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Man mag zu den hier kurz und allgemein gehaltenen Betrachtungen welche Stellung immer einnehmen, ihnen zustimmen oder sie ablehnen, die Tatsache, daß wir nun seit acht Jahren in einem Staat leben, der nicht nur ohne Mitwirkung her Sozialdemokratie regiert und verwaltet wird, sondern vielfach auch gegen sie, diese Tastache wird man ebensowenig in Abrede stellen können, als die Tatsache , daß man seinerzeit unüberlegt den Gegnern die Regierung der Republik ausgeliefert hat. Und diese Tatsache, die die Unsicherheit der politischen Führung sonnenhell erleuchtet, hat, so weit man dies sehen kann, in der Partei selbst nicht den geringsten Widerspruch, nicht die geringste fühlbare Kritik gefunden. Als Viktor Adler noch lebte und sein politisches Referat auf den Parteitagen erstattete, da traten die jungen Leute der Reihe nach auf die Rednertribüne und hämmerten mit Wucht darauf los, so laut, daß ihre Kritik nicht nur im Saal, sondern auch außerhalb der Parteikonferenz zu vernehmen war, und einer solchen Kritik, die am Parteitag in Favoriten geübt wurde, verdankte die sozialdemokratische Partei schließlich die Eroberung des allgemeinen Wahlrechts. Aber heute? Wo sind die jungen unabhängigen freien Männer, die neuen Talente, die nicht alles für gut und richtig finden, weil es eben auch nicht gut und richtig ist. Niemand ist vor Fehlern gefeit, sie zu wiederholen wagt man nur dann, wenn man sich sicher weiß vor jeder wirkungsvollen Kritik, Darin liegt in gewissem Sinn die Erklärung für manches, was nicht zum Heil der Partei führt. Kann man glauben, daß es in einer politisch so rührigen Partei an urteilsreifen Männern mangeln soll, oder klappt etwas anderes nicht in dem Apparat der Alexander Emanuely Demokratie des Denkens Parteimaschinerie? Wäre die Kritik vor acht Jahren beim ersten großen Fehler erfolgt, so wäre der zweite unterblieben und wir würden heute nicht ein Jubiläum einer Republik mit Dr. Seipel an der Spitze feiern, sondern wir würden das Fest der demokratischen Republik begehen können. Zurück zu Viktor Adler! Zurück zu seinem aufbauenden, aber auch kritischen Geist, zurück zu seiner wohldurchdachten Sachlichkeit, die jeden Personenkult verwehrte. Wir wollen hoffen, daß diese Zeilen so verstanden werden, wie sie gemeint sind, als eine ernste Mahnung in historischer Stunde! Man kann den politischen, kulturellen und sozialen Bestrebungen der gesamten Arbeiter und Angestelltenschaft nicht nur Verständnis, sondern die aufrichtigsten Sympathien entgegenbringen und für sie bereit sein zu kämpfen, ohne deshalb zu überschen, daß die Partei ohne freimütige Kritik aus dem Labyrinth von Mißerfolgen wohl nicht herauskommen kann. Weil wir nicht wollen, daß das neue Jahrzehnt sich in den gleichen Bahnen bewege wie das abgelaufene, weil wir des Glaubens sind, daß besondere Fest- und Feiertage auch Tage der Einkehr sein müssen, haben wir die Dinge so geschildert, wie wir sie sehen, mit dem Ernst, den sie verdienen, aber auch mit dem Ausblick in die Zukunft, die das verlorene Gut wieder reichlich bringen kann, aber nur dann, wenn man zurückkehrt zu der eine neue Welt aufbauenden Arbeitsmethode des Schöpfers der österreichischen Sozialdemokratie. — Zurück zu Viktor Adler! Am 24. Jänner 1910 erschien die erste Ausgabe der Montagszeitung „Der Morgen“. Initiatoren dieser Zeitungsgründung waren der Journalist Maximilian Schreier und der Inhaber des 1888 gegründeten, renommierten, in sieben Sprachen erscheinenden Frauenmagazins „Wiener Mode“ Carl Colbert.' Gleich auf der ersten Seite konnte man als Zielsetzung lesen: „Der Morgen“ blickt nach vorwärts in ein fortgeschrittenes, wahrhaft modernes Österreich. In einem solchen will er der Vorkämpfer des erwerbenden demokratischen Bürgertums sein, das bisher bei der Teilung der vaterländischen Erde zu kurz gekommen ist. Bürgeroffiziös wollen wir sein und in schärfster Opposition zu allem stehen, was volksfeindlich ist oder der Entwicklung in den Weg tritt. „Der Morgen“ soll das Gewissen der alten und der Weckruf der neuen Woche werden.” In Cisleithanien erschienen ab 1885 etliche Montagszeitungen. Dies ist auf die zweite Novelle zur „Gewerbeordnung 1859“ vom 9. März 1885 zurückzuführen, kundgemacht unter der konservativen Regierung Taaffe. Dank dieser Novelle musste man sich in Fabriken und Großunternehmen, aber nicht im Kleingewerbe, an den nun gesetzlich bestimmten elfstündigen Arbeitstag, die Sechs- Tage-Woche, ein Arbeitsverbot für Jugendliche unter 14 Jahren und an ein Verbot der Nachtarbeit für Frauen und Jugendliche sowie an eine 24-stündige Sonntagsruhe halten. Somit war es in Cisleithanien nicht möglich, am Sonntag eine Zeitung zu drucken. Ein Großteil der Tageszeitungen begnügte sich damit, nur sechsmal die Woche zu erscheinen, womit man in Wien den ganzen Sonntag, aber vor allem in den ersten Stunden des Montags ohne aktuelle Informationen auskommen musste. Diese Marktlücke konnte dank der unterschiedlichen Gesetzeslage zwischen Cis- und Transleithanien ausgenutzt werden. Die Montags- und Sonntagszeitungen Wiens wurden nahe der Grenze in Ungarn gedruckt.? Die am Montag erscheinenden Zeitungen trugen einschlägige Namen wie: „Der Montag“, „Montags-Zeitung“, „Wiener Montagblatt“, „Wiener Montags-Journal“, „Wiener Montags-Post“, „Wiener Sonn- und Montags-Zeitung“, um sogleich für die LeserInnen erkennbar zu sein. Wie viele Montagsblätter schlug „Der Morgen“ von Anfang an eine radikaldemokratische und linksliberale Richtung ein. Der Mitbegründer Maximilian Schreier kam aus kleinbürgerlichen, fast ärmlichen Verhältnissen. 1877 in Brünn geboren, war erin Wien-Margareten aufgewachsen und hatte sich früh, wohl weil ihm die „erzdemokratische Gesinnung [seines Vaters] in Fleisch und Blut übergegangen““ war, im „Arbeiterbildungsverein Gumpendorf“ engagiert und noch als Schüler kleine Beiträge in der zu diesem Zeitpunkt noch nicht antisemitischen SatireZeitschrift „Kikeriki“ publiziert. Es folgten Jahre als Autor diverser Zeitschriften, darunter von 1898 bis 1901 von „Die Wage“, wo Schreier als 20-Jähriger unter dem Pseudonym „Clamator“ eine Juli 2019 51