta geheiratet, gleich Hedwig eine aus der Familie
Feuerstein und Langhans. Edgar Hilsenrath besuchte Binuta 1944
in Czernowitz. Sie habe, erinnerte er sich, vis 4 vis vom Theater
gewohnt. In der Bischof-Harkmann-Gasse, warf Hedwig Brenner
gleich ein. Und Hedwig erzählte, dass sie in der Herrengasse, der
Promenade von Czernowitz, gewohnt habe, später in der Maria¬
Theresien-Gasse, einer kurzen Gasse mit pompösem Namen, wo
auch das Deutsche Schülerheim war...
Drei Tage später las Hedwig Brenner aus ihrem Familienbuch
„Mein 20. Jahrhundert“ und erzählte über ihre „Künstlerinnen¬
lexika“ im Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße, und
Edgar Hilsenrath kam als Zuhörer mit seiner Begleiterin.
Edgar Hilsenrath starb am 30. Dezember 2018 in Wittlich im
Alter von zweiundneunzig Jahren, Hedwig Brenner bereits zwei
Jahre vor ihm mit achtundneunzig Jahren in Haifa.
Immer wieder wird mir in den Schulen, die mich als Zeitzeuge
einladen, die Frage gestellt, warum ich nach Österreich zurück¬
gekehrt bin. Tatsächlich gab es dafür mehrere Gründe. Anfang
1943 konnte ich Ungarn nur mit Hilfe einer geborgten Identität
verlassen und lebte im Kibbuz und im israelischen Militär mit
diesem falschen Namen und Geburtsdaten, die mich um ein Jahr
älter machten. Ich wollte meine ursprüngliche Identität zurück¬
erhalten. Der abenteuerliche Weg, den ich als 23-jähriger wählte,
war nicht der beste, doch das habe ich — unbekiimmert wie ich war
— nicht geahnt. In der Regel wird man erst im Nachhinein klüger.
Als Soldat während des israelischen Unabhängigkeitskrieges
1947-49 hatte ich mich an harte Lebensbedingungen gewöhnt.
Alles was danach kam, war ein Abenteuer und konnte mich nicht
erschüttern.
In der Regel wird mehr über diejenigen Rückkehrer publiziert,
die aus politischen Gründen zurückgekehrt sind. Die konnten
auf Unterstützung ihrer Partei hoffen und hatten einen Ansprech¬
partner. Ich gehörte aber nicht zu dieser Gruppe.
Aus Frankreich ausgewiesen, meldete ich mich am 15. September
1951 als Heimkehrer bei der Staatspolizei in Innsbruck, deren
Chef mir erklärte, laut Gesetz seien nur diejenigen staatlich zu
befürsorgen, die in der Wehrmacht oder der Waffen SS gedient
haben. Als rückkehrender Jude wurde ich an den Vorsitzenden
der jüdischen Gemeinde, den Möbelhändler Brüll, verwiesen, der
mir für die Woche, die erforderlich war, um meine Angaben zu
überprüfen, in einem Gasthof ein Zimmer mit Frühstück besorgte
und mir auch etwas Geld gab, so dass ich mich verpflegen konnte.
Nach einer Woche erhielt ich meinen viersprachigen Ausweis und
konnte nach Wien fahren.
In der Wiener Kultusgemeinde fragte mich jemand, wie es mir in
Osterreich gefiele. Meine Antwort: ,,Fiir meinen Geschmack haben
die Nazi zu viel zu sagen“, führte dazu, mich als „Kommunisten“
abzustempeln und ins Asyl der Stadt Wien in die Meldemann¬
straße zu schicken. Dort landete ich in einem Schlafsaal mit 49
meist Strafentlassenen und/oder Alkoholikern.
Uns, den wenigen nicht prominenten jüdischen Rückkehrern
nach Österreich, wurde das Gefühl nicht willkommen zu sein
vermittelt. Einige sind daran zerbrochen. Wer so wie ich zu keiner
Partei gehen wollte, keine Ausbildung hatte, konnte froh sein, eine
Arbeit als Hilfsarbeiter zu bekommen. Vorbedingung war aber eine
„anständige“ Adresse, und so fand ich ein Untermietzimmer im
zweiten Bezirk bei einer Witwe. Abends kam ich von der schweren
Arbeit ermüdet zurück. Die 40-jährige verhärmte Frau setzte sich