er den Mördern entronnen und mit ihm seine Nächsten, seine
zwei Töchter und seine zweite Frau.
Sie zeichnet das Porträt des Juristen und deutsch-jüdischen
Schriftstellers Josef Kastein, der Lea Grundigs erste Ausstellung
in Haifa im November 1941 eröffnet hatte. Sie zeichnet die
Schriftstellerin Anda Amir-Pinkerfeld, die als eine bedeutende
Kinderbuchautorin zur Israelpreisträgerin wurde. Sie zeichnet
Salman Rubaschow, damals Chefredakteur der Histadrut-Zeitung
„Dawar“, später Minister in verschiedenen israelischen Regierun¬
gen und von 1963 bis 1973, unter dem Namen Schasar, dritter
Staatspräsident.
Das Porträt von Mordechai Avi-Shaul zeigt den Dichter, Über¬
setzer, Humanisten, Freund und Genossen, mit dem sie eine le¬
benslange Freundschaft verband. In einer Tusch-Pinsel-Zeichnung
stellt sie Lotti Jonas, eine Galeristin aus Jerusalem dar, die es ihr
ermöglichte, in Ausstellungen eine Reihe von Arbeiten zu verkau¬
fen, um Geld für die Heimreise nach Dresden zu erhalten. Weiters
zeichnet sie den künstlerischen Porträtfotografen Helmar Lerski,
den Dichter Max Zweig, einen Cousin von Stephan Zweig, und
viele andere. In allen Porträts gelingt es Lea Grundig, das Typische
und Individuelle der Porträtierten zu erfassen und abzubilden.
„Ich zeichnete im Kibbuz“
So heißt eine Folge von Zeichnungen. Lea Grundig war schr inter¬
essiert, das Leben in den Kibbuzim kennen zu lernen, entsprach es
doch ihren sozialistischen Vorstellungen. Sie blieb dort gleich einige
Monate als Gast. Im Kibbuz Givat Chaim, der im fruchtbaren
Hefertal liegt, nahe von Netanya, hatte man ihr ein Zelt aufgebaut,
in dem sie wohnen konnte. Sie arbeitete auch eine ganze Zeit bis
Mittag im Weinberg oder auf dem Felde mit. Danach ging sie
heim und zeichnete. Es gab keinen Lohn, nur Taschengeld. Für
alle Bedürfnisse aber wurde gesorgt. Sie zeichnete dort erstmalig
Menschen bei der Arbeit. Sie zeichnet im Weinberg und auf dem
Felde. Sie zeichnete auch die Ställe für Pferde, Rinder, Schafe,
Hühner und Gänse. Sie zeichnet den
Bäcker am Backofen, die Weberin, die
Imkerin, Frauen in der Küche und vie¬
le andere. Am schönsten, so berichtet
Lea Grundig, war es bei den Kindern,
von denen sie zahlreiche Zeichnungen
machte. Die Kleinsten lagen in Kästen.
Ein Drahtnetz schützte sie vor Mücken
und Fliegen und die Kästen standen im
ruhigen Pinienwald.
Durch ihre Ausstellungen konnte Lea
Grundig viele Verbindungen knüpfen.
So kam sie auch in die verschiedenen F
Gegenden des Landes. Mit dem Bus | %
fuhr sie nach Jerusalem, wo sie den
Außenbezirk zeichnete und vom Berg
Scopus aus die alte Stadtmauer. In |
vielen Bildern zeichnete sie das Kar¬
melgebirge. Und sie zeichnete auch die
Bäuerinnen, mit großen Krügen auf dem Kopf, gefüllt mit Wasser
für die Felder — mit welch einer Mühe mussten die arabischen
Felder bewässert werden! Lea Grundig zeichnet in ihren Bildern
die Landschaften mit Wolkenhimmel, diese in ihrer Plastizität.
Sie kam auch zum See Genezareth, eingebettet in die Bergzüge
des Galil, die sie zeichnete. Sie zeichnet die palästinische Land¬
schaft mit dem Berg Hermon, der die Grenze zwischen Syrien
und dem Libanon markiert und an dessen Abhängen der Jordan
entspringt mit seinen drei Quellen. Lea Grundig gelingt es in
ihren Landschafts-Zeichnungen, den Charakter der Landschaft
zu erfassen und wiederzugeben. Das Erleben der Lichtfülle des
Südens wurde für sie zum großen inspirierenden Ereignis. Sie
zeichnet das Licht und die Wolkenspiele in den verschiedenen
Grautönen, laviert, in einer Skala zwischen schwarz und weiß,
so dass die Zeichnungen wie farbig erscheinen.
Eines Tages, nach dem Krieg, erfuhr Lea Grundig, dass Hans,
ihr Mann, das Konzentrationslager überlebt hatte und in einigen
Monaten, im Januar 1946, in Dresden sein würde. Der Ruf aus
ihrem anderen Leben hatte sie erreicht. Ihre Gedanken waren
fortan in ihrer alten Heimat und bei Hans.
In ihrem Selbstbildnis von 1946 ist ihr Blick in die Ferne ge¬
richtet. Er deutet schon die Trennung von den Freunden an,
die sie liebten und unter denen sie sich wohlgefühlt hatte. In
Gedanken war sie bereits in ihrer Heimat und bei Hans. Aber es
dauerte noch Jahre, bis ihr die Heimkehr möglich wurde. Die Reise
musste sie heimlich planen. Die Rückkehr nach Deutschland, in
das Land der Mörder von sechs Millionen Juden galt damals den
Allermeisten als Verrat. Der Abschied von Israel im November
1948 fiel Lea Grundig nicht leicht. Sie hatte hier viele Freunde
gefunden und war als Künstlerin anerkannt. Hier hatte sie Ruhe
und Sicherheit gehabt, sowie eine gute Entwicklung als Künstle¬
rin nehmen können. Ihre besten Arbeiten sind hier entstanden.