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Louise Werner
Jetzt verboten

Meine Tante ist verhaftet worden, weil sich in ihrer Wohnung
mehr als fünf Personen versammelt hatten. Das ist jetzt verboten
und ein Nachbar hat sie angezeigt. Für meine Mutter beginnt
die Serie der „Häfenbesuche“. Ich erfahre, dass mein Vater Jude
ist — ich hatte ihn immer für einen Katholiken gehalten, der
nicht in die Kirche geht — und dass er und seine Geschwister

jetzt gefahrdet sind.

Ab der zweiten Klasse andert sich meine Schule. Im Fach Geschich¬
te bekommen wir eine begeisterte Nationalsozialistin, Nazisse 1.
Ich bin in einer geschichts- und politikbewussten Familie aufge¬
wachsen und weiß längst, dass ich einmal Geschichte studieren
will. Daher bin ich oft die Einzige, die bei einer Frage aufzeigt.
In solchen Fällen blickt Nazisse I demonstrativ über die Klasse
und sagt geziert: „Also weiß das niemand?“

Annette Richter

BLACKOUT

Kleiner Bericht über ein alltägliches Exilleben

Es ist etwas Seltsames auswandern zu müssen: heute hat man noch
Vater, Mutter, ein Elternhaus, Geschwister, einen Gefährten, ein
Heim, eine Arbeit — und morgen ist das alles vorbei. Der Gefährte
bleibt allein im verlassenen Heim, die alten Eltern flüchten in ein
unbekanntes Elend, über das Elternhaus machen sich Hyänen her
... Ich konnte mich lange nicht zur Flucht entschließen, bis ein
Ereignis den letzten Anstoß gab. Ein Polizist ging hinter meinem
Mann her und sagte: „Bitte, drehen Sie sich nicht um — gehen

Ein SS-Mann mit Totenkopf-Kragenspiegel kommt uns entgegen.
„Die da“, raunt eine Frauenstimme neben uns, „die mit dem To¬
tenkopf, das sind die Mörder.“ Eine kleine, schmale, dunkelhaarige
Frau gleitet durch die Menge davon. Wenn wir doch wirksamen
Widerstand leisten könnten! Aber meine Mutter nimmt den Vorfall
zum Anlass, mir wieder einmal einzuschärfen, vorsichtig zu sein.

Aus: Louise Werner: „... aber mir hat der Marxismus besser gefallen!“.
Erinnerungen 1931 bis 2001. Herausgegeben von Verena Mermer.
Wien 2018, 31f

Louise Werner (Pseudonym), geboren 1928 in Wien. Besuch des
Konservatoriums, Studium der Geschichte. Tätigkeiten als Haushalts¬
arbeiterin, Geigerin, Sekretärin und Bibliothekarin. Verantwortliche
für Kinder- und Jugendliteratur und Verfasserin von Rezensionen

an der Städtischen Bücherei Wien. Louise Werner verstarb am 6.
Marz 2018 in Wien.

Sie ruhig weiter - aber hören Sie! Schicken Sie die Jüdin endlich
weg! Wir bekommen täglich Anzeigen — wir können sie nicht
mehr verschwinden lassen.“

In dem großen Haus in Meidling hat uns nie jemand beläs¬
tigt, obwohl wir in Rassenschande miteinander lebten. Aber
nun wurde mir klar, daß ich auch die Freiheit, vielleicht das
Leben meines Mannes bedrohte. Ich entschloß mich, von dem

Louise Werners Leben beginnt mit einer Kindheit im
Roten Wien und unter dem Austrofaschismus. Kurz vor
ihrem zehnten Geburtstag muss sie die Machtergrei¬
fung der Nationalsozialisten miterleben. Ihr nach den
Nürnberger Gesetzen jüdischer Vater, Angehöriger einer
Widerstandsgruppe, wird 1944 im KZ Warschau er¬
mordet. Als überzeugte Sozialistin kritisiert Werner die
großen Versäumnisse nach der Befreiung. Sie sieht sich
erneut mit autoritären Denk- und Handlungsmustern
konfrontiert, mit den Auswirkungen rechter Männerbün¬
delei und politischer Seilschaften auf das „Private“, auf
Frauen und Kinder.

Louise Werners Autobiographie liest sich als Lehrbuch
für konkrete Empörung. Nicht ein Distanzieren und
Verachten wird nahegelegt, sondern ein genaues
Benennen und Bekämpfen dessen, was schief lief in der
Zweiten Republik.

Louise Werner: „... aber mir hat
der Marxismus besser gefallen!“
Erinnerungen 1931 bis 2001.
Herausgegeben, glossiert und mit
einem Vor- und Nachwort versehen
von Verena Mermer Wien:
Theodor Kramer Gesellschaft
2018. 191 Seiten. ISBN 978-3¬
901602-76-4. Euro 18,00

Louise Werner
„...abermirhatder
Marxismus besser
gefallen!“

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November 2019

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