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Beziehung miteinander, z.B. Gestapo-Beamte, die 1945 in Inns¬
bruck „arbeiteten“, hatten 1941 die Familie des holländischen
OSS-Agenten und Funkers Hans Wijnberg in den Niederlanden
verfolgt. Oder: Nachdem der deutsche OSS-Agent Fred Mayer der
Gestapo in Innsbruck - selbstverständlich durch einen V-Mann —
ins Netz ging und schwer gefoltert worden war, erkannten Tiroler
NS-Größen zu Ende des Krieges in ihm eine Chance, mit der
amerikanischen Armee in ein erleichterndes Geschäft zu kommen.

Wie allgemein Politik, lebt selbstverständlich Widerstand auch
von „Beziehungen“, allerdings unter verschärften Bedingungen.
Das Geniale dieser Beschreibung der Fallgeschichte „Greenup“ ist,
dass Peter Pirker die Komplexität dieser Geschichte zeigen, er also
beinahe alle Aspekte von allen Enden her aufrollen kann. Er hat
das umfassende Quellenmaterial, um diesen eigentlich „kleinen“
Einsatz von allen Seiten analysieren zu können, von der Seite der
Alliierten, von den NS-Verfolgungsbehörden, von den Wider¬
standskämpfern und V-Leuten in Tirol, von den Unterstützern in
Oberperfuss und selbst vom Gauleiter Hofer her. Pirker hat all diese
Seiten in Netzanalysen einbringen können, in denen sichtbar wird,
wie Freund und Feind einander gegenüberstanden und wie alle in
diesem weltweiten Kampf engagiert und auch in gewisser Weise
miteinander verknüpft oder besser aneinander gekettet waren.

Dass Franz Weber zum Deserteur wurde, war ein alles andere
als einfacher Weg. Zu Anfang des 2. Weltkriegs war er durchaus
begeisterter Wehrmachtssoldat, aber im Laufe des Krieges begann
er sich zu distanzieren, nachdem er das Warschauer Ghetto be¬
sucht hatte und nachdem er in Jugoslawien zu schweren Kriegs¬
verbrechen im Kampf gegen die Partisanen gezwungen worden
war. Seinen Einsatz in Italien nützte er zum Überlaufen und im
Kriegsgefangenenlager erkannten OSS-Leute seine Qualitäten
und sein Kapital, seine Verankerung im Dorf Oberperfuss, das
zu einer wunderbaren Basis für die Operation Greenup werden
konnte. Nach dem Krieg wurde er ÖVP-Nationalrat und sprach
wenig über seine Rolle als Deserteur und OSS-Agent.

Die beiden jüdischen Agenten Mayer und Wijnberg wollten die
Nazis bekämpfen und besiegen, weil ihnen und ihren Familien
nach dem Leben getrachtet wurde. Sie wurden deswegen von
der amerikanischen Organisation für Spezialoperationen OSS
ausgesucht. Diese Einheit versammelte interessante Flüchtlinge
aus Europa, die sowohl ihrerseits wieder Agenten ausbildeten, als
auch eine analysierende, unterstützende und führende Truppe
als Ausgangsbasis rekrutieren konnten. Nur als Beispiel sei der
Sohn eines sozialdemokratischen Volksbildners in Berlin, Dyno
Loewenstein, genannt, der die Operation Greenup entwickelte und
anleitete. Die amerikanische Armee wollte in Tirol wissen, ob an
der propagandistisch aufgeblasenen „Alpenfestung“ was dran war,
und wie die Brenner-Bahn-Strecke am effizientesten zu bombar¬
dieren war. Sie war die Hauptnachschublinie fiir den italienischen
Kriegsschauplatz. Die amerikanische Luftaufklärung bemerkte,
dass die bombardierten Abschnitte der Brennerbahn immer wieder
sehr schnell wiederhergestellt waren. Fred Mayer tat sich schnell
und äußerst geschickt unter Eisenbahnern um und konnte mit
Funk die Fahrpläne weitergeben, so dass die alliierten Geschwader
die vollbeladenen Munitionszüge bombardieren konnten, was
unvergleichlich größere Schäden und damit Behinderungen des
weiteren Nachschubs mit sich brachte.

Zudem fand Fred Mayer rasch Kontakt zu den widerständigen
Menschen in Tirol, die ihren Einsatz auch noch zu Kriegsende mit
dem Leben bezahlen mussten. Die Widerstandsbewegungen waren,
man muss es so sagen, selbstverständlich von Gestapo-Agenten

durchsetzt, die auch Fred Mayer im April auflliegen ließen. Peter
Pirker konnte selbst die spannende und auch traurige Geschichte
von V-Leuten nachzeichnen. Die SSler und Gestapo-Leute ver¬
suchten aus Mayer sein Wissen herauszuquetschen, aber er war auf
die dosierte Beantwortung und das Aushalten der Tortur trainiert
worden. Und er hatte Glück, der Innsbrucker Ober-Nazi erkannte
in Mayer die Chance, über ihn einen günstigen Wechsel auf die
alliierte Seite vollziehen zu können. Auch der Gauleiter Hofer
ergriff diese Möglichkeit. Über Mayer wurde mit den Alliierten die
kampflose Übergabe von Innsbruck vereinbart. Nicht vergessen
werden darf, dass es dieses Abkommen vielen Nazis und Folterern
erleichterte, ihrer gerechten Strafe zu entgehen. Auch die nettesten
Geschichten haben ihre Schattenseiten.

Durch die umfassende Durchdringung dieses Agenten-Einsatzes
kann Peter Pirker ein besonders realistisches Bild der Möglichkeiten
des Widerstandes, der anhaltenden Efhizienz der NS-Verfolgungs¬
behörden und dem Risiko, dem Mut und dem außergewöhnlichen
Geschick der beteiligten Menschen geben. Dieses Buch ist span¬
nender als die meisten Kriminalromane und kann uns in Bereiche
führen, zu denen ein verstehender Zugang wirklich schwer ist.
Außerdem ist dieser Band wirklich schön gemacht, die Fotos und
Dokumente korrespondieren vorzüglich mit dem Text, und die
graphische Gestaltung von Matthias Breit ist mehr als gelungen.
Dieses spannende, aufregende und schöne Buch, das auch an Tiro¬
ler Legenden kratzt, muss einfach wärmstens empfohlen werden.

Claudia Kuretsidis-Haider: Österreichische Pensionen für jüdische
Vertriebene. Die Rechtsantwaltskanzlei Ebner: Akteure — Netzwer¬
ke — Akten. Mit Beiträgen von Brigitte Bailer, Manfred Mugrauer
und Rudolf Müller. Unter Mitarbeit von Christine Schindler, Ursula
Schwarz und Karin Bischof. Wien: Dokumentationsarchiv des öster¬
reichischen Widerstandes 2017, 319.

Viele der zurückgekehrten Emigranten haben nach 1945 inhalt¬
lich wichtige Funktionen in Österreich übernommen. So hat sich
Hugo Ebner als Anwalt für die österreichischen Geschädigten aus
der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Zeit eingesetzt
und zwar weltweit, d.h. er hat sich auch um die im Ausland Ge¬
bliebenen bemüht. Er führte einen geduldigen Kampf gegen die
bürokratischen Mühlen der Opferfürsorge, für die Anrechnung
der Verfolgungsjahre auf Pensionsansprüche etc. Und war mit
den Jahren zweifellos professioneller als die Beamten, die ihm vis¬
ä-vis saßen. Er hatte Geduld und Ausdauer zu beweisen, um im
Dschungel der Sozialgesetze für die Opfer des Austrofaschismus
und Nationalsozialismus mit Erfolg zu operieren, hatte aber da¬
durch einen Kampfauftrag, den er mit Freundlichkeit, Geschick
und Überblick beackerte.

Seine sozialrechtlichen Akten sind dem DÖW übergeben worden
und stellen einen besonderen Quellenbestand zu den überleben¬
den Verfolgten und Exilanten aus Österreich dar. Eine erste kurze
Analyse dieses Aktenbestandes findet sich in der vorliegenden
Publikation des DÖW von 2017, aber ich bin mir sicher, dass
diese Analyse eine Vertiefung finden wird.

Für mich war in diesem Buch besonders interessant, dass Man¬
fred Mugrauer den Freundeskreis der Ebners in Bezug auf Schwie¬
rigkeiten mit dem internationalen Kommunismus untersucht
hat, und damit die Leerstelle in den Erinnerungen Rosl Ebners
begonnen hat zu füllen. Beinahe automatisch wurden einige aus
diesem Freundeskreis im Zusammenhang der Schauprozesse in den
osteuropäischen Volksdemokratien von 1949-1953 unter die sta¬
linistische Lupe genommen. Ein Anker für all diese Schauprozesse

November 2019 23