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Mizzi (11 Jahre): Holländer-Paar (Farbzeichnung). In: Anna Nussbaum, Else
Feldmann: Das Reisebuch des Wiener Kindes. Eine Sammlung von Briefen,
Aufsätzen und Zeichnungen der Wiener Schulkinder im Ausland. Wien 1921, S. 41
dafßß man schon zwei Jahre nach Besitzergreifung der Macht ebenso
widerspruchslos den Gegnern die Führung des Staates auslieferte.
Das wäre, wenn Adlers Kopf die Partei noch geleitet hätte, ein
Ding der Unmöglichkeit gewesen. Er, der es verständen hatte,
mit einem Minimum an Macht ein Maximum an Wirkung zu
erzielen, er hätte niemals zugegeben, daß man um der Hoffnung,
einige Mandate bei Wahlen zu gewinnen, der Sprengung der Ko¬
alition, in der nicht die Gegner, sondern sie die Macht besaßen,
zubillige, sondern an seinem zähen Willen wären die Versuche
der Christlichsozialen, die Herrschaft im Staate zu erlangen, ge¬
scheitert. Und zwar so lange, bis es zur Selbstverständlichkeit
geworden wäre, daß die von den Sozialdemokraten geschaffene
Republik ohne Mitwirkung der Sozialdemokraten nicht denkbar
sei. Wenn diejenigen, die damals den Ruf: „Her mit Dr. Seipel!“
ausstießen, sich erinnert hätten, welche jahrzehntelange, schwere,
opferwillige Arbeit es Dr. Adler gekostet hatte, bis er die Partei zur
größten und machtvollsten Bewegung emporgehoben hat, hätten
sie unmöglich den Sprung ins Dunkle gewagt, der von sozialde¬
mokratischem Regime zum System Dr. Seipels führte. Nach einem
bekannten Wort eines großen Philosophen vollziehen sich alle
Dinge in der Geschichte zweimal: nur das eine durfte sich nicht
das zweite Mal ereignen, daß ein bereits überwundenes Regime
Seipel, sich zum zweitenmal aufrichte, und zum zweitenmal mit
der Unterstützung derselben sozialdemokratischen Führer, die
diesen Mann alle Schwierigkeiten und Hemmnisse, die ihm in
seiner eigenen Partei erwuchsen, solange aus dem Wege raum¬
ten, bis er den Weg von neuem frei bekam, um an die Spitze der
Regierung zu treten. Wieder sind die Einwendungen gegen diese
Tatsachen zu vernehmen: man mußte den Augiasstall reinigen,
man konnte unmöglich her Verschleuderung von Geldern zuschen
usw. Gewiß hat diese Anschauung viel für sich. Den verschiedenen
Skandalaffären, der Korruption und der Verwirtschaftung von
Staatsgeldern mußte ein Ende bereitet werden, Aber ein Viktor
Adler hätte einen Weg gefunden, das wirtschaftliche Leben im
Staate zu reinigen, ohne daß gerade der hartnäckigste politische
Gegner der Sozialdemokratie dadurch von neuem seine Bedeutung
und Unentbehrlichkeit der Welt veranschaulichen hätte können.

So wenig verständlich es ist, weshalb die sozialdemokratische Par¬
lamentsdelegation zum zweitenmal das Experiment mit Dr. Seipel

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wagte, so gänzlich unfaßbar wird ihre Taktik dann, wenn wirklich
die Gefahr besteht, Doktor Seipel zu Falle zu bringen. Daß sie
seinen Sturz anstreben, daran kann doch nicht gezweifelt werden,
daß sie aber immer dann, wenn seine Position ernstlich gefährdet
wird, wie z. B. heuer im Sommer gelegentlich des Rückzuges,
den Dr. Seipel Mussolini gegenüber antrat, die Feindseligkeiten
einstellen, bleibt orakelhaft. Da muß man sich unwillkürlich
an Adlers Taktik erinnern, der selbst außerhalb des Parlaments
stehend und später nur mit einem Dutzend sozialdemokratischen
Vertretern am Sturz und Bildung mancher Regierung mitwirkte,
von dem berühmten Fürsten Windischgraetz, der seine Rede, daß
ersich um „die Argumente der Straße“ nicht kümmere, bald mit
seiner Demmission büßte, bis zu Körber und Beck, deren demo¬
kratische Regierungsmethodeu die Spuren Adlerschen Einflusses
unschwer erkennen ließen.

Zurück zu Viktor Adler! muß das politische Leitmotiv der sozial¬
demokralischen Partei werden, die heute, da die Republik den 10.
Jahrestag ihrer Gründung begeht, erkennen muß, daß durch die
Taktik, die sie einschlug, die ursprünglich demokratische Republik
nicht besteht, denn die heutige Republik basiert nicht auf Demo¬
kratie, sondern auf dem Absolutismus einer Parteienkoalition, die
sich ausschließlich gegen die Schöpfer der Republik, gegen die
Sozialdemokraten, richtet. Selbst Unglücksfälle, die jeder Partei
widerfahren, können, wenn ein politisch kluger Kopf die Aktion
leitet, bald gemildert werden und der Vergessenheit anheimfallen,
wenn sie aber einer falschen Taktik unterliegen, leben sie als chro¬
nisches Übel dauernd fort und erstrecken ihre Nachwirkungen bis
ins Unendliche. Der 15. Juli war eine Katastrophe, an der sicherlich
die österreichische Sozialdemokratie völlig schuldlos war. Aber es
war ein Fehler, daß sie es nicht verstanden hat, sich von diesem
Unglück loszulösen. Auch unter Viktor Adlers Führung gab es
solche Unglücksfälle, Katastrophentage, die die Straßen Wiens
mit Arbeiterblut färbten. Die Hungerrevolte vom 17. September
1911 war ein solcher Irauertag, der wohl nicht der Riesenkatast¬
rophe des 15 . Juli gleicht; aber immerhin, in der damaligen Zeit
wirkte das Ereignis nicht minder erschütternd und lähmend auf
die Gemüter, wie die Julitage des Vorjahres. Aber damals wußte
man sich rasch emporzurichten, man suchte nicht mit Laternen
nach Schuldigen, um dann ein Jahr lang immer wieder Pranger zu
errichten, wiewohl man bei allen Übergriffen, die vorgekommen
sein mögen, genau wußte, daß nicht Absicht, Leichtsinn oder
Verbrechen, sondern ein unvorhergeschenes, entsetzliches und
bedauernswertes Unglück das Unheil verschuldete. Von einem
solchen Unglück, wie es das der September oder Julitage war, muß
sich eine Partei möglichst rasch loszulosen wissen. Es ist heute
nicht leicht zu sagen, wie in diesen ernsten Tagen Viktor Adlers
Rat gelautet hätte, aber vielleicht wird man zum richtigen Schluß
kommen, wenn man sich daran erinnert, daß nach dem 17. Sep¬
tember 1911, Adler es für notwendig hielt, die Beziehungen mit
der Polizeiführung aufzunehmen, während man nach dem 15.
Juli die bestandenen Beziehungen mit der Polizei abbrach und
dadurch die bewaffneten Kreise der Gegner der Sozialdemokraten
um eine Schichte verstärkte, die bis zu jenem Unglückstag als die
einzige neutrale Sicherheitstruppe anerkannt wurde.

Zurück zu Viktor Adler! sollte aber besonders für die innere Arbeit
zur Losung der sozialdemokratischen Partei werden.