OCR
Der geschichtswissenschaftliche Wert dieser Erinnerungen nimmt angesichts der seit den 1980er Jahren in Österreich einsetzenden Auseinandersetzung mit der Widerstands- und den Exil- und Emigrationsgeschichten notwendigerweise ab. Wobei: Rosl Ebners Beschreibungen der Exilpolitik der österreichischen Kommunisten und Kommunistinnen in Großbritannien müssten eine analytische Durchdringung dieses Kapitels nach sich zichen, wenn die Logik der Wissenschaft sich ohne finanzielle und personelle Not frei entfalten könnte. Die Arbeit der Austrian Centre und des Free Austrian Movement (FAM) ist eines der wenigen geglückten Beispiele der antifaschistischen Volksfrontpolitik, die die Komintern mit dem 7. Weltkongress angekündigt hat, in der die von den Nationalsozialisten Geflüchteten ungeachtet ihrer politischen Herkunft ihren Beitrag für den Sturz des NS-Regimes und die Wiedererrichtung Österreichs leisten sollten. Und die Austrian Centres waren mehr als ein Volksfrontprojekt, sie waren Flüchtlingshilfs- und Kulturorganisationen, die den Antifaschisten angesichts des Horrors moralischen Halt geben sollten. Da die österreichischen Flüchtlinge in GB mehrheitlich jüdischer Herkunft waren, haben die oftmals jüdischen Kommunisten ein erfolgreiches Rettungsprojekt fiir die der Shoah Entkommenen, Entwurzelten und Uberlebenschancen Suchenden aufbauen kénnen. Dass dieser Einsatz von „jüdischen“ Kommunisten für jüdische Flüchtlinge in der kommunistischen Weltbewegung großen positiven Widerhall gefunden hat, darf angesichts des kommunistischen Antisemitismus bezweifelt werden. Außerdem standen die kommunistischen Exilanten in angelsächsischen Ländern nach dem Zusammenbruch der antifaschistischen Kriegskoalition und dem Ausbruch des Kalten Krieges beinahe im Geruch westlicher Spione, da die Sowjetunion ab 1947 wieder einen scharfen Kurs gegen die „Imperialisten“, selbstverständlich auch die britischen, fuhr. Kein Wort erfährt man in Rosl Ebners Text über ein gespanntes Verhältnis in der KPÖ gegenüber den Rückkehrern aus dem britischen Exil. Sie hatten es nicht nur in der österreichischen Nachkriegsgesellschaft schwer, sondern auch in der eigenen Partei, ähnliches gilt so nebenbei auch für sozialdemokratische Heimkehrer. Einen Rückschluss auf die schwierige Lage dieser Heimkehrer aus GB kann die Tatsache geben, dass der enge Freundeskreis um Hugo und Rosl Ebner fast ausschließlich aus Menschen dieser Gruppe bestand. Diese Freunde mussten gegen vielfältige Gegner zusammenrücken und sich gegenseitig stützen. Dieser Aspekt des interessanten Freundeskreises mit den Ebners wird im Buch nirgends angesprochen, die Zugehörigkeit und Freundschaft wird nur als Ergebnis gemeinsam überstandener Härten verstanden, was nicht falsch, aber wahrscheinlich nur die halbe Wahrheit ist. Diese Lücke korrespondiert meiner Meinung nach mit der Überbetonung der kommunistischen Parteilichkeit und Disziplin. Viele Seiten verwendete Rosl Ebner darauf, trotz aller Zweifel die Parteinahme für den Kommunismus, das trotz alledem positive Experiment in der Sowjetunion als unabänderlich, also als die einzige richtige politische Perspektive darzustellen. Wie ein(e) „anständige(r)“ KatholikIn nicht aus der Kirche austreten kann, so kann ein(e) KommunistIn die Partei nicht verlassen, auch wenn sie noch so schief zur politischen Linie derselben steht. Uns „Jungen“ warf Rosl Perspektivlosigkeit vor, was einen Kern von Richtigkeit hatte: Wir wussten uns nach antiautoritären und auch nostalgischen Projekten der Linken kein großes Ziel und keinen Plan mehr, was zwar kein Fehler, aber dem neoliberalen Umbau des Kapitalismus mehr Raum gab als gut war. In der Zeit der so genannten „Unübersichtlichkeit“ ist es schwer, zu einer einheitlichen Perspektive zu kommen. Obwohl gerade heute die ökologische Krise, die neue soziale Ungleichheit nach radikalen Veränderungen ruft, wird die Abwehr dieser Bedrohungen mit keinem Konzept einer „proletarischen Revolution“ gelingen können; gerade auch der Sowjetkommunismus war weder ökologisch und schon gar nicht herrschafts- und gewaltfrei. Der „reale Sozialismus“ in Osteuropa und China hat sich wohl historisch erledigt, und neue, differenzierte Antworten auf die schweren Krisen der Gegenwart müssen gesucht werden, wenn die Populisten, Nationalisten und Rassisten nicht das Ruder übernehmen sollen. Ich denke mir, dass der Zusammenbruch des Sowjetblocks, die Jugoslawienkriege und der Sieg des „realen Kapitalismus“ die Depression Rosl Ebners in ihren letzten Lebensjahren verschärft haben werden. Ihr Glaube an eine bessere kommunistische Welt wird einen heftigen Schlag bekommen haben, der von ihr nicht mehr zu bearbeiten gewesen sein wird. Die Hoffnung zerplatzen zu schen, die ihr so viel Energie abverlangt hat, kann nur bitter gewesen sein. Glücklicherweise haben die Ebners nie in einem Land leben müssen, in dem die Kommunisten die Macht inne hatten. Daher sind sie nicht in Gefahr gekommen, Volks- oder Parteifeinde zu verfolgen. Aber wahrscheinlich wären gerade sie am ehesten jene gewesen, die Säuberungen und Anfeindungen zum Opfer gefallen wären. Ähnliches wird wohl auch für viele andere aus ihrem Freundeskreis gegolten haben. Karl Fallend: Mimi & Els. Stationen einer Freundschaft, Marie Langer -Else Pappenheim. Späte Briefe. Wien: Löcker 2019, 350 S. Mein Kollege Bernhard Handlbauer hat seinem Kollegen Karl Fallend eine umfängliche Korrespondenz zur Bearbeitung übergeben, die von zwei verstorbenen Psychoanalytikerinnen in den 1980er Jahren geführt worden ist. Er hat das getan, weil er erstens keine entsprechende Förderung seiner Arbeit, wie viele andere Geistes- und Sozialwissenschaftler in Österreich, gefunden hat, und zweitens, weil er Quellen nicht als Privatbesitz betrachtet, was in der Konkurrenz der WissenschaftlerInnen sehr wohl der Fall ist — Quellenfunde werden allzu oft gehütet wie ein Schatz. Karl Fallend hat ausgehend von dem übergebenen Briefwechsel eine biographische Studie über die Psychoanalytikerinnen Maria Langer und Else Pappenheim erarbeitet. Die Beiden kannten sich von Jugendjahren an und blieben einander - trotz großer geographischer Entfernung — lebenslang verbunden. Karl Fallend hatte Marie Langer in ihrer sozialpsychologischen Arbeit im revolutionären Nicaragua unterstützt und Bernhard Handlbauer gab die Arbeiten Else Pappenheims heraus. Prägend in Wien waren für Marie Langer als auch für Else Pappenheim die Schwarzwaldschule, das Medizinstudium, besonders beim Anatomen Julius Tandler, und die beginnende Ausbildung als Psychoanalytikerinnen in den bürgerkriegsgeprägten 1930er Jahren. Die Tochter aus bürgerlichem Hause, Marie Langer, wurde in den 1930er Jahren Kommunistin, konnte für die KPÖ aufgrund ihrer guten Deckung viele illegale Aufgaben erfüllen und ging 1936 als Ärztin zu den Internationalen Brigarden nach Spanien. Dort erlebte sie den Soldatentod einiger geliebter Männer und hatte eine Serie von nicht willentlich eingeleiteten Aborten zu verkraften. Ihr schwieriger Einsatz scheint die Möglichkeit ihrer Mutterschaft verhindert zu haben. Danach konnte sich Marie Langer mit dem größten Teil ihrer Familie nach Lateinamerika retten. Karl Fallend erforschte mit Hilfe von Marie Langers Kindern, wie schwer der Anfang für Marie Langer im argentinischen Exil November 2019 21