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dem’s geht wie mir. Liegt vor Tanger, weiß nicht, wie lange. Hab
beschlossen, dass er Zuwendung braucht. Weil 7 Mädel, wenn ich
dir raten kann / schaff dir einen Soldaten an. / () Ein Mann muss ein
Mann sein / an ihm muss was dran sein / und das ist in der Tat nur der
Soldat / Ein Kuss, der muss stark sein / muss süß, doch voll Mark sein /
so küsst in der Tat nur der Soldat. 2 Hab an einen andern gedacht.
Mit zu’nen Augen funktioniert das wunderbar, egal wen man grad
küsst. Ein Soldat würd ich nicht sein wollen. Vor allem nicht für
die Deutschen. Vor allem nicht seit Guernica. Wie komm ich
dazu, meinen Blick zu senken, wenn ich durch die Straßen geh.
Über Nacht deutsch ... Immerhin bin ich wieder ein Kontrakt.
Seit 32 der erste auf kontinentaleuropäischem Boden. Europa
... Europa ... Europa. Nein, schöner wird’ nicht.

Ich bin Casablanca, ich bin Marrakesch, ich bin so eine schillernde
Persönlichkeit wie man sie sich in diesem grauen Vorarlberg doch
gar nicht auszumalen vermag. Isch bin Judith Jansen im Jardin
d’hiver. Die chaunteuse et daunseuse fantaisiste et piste bin ich.
Manchmal lernt man hier jemanden frisch aus Paris kennen.
Fliegen einfach her, fürs Wochenende. Die Reichen natürlich.
Gegen Arme hab ich nichts, gar nicht, aber Reiche kann man
nicht genug kennen. Vor allem, wo's von Tag zu Tag schwieriger
wird, zu sein, wer ich bin. Jedes Visum will was von mir. Zum
Beispiel, dass ich Französisch-Marokko nach dem Engagement
sofort verlassen muss. Warum wird mir alles schwerer gemacht, als
ich's verdient hab? Prüfung oder Strafe? Sogar Jonas schreibt, dass
er nicht nach Marrakesch kommen kann. Ich soll nach Casablanca
kommen. Einen Papierflieger falten, aus meinem wertlosen Pass,
mich draufsetzen — dünn genug bin ich gerade dafür —, auf den
nächsten Sahara-Wind warten und weit weit weg.

Göstel Johann, Göstel Gerold, Huber Wendelin, Nenning Karl,
Nussbaumer Josef

Ich bin der Brief von Short & Losco, Juni 38, der mich auf Malta
erreicht. Er könne mich zur Truppe Mr. Walters zubuchen. Pfah!
Hätt ich eine X-Beliebige in einer Truppe sein wollen, hätt ich
mir eine Truppe gesucht. Ich bin:

0 Herren, 0 Hilfskräfte und 1 Dame

Ich bin die gute Landung in Senegal nach Atlantiksturm und 4
Tagen auf höchster Sce Juni 38. Ich bin die Todes-Angst, die in
der Vergangenheit wühlt. Mein Briefan H. „Dear J.“, und seiner
an mich. „I thank you for your letter — I miss you over good

health and happiness.“

30 ZWISCHENWELT

Während du, die Tänzerin, was vom Film will, will die Familie
was von dir, der Tochter. „Glaubst, Resi, es geht, dass man dich
wieder mal vor’s Gesicht kriegt? Jetzt, wo du am selben Kontinent
tanzt? Schöne Grüße von der Lanzelin. Und das Hotel Bären hat
neue Wirtsleut. Der Papa geht morgen fischen nach Brand.“ Statt
einem „Petri Heil“ setzt du einen Geschafisbrief auf. Der Bruder des
MacDonald war’, who gave you the adress. Ein Austrian girl bist,
aged 28 years old. Photographs inclosed. Please find anything for
me — and so on. Das kannst jetzt wohl Betteln nennen. Aber Warner
Brothers bettelt ja auch nicht jeder an. Die Twentieth Century hast
dir auch schon besorgt. Warum bist nicht nach New York? Diese Zi¬
therschülerin deiner Mutter, die Sara Hirschauer, war schlau genug
dafür. Ganz ohne Karrier“-Aussicht. Terry, Jessie, Judy — per Adresse:
remaining Post NY. Zu schön.

Während die Mutter eine Liste von Vermissten führt. Meine Schwes¬
ter für meinen Schwager um einen Ariernachweis springt. Mein
Vater den Reichsehrenpreis für Verdienste um die Fischerei durch
den Reichsminister für Ernährung usw. erhält und dein Bruder das
Schutzwall-Ehrenzeichen für den Reichsarbeitsdienst. Währenddessen
bist du eine Mannerbekanntschaft im Zug und ein Autoausflug nach
Sintra. Zum zweiten Mal bist du ein Pechvogel mit Autowrack. Fliegen
hättest sollen. Stattdessen bist du zwei Zähne weniger. Woher bist du
das Geld für die Goldbrücke? Wie tief ist der Schnitt in deinem
Gesicht? Wer bist du im August ’40 im Deutschland-gefälligen
Estado Novo, in das die Menschen aus allen Richtungen geflüchtet
kommen, um es auf die „Manhatten“ oder „Nea Hellas“ zu schaffen.
Im Kiosk kaufst heimlich eine deutsche Zeitung. Letztens wollt ein
Verkäufer sich fraternisier'n mit dir: „Aof Widasen.“ Dabei bist doch
selber im Exil! Jetzt bemühst dich um Brasilien. Dem Pesce hast du
bereits geschrieben. Dass du 28 bist, Stepptänzerin, und Sängerin auf
Englisch. Dass du dich vorab mit aller Rücksicht bei ihm bedankst.
Ein Zauberwort nach Säo Paulo. Mal sehen. Jetzt wär wieder mal

eine Rücksicht für dich fällig.
0 Herren, 0 Hilfskräfte und I Dame

Du bist dein Geburtsort: Feldkirch in Deutschland. Geburtsdatum
4. Dezember ’10. Deine Eltern Gerichtskanzlei-Oberdirektor in
Ruhe Johann Zauser und Therese Zauser geborene Neuner, Gattin.
Du bist die Größe 1 Meter 64, und von der Farbe weiß‘. Deine per¬
sönlichen Merkmale: langer Schnitt unterhalb des linken Auges (vom
Pechvogel in Sintra). Dein Beruf: häuslich. Dein Personenstand:
locker. Du bist in das Melderegister Lisboas eingetragen in der Rua