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Thomas Wallerberger Ägnes Heller (1929 — 2019) Als mich am 19. Juli 2019 die Nachricht ereilte, dass die ungarische Philosophin Ägnes Heller bei einem Badeunfall am Balaton ums Leben gekommen sei, drängten sich mir, vermischt mit der Trauer um eine Freundin, das innige und schwierige Verhältnis Hellers mit Gewässern ins Gedächtnis. Sie liebte das Schwimmen, erzählte mir noch 2016 nach einer Veranstaltung in Wien, dass sie in Budapest stets in der Nähe von Bädern gewohnt habe, sie „ganze Essays“ während des Schwimmens komponiere und gedanklich vorformuliere. Gegenüber der New York Times meinte auch ihr Sohn Gyorgy Feher, dass Heller an jenem 19. Juli ihrer „Lieblingsaktivität“ nachgegangen sei. Sie tat dies auch im 90. Lebensjahr mit einigem Elan, an anderer Stelle liest man, dass zweistündige Schwimmrunden für sie immer noch ein normales Pensum darstellten. Tragisch, vielleicht auch in einem literarischphilosophischen Sinne, ist ihr’Tod bei einem Schwimmunfall aber noch ausanderen Gründen. Als 1944 die faschistischen Pfeilkreuzler in Ungarn die Macht übernehmen, setzen sie die Todespolitik der Nationalsozialisten (Heller sollte diese später als das „radikale Böse“ bezeichnen) fort. Als Jüdin entgeht die damals 15-jährige Heller ihren Häschern nur knapp: An die Donau getrieben, wurden vor ihr Reihe um Reihe Jüdinnen und Juden in den Strom geschossen. Die jugendliche Heller stellte sich vor, wie sie ihren Mördern durch einen Sprung in die Donau entkommen würde: „Drei Mal wurden wir an der Donau aufgestellt. Beim ersten Mal begannen die Erschießungen planmäßig. Die Mörder kamen immer näher. Ich hatte überhaupt keine Angst, ich dachte nur daran, in die Donau zu springen, bevor ich an der Reihe war.“ (WZ 50) Heller wollte sich schwimmend ans andere Ufer retten und berichtet, wie sich diese traumatische Erfahrung auch noch später in ihrem Alltag bemerkbar machte: „Ich konnte die Donau nicht mehr zu Fuß überqueren, weil ich Angst hatte, ins Wasser zu springen: Das Wasser zog mich magisch an.“ (WZ 86) Nun gibt es in der philosophischen Tradition ein inniges Verhältnis mit dem Tragischen als Ereignis und Kunstform. Heller selbst weist in ihrem Buch über die „unsterbliche Komödie“ darauf hin. Die Tragödie ist mit letzten, oder zumindest gewichtigen Dingen beschäftigt und erhält ihren Sinn durch einen existentiellen Konflikt und nicht selten durch den Tod ihrer Protagonisten. Hegel hält dazu in seiner Ästhetik fest: „das eigentliche Thema der [ursprünglichen] Tragödie sei das Göttliche“ (Hegel 522). Auch Hellers Leben würde sich für eine tragische Interpretation eignen: Der Ertrinkungstod des ethisch guten Helden (heldenhaft waren viele ihre Lebensentscheidungen unbestreitbar) kündigt sich schon früh an und tritt, nach einer Handlung, die Jammer/Bewunderung (eleos) und Schaudern (phobos) hervorruft, am Endewirklich ein. Es ist aber Heller selbst, der eine solche Lesart- auch wenn sie eine enthusiastische Leserin etwa von Shakespeares Tragödien war — völlig fremd gewesen wäre. In ihrer Philosophie hatte sie viel über Leben (als Tätigkeit) und recht wenig über den Tod zu sagen. Ein Verständnis des Todes erschließt sich in ihrer Philosophie — wenn überhaupt - im Nachdenken über das alltägliche Leben. Als Philosophin schürfte Ägnes Heller nicht nach (absolutem) Sinn und (im) Sein. Sie war an der Heterogenität der Komödie, an der Pluralisierung und nicht der Einzäunung von Leben interessiert. Über Heidegger, grundsätzlich von ihr geschätzt, schreibt sie in A Philosophy of History in Fragments, dass dieser ob seiner 12 ZWISCHENWELT fehlenden Selbst-Ironie eine gar „inauthentische Person“ gewesen sei. Nur mit einem Bewusstsein von Kontingenz sei über moderne Verhältnisse nachzudenken. Für die Philosophie gelte, was für jeden Menschen gelten sollte: In der Annäherung an die Welt des Anderen, tritt sie als Fremde auf und als Fremder bewegt sich der Philosoph immer auch in der Domäne des Komischen. „Ein Philosoph ist ein Fremder“ (WK 23), heißtes in Hellers Buch über die „unsterbliche Komödie“ (und man möchte hinzufügen, dass er als solcher — wie auch Heller selbst unter dem Orbän-Regime — nichtselten lächerlich gemacht wird). Die Verkündung der Komik, entgegen einer allgemein angenommenen Tragik menschlicher Existenz, ist dabei eine seiner Aufgabe. Die menschliche Komödie sei stets mit dem Tod als Nichts konfrontiert, so Heller. Aus der radikalen Inkongruenz von Leben und Tod — Etwas und Nichts - ergäbe sich das Komische. Ein jedes Lachen sei immer auch ein Lachen über den Tod. Die Weigerung, dem Tod Sinn zu verleihen, hat bei Heller mit drei wesentlichen Positionierungen zu tun (wobei die ersten beiden beinahe zwingend zur dritten führen): Die Ablehnung eines jeden metaphysischen Denkens (und damit die Zurückweisung einer sinnstiftenden Besetzung von Nichts, Jenseits, etc.), die Ablehnung eines jeden teleologischen Geschichtsdenkens, und —daraus resultierend — Hellers Auseinandersetzung mit „diesseitigen“ Dingen — mit Leben, Alltag, Ethik. Nicht das Ganze sei die Wahrheit (Hegel), sondern ein Kierkegaardsche Verständnis von Wahrheit setzte sich bei Heller letztlich durch: „Wahrheit ist Subjektivität“ (174) heißt es diesbezüglich in ihrer intellektuellen Biografie Fine Kurze Geschichte meiner Philosophie. Viele Kritiker Hellers warfen ihr ihren Abschied von der Geschichtsphilosophie — ihr postutopisches Denken - als ideologischen „Verrat“ vor (ein Vorwurf, der Ägnes Heller immer wieder treffen sollte: nach Revolution und Konterrevolution in Ungarn 1956; aufgrund ihres vermeintlichen Positionswechsel zum „Liberalismus“ nach und während der Exilzeit in Australien; und letztlich als Kritikerin des autoritären Regierungskurses Orbäns). Sie gibt allerdings das, was man gemeinhin „fortschrittliche Positionen“ nennen mag nie auf, verschiebt ihren Fokus jedoch auf den Status des Individuums — auf Fragen nach „conditio humana“ und Weltwahrnehmung in der Moderne-und dessen Verantwortung als handelndes Subjekt. Diese Fragen nach Status und Verantwortung des Einzelnen, formen sich bei Heller zu einer Art Iheorie der Moderne. Ihre sieben Bücher zu Ethik und Geschichtsphilosophie ereilt dabei ein typisches Exilschicksal: Auf Englisch erschienen, bleiben sie - zumindest im deutschen Sprachraum - völlig unrezepiert und das, obwohl diese Arbeiten mit einigem Rechtals ihr Hauptwerk bezeichnet werden können. In den vielen bisher erschienen Nachrufen, klafft dabei meist ein 20- bis 30-jähriges Loch, das soweit niemanden weiter zu stören scheint... Aber kehren wir zurück zu Hellers Theorie der Moderne. Für Heller ist alleine schon die Frage nach den „letzten Dingen“ (Tod, Gericht, Un/Endlichkeit) an sich metaphysisch motiviert - egal wie eine mögliche Antwort nun ausfallen mag. In der Pascal’schen Wette auf die Existenz Gottes sieht sie ein doppeltes Problem: Einerseits widerspräche eine jede Festlegung auf ein göttliches Prinzip der „historisch-sozialen Kontingenz“ des Menschen in der Moderne. Andererseits sei aber auch die „atheistische Position“ im Kern eine metaphysische. Die Wette gegen die Existenz