Widerstand geleistet, wird auch durch Wieder¬
holung nicht wahr.“ Eine solche Behauptung
habe ich gar nicht aufgestellt. Ich habe vielmehr
darauf hingewiesen, dass die Arbeiterklasse „kei¬
ne einheitliche Schicht mit den gleichen Inter¬
essen und Wünschen“ war. Wegen dieser „He¬
terogenität der Arbeiter“ habe ich im Anschluss
an Mason gesagt, dass der NS-Staat gegenüber
den Arbeitern nicht nur auf „Unterdrückungs¬
strategien“ gesetzt habe, sondern auch auf „Neu¬
tralisierungs-“ und „Integrationsstrategien“. Ich
habe geschrieben: „Es kann nicht gesagt werden,
dass ‚die österreichische Arbeiterklasse‘ und mit
ihr alle Arbeiter im Widerstand aktiv waren.“
Dann schreibt Karl Pfeifer: „Ab dem His¬
torikerstreit (1986) änderte sich das Bild der
Historiker vom Gegensatz zwischen Arbeiter¬
klasse und NS-Regime zu einer differenzierten
Wahrnehmung von ‚arischen‘ gesunden Deut¬
schen im Gegensatz zu ‚Gemeinschaftsfremden‘.
Der früh verstorbene linke deutsche Historiker
Detlev J.K. Peukert wies darauf hin, dass es fast
keine ‚internationale Solidarität‘ der deutschen
Arbeiter mit den Zwangsarbeitern gab, ja dass
auch nicht nazistische Deutsche Angst davor
hatten, dass die befreiten Ausländer Rache üben
würden für die erlittenen Ungerechtigkeiten.“
Pfeifer meint also, dass Historiker wie Detlev
Peukert nicht mehr einen Gegensatz zwischen
Arbeiterklasse und NS-Regime sahen, sondern
einen Gegensatz zwischen „arischen“ gesunden
Deutschen und „Gemeinschaftsfremden“. Wenn
aber Peukert in seinem Buch „Volksgenossen
und Gemeinschaftsfremde“ (Bund-Verlag Köln
1982) zwischen diesen beiden Gruppen un¬
terscheidet, so unterscheidet er nicht zwischen
Ariern und Nichtariern. Mit „Gemeinschafts¬
fremden“ meinte Himmlers Projekt des „Geset¬
zes zur Behandlung Gemeinschaftsfremder“, so
Peukert (1982, 262f.), nicht nur eine „begrenz¬
te Gruppe von Arbeitsscheuen, Trinkern und
Landstreichern“, sondern „jeden“, „der Normen
alltäglichen Sozialverhaltens verletzte“: „Dra¬
konische Strafmaßnahmen gegen diejenigen,
die von der Polizei herausgegriffen und zu Au¬
Benseitern erklärt wurden, sollten zugleich die
Bereitschaft der übrigen ‚Volksgenossen‘ zur
Selbstdisziplinierung und Selbstanpassung
stärken.“ An diesem Zitat wird deutlich, dass
mit „Gemeinschaftsfremden“ „Volksgenossen“
gemeint waren, die aber — anders als die „übrigen
Volksgenossen“ — den Nazis irgendwie negativ
aufhielen. Indem Peukert also „Volksgenossen“
und „Gemeinschaftsfremde“ unterscheidet,
sieht er Deutschland nicht von einem Gegensatz
zwischen arischen Arbeitern und nichtarischen
(Zwangs-)Arbeitern geprägt, sieht also keinen
Kampf zwischen diesen beiden Gruppen.
Peukert sieht aber einen Gegensatz zwischen
NS-Regime und Arbeiterklasse; wie ich ist
Peukert der Ansicht, dass die meisten Arbeiter
gegenüber dem Nazi-System resistent geblie¬
ben sind. So schreibt Peukert (1982, 120f.),
die Wahlergebnisse bei den Reichstagswahlen
1930 und 1932 ließen sich „als Indikator dafür
nehmen, daß das Arbeitermilieu in besonderem
Maße gegen den Nationalsozialismus resistent
war. [...] In dieses geschlossene proletarische
Sozialmilieu konnte die NSDAP jedenfalls vor
1933 als weitgehend mittelständisch profilierte
Partei nicht eindringen.“ Die Situation nach
1933 beschreibt Peukert (1982, 126) so: „Die
Nationalsozialisten schufen mit ihren Terror¬
aktionen in den Arbeitervierteln [...] ein Klima
der allgegenwärtigen Verfolgung [...].“ Diese
„Atmosphäre allgegenwärtigen Terrors“ habe
jedoch nicht verhindert, dass sich eine „dem
Nationalsozialismus cher argwöhnisch gegen¬
überstehende Grundhaltung hielt. Weiterhin
blieb der Nationalsozialismus eine Veranstaltung
der Mittelklassen [...]. Wer mehr tat, als sich
notgedrungen anzupassen [...], galt im Arbei¬
termilieu nicht mehr viel.“ Zwar, so Peukert
(1982, 127), habe sich nur eine „Minderheit“
an den Untergrundorganisationen beteiligt,
„aber auch die [...] passive Mehrheit wollte sich
nicht mit dem NS-Regime abfinden, wie [...] die
Stimmungsberichte der Gestapo zeigen“. Es gab
eine passiv bleibende, „passive Abneigung“ der
Arbeiter gegenüber dem NS-Regime. Peukert
(1982, 132) spricht auch von einem „Mangel an
Begeisterung für die politischen Angebote des
Regimes“; „mangelnder Arbeitseifer“ bei den
Arbeitern ist ein weiteres Stichwort.
Nun sagt Pfeifer noch, dass es nach Peukert
„fast keine ‚internationale Solidarität‘ der deut¬
schen Arbeiter mit den Zwangsarbeitern“ gab.
Zwar sagt Peukert (1982, 171), dass die in einem
Artikel in einer illegalen KPD-Zeitung vom Mai
1942 geschilderte „Lawine der internationalen
Solidarität“ nur ein „Frommer Wunsch“ war. In
dem von Peukert zitierten Artikel wird jedoch
berichtet, dass die Nazis „dazu übergegangen
sind, in den betreffenden Betrieben, wo Rus¬
sen beschäftigt sind, diese mittels Stacheldraht
von den deutschen Arbeitern zu trennen“. Die
„braunen Bonzen“ hätten „Angst [...] vor der
wachsenden Solidarität der deutschen Arbeiter,
die diese täglich den ausländischen Arbeitern
gegenüber praktisch zum Ausdruck bringen,
indem sie ihnen selbst noch von dem Wenigen,
Essen, Kleidung und Schuhe überlassen“ (zitiert
nach Peukert 1982, 170f.). Es mag also hier of¬
fenbleiben, ob die Solidarität der deutschen mit
den ausländischen Arbeitern nicht doch größer
war als von Peukert angenommen. Aber auch
wenn Peukert recht hätte, dass statt Solidarität —
die im übrigen streng bestraft wurde, und wenn
es nur um das „Verschenken von Tabakpflanzen“
ging (Peukert (1982, 158) — „Desinteresse“ üb¬
lich war, dann ist damit noch nicht gesagt, dass
die deutschen Arbeiter deshalb Anhänger von
Hitler waren.
Peukert (1982, 161) sagt, dass „die ausländi¬
schen Arbeiter in den monatlichen Festnahme¬
statistiken des Reichssicherheitshauptamtes das
weitaus größte Kontingent“ stellten. Und über
die deutschen Arbeiter sagt Peukert (1982, 142):
„Es ist heute in der Forschung allgemein aner¬
kannt, daß Arbeiter, vornehmlich Mitglieder der
linken Parteien und der Gewerkschaften, schon
von ihrer Anzahl her das Hauptkontingent der
politisch Verfolgten darstellten.“
In seinem letzten Satz schreibt Karl Pfeifer,
„dass der volksgemeinschaftliche Massenmord
ohne den Beitrag der Arbeiter zur Stabilisierung
der NS-Herrschaft niemals hätte durchgeführt
werden können“. Richtig ist, dass sich Mittel¬
und Oberschicht ein Beispiel an den Arbeitern
hätten nehmen können, die in ihrer Mehrheit
gegenüber dem Nazi-System resistent blieben.
Soonim Shin, Wien, 21. April 2019
Franz Güttler— Offener Brief an die Stadtgemein¬
de Melk
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Strobl,
ich erlaube mir hiermit, bei Ihnen und dem
Melker Gemeinderat die Benennung einer öf¬
fentlichen Verkehrsfläche (Gasse, Strasse oder
Platz) Ihrer schönen Stadt nach dem ehemaligen
Melker Bürger und Judenretter Franz Güttler
anzuregen.
Der langjährige Verwaltungsdirektor des
Krankenhauses Melk, Franz Güttler, hat Anfang
Mai 1945 in einer dramatischen Rettungsaktion
sechs ungarisch-jüdische Überlebende des Mas¬
sakers von Hofamt Priel im Krankenhaus Melk,
in der damaligen Infektions- beziehungsweise
Typhus-Baracke aufgenommen, vor dem Zugriff
der NS-Behörden und der Waffen-SS versteckt,
bis zur Einnahme der Stadt Melk durch Sow¬
jettruppen versorgt und so zweifellos ihr Leben
gerettet.
Weitere Infos zur Person und Biographie Franz
Güttlers finden Sie auf den Seiten 15 und 16 der
aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Zwischen¬
welt“, Nr. 4/2018.
Im Übrigen ist Franz Güttler auch eine wich¬
tige Figur meines 2012 im Residenz Verlag er¬
schienenen, historischen Tatsachenromans „223
oder Das Faustpfand“. Sein mutiges Wirken im
Jahr 1945 beschreiben aber auch die österrei¬
chische Historikerin PD Dr. Eleonore Lappin¬
Eppel, unter anderem in ihrem Standardwerk
„Ungarisch-Jüdische Zwangsarbeiter und
Zwangsarbeiterinnen in Österreich 1944/45.
Arbeitseinsatz - Todesmärsche — Folgen“, das
2010 erschienen ist, sowie Tobias Hochstöger in
seiner Bachelorarbeit „Das Massaker von Hof¬
amt Priel“, die im Vorjahr von der Universität
Wien angenommen worden ist.
Mag. Manfred Wieninger, St. Pölten, im März
2019
Briefe, die die Initiative Manfred Wieningers, des
Theodor Kramer-Preisträgers 2013, unterstützen,
wären zu richten an: Stadtgemeinde Melk, Bür¬
germeister Patrick Strobl, Rathausplatz 11, 3390
Melk.