nahegelegenen in Regenbogenfarben bemalten Amphitheater
zurück; die Kleinen, nun beide barfuß unterwegs, hatten den
Spielplatz entdeckt. Es war der bisher größte und schönste Spiel¬
platz - die Schaukeln intakt, kein Spielgerät war wegen Gefahr
umzäunt. Es spielten zahlreiche andere Kinder, in zahlreichen
Sprachen riefen sie sich Kindersachen zu.
Ich trank setzte mich in die nahe gelegene Bar und lauschte, was
an den Nebentischen geredet wurde. Rechts Englisch, Holländisch
und Italienisch; man gehörte einer Delegation an, die die alles
betreffende Frage der „Integration und Migration“ zum Thema
hatte. Bald verschwanden die vier in ein Gebäude, auf dem gro߬
Nächig die Zapatisten-Brüder dargestellt waren.
Links saßen drei Männer aus dem Dorf, alle tranken Bier, ihre
Hände sahen aus wie die von Maurern, weiß in allen Rillen der
Haut, wie gebleicht. Ich fragte sie, ob sie gerne in Riace leben
würden - sie bejahten es mit einem Ela citta piu bella del mondo,
bo?!“ also: „Was glaubst du denn, es ist die schönste Stadt der Welt.“
Ob es auch etwas damit zu tun habe, dass hier jetzt Fremde
leben und arbeiten, mit anderen Bräuchen, anderem Aussehen,
fragte ich sie...
Einer der Männer antwortete, indem er mit seinem Bierglas
auf den Tisch stampfte und lachte: „Wir sind genauso braun wie
die da, weiß bist höchstens du hier...!“
Ich gab ihm recht und lachte mit. Weil es bereits Mittag war,
bestellte ich allerhand und eilte Richtung Spielplatz, ein Kind
lief mir entgegen.
„Mama, sie weint“, sagte es und zeigte auf das Amphitheater.
Die Große hatte Heimweh und wollte mit Nonna, der Gro߬
mutter telefonieren.
Ich ließ sie telefonierend im Regenbogen zurück.
Eine Afrikanerin schlenderte an der Bar vorbei - sie rief quer über
den Platz einer Freundin, die ihr Kind auf der Umrandung einer
modernen Skulptur stillte, zuerst in einer afrikanischen Sprache,
dann auf Italienisch zu: „Heute bist du bei mir eingeladen, und
die Iraker kommen auch!“
Meine Große kam freudestrahlend auf mich zu:
„Ich habe einen streunenden Hund getroffen, ich habe ihm die
schmutzigen Pfoten gewaschen und jetzt heißt er Rico.“
Nach dem Essen, immer noch auf demselben Platz, fragte der
Kleinste einen Mann, der neben uns saß:
„Bist du der Mimmo?“
Obwohl dieser kein Wort Deutsch verstand, wusste er, was
gemeint war, und es stellte sich heraus, dass er der Bruder des
Verhafteten war.
Es gehe ihm gut, er sei nicht weit weg von Riace, sie seien im
Kontakt, die Stadt sei guter Dinge, denn sie sei ja lebendig. Es
war das erste Mal auf der Reise, dass ich das Wort „vivace“ nicht
im Bezug auf meine Kinder hörte - sie seien so lebhaft, lobte
man sie immer.
Sandro, der Bruder des Bürgermeisters erzählte, dass auch er
eine große Tochter und zwei kleine Söhne habe. Er sagte das, um
zu unterstreichen, was es nun gelte zu tun: es auszusitzen und sich
zusammenzutun. Und es bräuchte eine geschickte Lösung, um
Mimmos Erbe anzutreten — denn er könne nicht mehr wieder¬
gewählt werden, es sei seine dritte Amtszeit jetzt. Er selbst würde
es sich nicht trauen.
Eine Frau mit golden glänzendem Schleier querte den Platz. Ihr
nach ihre kleine Tochter, über ihrem glitzernden Prinzessinnen¬
kleid trug sie eine dicke Regenjacke. Die Mutter drehte sich um
und scheuchte mit einer durchdringenden Stimme das Kind
zurück ins Haus:
„Amore, a la maison!!! Ani amarti lach she achschav i efschar
lalechet iti! tichseri habaita we yotermeuchar naase ma she eftachti
lach. Io sono la regina!“
Ich erhob mich und dachte mir: Sie ist die Bürgermeisterin der
Zukunft und ich bin es. Ich werde bestimmen, welche Paläste wir
unseren Kindern bauen und sie wird es bestimmen.
Unter dem Strand liegt das Stöckelpflaster.
Sous le pave la plage, „come morire da dentro“.
Der Text entstand Ende Oktober 2018 auf einer gesponserten Reise
der Autorin mit ihren drei Kindern Raoul, Ruben und Lilo (4/5/13)
über Neapel nach Riace und weiter auf die Äolischen Inseln.
Riace ist eine italienische Gemeinde mit 2313 EinwohnerInnen
(Stand 31. Dezember 2017) in der Metropolitanstadt Reggio
Calabria in Kalabrien.
Riace besteht aus zwei Siedlungszentren, dem mittelalterlichen
in den Hügeln gelegenen Riace Borgo und Riace Marina am
Ionischen Meer.
Ersteres hat ein mittelalterliches, weitgehend autofreies Zentrum
mit Stadtmauern und vier erhaltenen Toren.
Riace Marina ist ein Seebad am Meer. Vor der Kiiste von Riace
Marina wurden 1972 die beiden griechischen Bronzefiguren aus
der Mitte des 5. Jahrhunderts v. u.Z. gefunden, die im Museo
Nazionale della Magna Grecia in Reggio Calabria ausgestellt sind.
Wie viele Orte Kalabriens litt Riace unter starker Abwanderung
(Stichwort ,,italienische Diaspora“), vor allem nach Australien
und Kanada, sowie hoher Arbeitslosigkeit.
Seit 1998 ein Boot mit kurdischen Flüchtlingen in Riace ge¬
landet war, hat es sich der von Domenico „Mimmo“ Lucano,
seit 2004 Bürgermeister von Riace, mitbegründete Verein Cittä
Futura („Stadt der Zukunft“) zur Aufgabe gemacht, Flüchtlin¬
ge in Riace anzusiedeln, um diesen eine Perspektive zu bieten
und das Dorf wiederzubeleben. Im Jahr 2010 lebten etwa 250
ImmigrantInnen in Riace. Vier Jahre später waren es 800. Sie
stammen vorwiegend aus Tunesien, dem Senegal, Eritrea und
Syrien. Im Gegenzug für Wohnungen und 250 Euro pro Monat
bearbeiteten sie die verlassenen Olivenhaine und Weinberge. Die
Finanzierung gewährleistete Rom, das für jeden Flüchtling pro
Tag 35 Euro zahlt.
Lucano wurde 2016 von der Zeitschrift Fortune in die Liste der
50 einflussreichsten Persönlichkeiten aufgenommen, der deutsche
Regisseur Wim Wenders drehte den Kurzdokumentarfilm „I
Volo“ über ihn, eine Fortsetzung des Filmes ist in Planung. Am
12. Februar 2017 wurde der Bürgermeister für seinen Einsatz mit
dem Dresdner Friedenspreis ausgezeichnet.
Anfang Oktober 2018 teilte die Guardia di Finanza mit, sie
habe Lucano festgenommen und unter Hausarrest gestellt; ihm
wurden Begünstigung illegaler Einwanderung durch Organisation
von Scheinchen zwischen MigrantInnen und Einheimischen sowie
finanzielle Unregelmäßigkeiten vorgeworfen. Er soll auch Aufträge