beiden Ländern setzt von da ab eine immer schärfer werdende
rückläufige Bewegung ein. 1934 hatte Österreich ganz genauso
wie die Schweiz 61% der Höchstausfuhr eingebüßt. Diese voll¬
ständige Übereinstimmung zeigt, daß die Weltverhältnisse, die
amerikanische Krise, die von allen Seiten geübten Absperrma߬
nahmen, das infolge der Kriegsfurcht allgemeine Streben nach
Autarkie auf die wohlhabende, beliebte, neutrale Schweiz nicht
weniger verheerend einwirkten wie auf das verarmte, mißgünstig
beurteilte, besiegte Österreich.
Der hohe Einfuhrüberschuß war für Österreich ein überaus ernstes
Problem und eine schwere Gefahr für die Valuta. Es sind deshalb
in Österreich rascher tiefgreifende Maßnahmen zur Einschrän¬
kung der Einfuhr ergriffen worden, bei gleichzeitiger Begüns¬
tigung der Ausfuhr durch Bahntarife und Steuern. In diesem
Zusammenhange sei die Aktion der Gemeinde Wien erwähnt,
die für alle Exporte nach Rußland die Haftung für Verluste, die
sich ergeben würden, übernahm. Dadurch konnten Waren für
Dutzende Millionen ausgeführt und die von der Stadt Wien als
Bürge unterschriebenen russischen Wechsel zu billigen Zinssätzen
untergebracht werden. Bekanntlich sind alle Handelsgeschäfte
mit Sowjetrußland anstandslos abgewickelt worden.
Die weitklaffende Wunde eines Einfuhrüberschusses von 1478
Millionen Schilling im Jahre 1924 war ein Jahrzehnt später auf
291 Millionen Schilling verkleinert. Das ist eine Senkung um volle
80%. Die Ausfuhr in dieser Dekade ging aber nur um 56% zurück.
Die Schweiz war infolge ihrer günstigeren Zahlungsbilanz nicht
zu so radikalen Eingriffen gezwungen; aber auch sie drückte ih¬
ren höchsten Einfuhrüberschuß von 944 Millionen Franken des
Jahres 1932 auf 590 Millionen Franken im Jahre 1934 herab. Der
Schweiz kam der ungeheure Zustrom von Fluchtgeldern aus dem
von Fieber geschüttelten Europa zugute. Das Emporkommen
Hitlers hob den Goldschatz der Schweizerischen Nationalbank
vom Normalstand von rund 500 Millionen auf 2500 Millionen
Franken.
Wer bis Anfang 1938 in Österreich gelebt hat, weiß, daß es kei¬
nerlei Rationierung gab, daß trotz der Einfuhrbeschränkungen
die Märkte gut beschickt, die Läden mit Waren - nicht bloß in
den Schaufenstern — reich ausgestattet gewesen sind. Die ers¬
te Handlung der deutschen Truppen in Österreich bestand im
massenhaften Aufkaufen von Nahrungsmitteln, Kleidern und
sonstigen Artikeln, die in Ihrer Heimat in Kanonen umgewandelt
worden waren.
In Österreich wie in der Schweiz stehen diesem Defizit die Ein¬
nahmen aus dem Fremdenverkehr, aus dem Durchzugsverkehr
von Waren und Personen, aus der Veredelungsindustrie, ferner die
Erträgnisse von Versicherungen und sonstigen Dienstleistungen,
die Geldsendungen der Auswanderer und schließlich Kapitalser¬
träge von Investitionen in fremden Ländern gegenüber.
Der Fremdenverkehr der Schweiz ist weltberühmt, ohne aber
entgegen der landläufigen Anschauung ganz gewaltige Erträgnisse
abzuwerfen. Vor Ausbruch des ersten Weltkrieges zog die Schweiz
aus dieser Quelle — nach Abzug der Ausgaben von Schweizern für
Kuren, Studien außerhalb der Schweiz — den Nettoerlös von 210
Millionen Franken oder knapp 40% des damaligen Passivsaldos
der Handelsbilanz. In den Nachkriegsjahren waren starke Rück¬
gänge zu verzeichnen. Österreich hat dem Fremdenverkehr erst
in der Republik besondere Aufmerksamkeit zugewendet, und für
1927 schätzte der englische Handelsattach& Phillpotts den Ertrag
auf 200 Millionen Schilling oder zirka 20% des Passivums der
Handelsbilanz, welches gerade in diesem Jahre den Höchstpunkt
erreicht hatte. Österreich ist zweifellos sehr reich an Naturschön¬
heiten, ohne aber über so ausgezeichnete Hotels und wohlgepflegte
Gaststätten, über so großartige Bergbahnen zu verfügen wie die
Schweiz. Hier steht ein weites Arbeitsgebiet offen.
Die Einnahmen aus dem Transitverkehr halten sich für beide Län¬
der nahezu die Waage. Jener Österreichs wurde im Durchschnitt
der Jahre auf 38 Millionen Schilling geschätzt, der der Schweiz
auf 35 Millionen Franken.
Das Ergebnis der Veredelungsindustrie wird für Österreich, leider
ohne Angabe von Zahlen, als „günstig“ bezeichnet, hingegen in
der Schweiz cher als passiv, weil die Schweiz mehr im Ausland
veredeln läßt als das Ausland in der Schweiz.
Aus den Versicherungsgeschäften ergab sich zugunsten der Schweiz
ein Saldo von 10 bis 15 Millionen Franken. Der österreichische
Gewinn fand mit dem Phönix-Skandal sein Ende. In den fi¬
nanziellen Zusammenbrüchen sind auch die österreichischen
Kapitalserträgnisse untergegangen, die seinerzeit von Layton und
Rist mit den schweizerischen als nahezu gleich erachtet worden
sind. Für die Schweiz haben sich durch die Weltgeschehnisse
starke Verminderungen ergeben. Die Kapitalserträgnisse, die 1913
nahezu 200 Millionen Franken ausmachten, waren 1923 auf 120
Millionen Franken gesunken.
Die Schweiz hat ihren Rang als Vermittler von Bankgeschäf¬
ten, als der Sitz von Holdinggesellschaften durchaus bewahrt.
Österreich wird das völlig eingebüßte Vertrauen neu erwerben
müssen, eine schr schwierige Aufgabe, die große Geduld und
größte Treue erfordert.
Es sollen in diesen Kriegsjahren beträchtliche Ausweitungen von
österreichischen Industrien und zahlreiche Übersiedlungen aus
Deutschland stattgefunden haben. Was davon dauernden Wert
haben wird, ist heute nicht erkennbar, und schon gar nicht läßt
sich ermessen, welche Zerstörungen der Krieg noch bringen
mag. Damit endet also jedwede Vergleichsmöglichkeit mit den
schweizerischen Verhältnissen. Grundlegend aber bleibt doch die
Erkenntnis, daß die Voraussetzungen für die Lebensfähigkeit einer
neuen Republik Österreich durchaus gegeben sind, mag auch die
Aufbauarbeit eine lange und mühevolle sein. Zur Verzweiflung
ist kein Anlaß! Die österreichische Bevölkerung ist tüchtig und
arbeitswillig und in mancher Beziehung sehr begabt. Die hohe
Blüte der Kunst, von den großen musikalischen Genies bis zu
den Salzburger Festspielen, der Weltruf der Wiener medizinischen
Schule, die Schaffung der modernen Architektur durch Otto Wag¬
ner und seiner Schule, der weit ausstrahlende Einfluß der Wiener
Werkstätte, die hervorragenden Leistungen auf gewerblichem
Gebiete, wie etwa der Wiener Mode, die unmittelbar nach der
von Paris rangierte, die erlesenen Lederwaren, sind Beweise dafür.
Die nach 1918 weitverbreitete Befürchtung, daß die Zweimil¬
lionenstadt Wien eine unerträgliche Last bedeute und zum