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‚anderen‘, von ihm ‚bekämpften‘, nur komplementär verhält.“ Ein weiterer Grund wäre die gegen Schroers in Umlauf gebrachte Beschuldigung, er sei in Italien während des Krieges an Geiselerschießungen beteiligt gewesen.“ Auch wenn die Gestalt des Werwolfs keinen konkreten Verweis auf die Person und die Wirkung des Rechtsgelehrten Carl Schmitt im Nachkriegsdeutschland erkennen lässt, gehört er mit zum Referenzrahmen des Gedichtes. Was für Ernst Jünger der „Zivilisationsjude“ ist, dem er ein Nichtsein in Deutschland androhte, ist für Carl Schmitt der assimilierte Jude, der „wahre Feind“ in seiner Freund-Feind-Unterscheidung, die ihm als Fundament des Politischen galt. Noch 1947 vertraute Carl Schmitt seinem Glossarium: „Denn Juden bleiben immer Juden. Während der Kommunist sich bessern und ändern kann. Das hat nichts mit nordischer Rasse usw. zu tun. Gerade der assimilierte Jude ist der wahre Feind. Es hat keinen Zweck, die Parole der Weisen von Zion als falsch zu beweisen.“ Bei Jünger hat sich der Jude als „der Meister aller Masken“ unsichtbar gemacht, um die Gestalt des Deutschen anzustecken; bei Schmitt betreibt er mit einer „Virtuosität der Mimikry“ den seinem Wesen angehörenden „Maskenwechsel von dämonischer Hintergründigkeit“.*” Wie für Jünger war auch für Schmitt die Unsichtbarkeit des „Jüdischen“ bzw. des assimilierten Juden ein Grund zur Sorge, denn wie können Freund und Feind unterschieden werden, wenn man den „wahren Feind“ nicht mehr erkenne!“ Im Rahmen des damals Zugänglichen wusste Celan genug über die Person und Wirkung Carl Schmitts, der sich nach der „Katastrophe“ keineswegs in „die Sicherheit des Schweigens“ zurückzog.“ Er hatte sich bestenfalls eine den neuen Umständen zugeschnittene Sklavensprache zugelegt, in der er allerdings überaus erfolgreich in Kreisen der bundesdeutschen geistigen und politischen Prominenz war. Auch das wird Celan nicht entgangen sein. Davon zeugt ein aphoristisches Fragment, entstanden vermutlich Ende 1962, das nähere Aufmerksamkeit verdient: „Bei Globke gilt das ,Feste druff — und dann lachen sie den Carl Schmitt hinterwälderisch-waldgängerisch [sic!-GC] ins Neanderthaler-Faustchen... ins rotbraun-rote Schrott-Faustchen.“ (Mikrolithen 45) Bei aufmerksamer Lektiire entspinnen sich mehrere Verweisungsbeziige. Hans Globke und Carl Schmitt werden aufeinander bezogen: Beide sind Rechtswissenschaftler mit besonderen Verdiensten fiir die antisemitische Gesetzgebung im Allgemeinen und für die Nürnberger Rassengesetze im Besonderen.‘ Der Ausdruck „Feste druff“ greift die von Karl Kraus gern verwendete Wendung „Immer feste druff!“ auf, mit der er den deutschen Militarismus im Ersten Weltkrieg anprangerte, z.B. im Gedicht „Immer feste druff!“ (1919) mit den Schlussversen „Denn dieses geht Deutschland doch über alles, über alles doch in der Welt!“ Das „sie“ im Fragment bezieht sich wohl auf die zahlreichen Bewunderer von Carl Schmitt, die zu ihm nach Plettenberg pilgerten, wo er bis zu seinem Tod 1985 wohnte. Dort lachten sie den Carl Schmitt „hinterwälderisch-waldgängerisch“ — ein Verweis auf Jüngers Waldgänger und auf die Art der geführten Gespräche - ins „Neanderthaler-Fäustchen“. Die reflexive Form des Ausdrucks „sich ins Fäustchen lachen“ - heimlich, verschwörerisch lachen — wird im Fragment umgebogen: „sie“ lachen nicht ins eigene, sondern ins Fäustchen von Carl Schmitt. „NeanderthalerFäustchen“ steht wohl pars pro toto für Carl Schmitt selber. Nur schwingt er keine Faust mehr, sondern eben nur ein Fäustchen. Plettenberg ist übrigens nicht weit vom Neanderthal entfernt; in einem anderen Fragment nennt Celan die Kleinstadt „Nebenneanderthaler-Braunes“.*’ Ein „rotbraun-rotes Schrott-Fäustchen“ 42 ZWISCHENWELT — heißt es ergänzend im Fragment. Das Schrott-Fäustchen kann als sarkastischer Verweis auf die „Eiserne Faust“ interpretiert werden, eine 1919 von Ernst Röhm begründete paramilitärische deutschnationale Geheimorganisation, die später den linken, radikal antikapitalistischen und revolutionären Flügel der frühen NSDAP vertrat und eine zweite nationalsozialistische „Volksrevolution“ vorantrieb.* In einem Brief an Theodor Adorno vom 21. Jänner 1962 mokiert sich Celan über die „roten Nazis“, die nach wie vor „dem Widerständler Röhm die Ipsi-Ireue [halten] “, und setzt fort: „Sozialismus, nein Kommunismus + Nation. Und meinetwegen sogar unter Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, wenn bloß Carl Schmitt wieder mitmachen darf beim Umbruch der Brotund-Boden-Flur.“ (GA, 548) Die rotbraun-rote „Eiserne Faust“ der „roten Nazis“ — so könnte man das aphoristische Fragment interpretieren — ist in der Person Carl Schmitts nur noch ein „Schrott-Fäustchen“. Freilich ist hier „Schrott“ auch abschätzig als Müll oder Gedankenschrott mit Bezug auf Schmitts Gedankengut gemeint, wie auch „hinterwäldlerisch“ ein abschätziger Seitenhieb auf das „Waldgängerische“ Ernst Jüngers ist. Damit wird nicht behauptet, dass hinter der Gestalt des Werwolfs im Gedicht Mit der Friedenstaube Ernst Jünger, Rolf Schroers oder Carl Schmitt verschlüsselt wären. Dies wäre auch literaturwissenschaftlich nicht zu vertreten. Denn was Celan einmal vom Iyrischen Ich sagte, gilt auch für die Gestalt des Werwolfs: sie ist die Gestalt dieses Gedichtes, hervorgebracht durch einen akribischen semantisch-akustischen Verweisungszusammenhang, dessen sinnvoller Nachvollzug allerdings nur durch Heranziehung seines zeitgeschichtlichen Referenzrahmens mit Personen wie Jünger, Schroers und Schmitt möglich ist. Der Werwolf kommt mit der Friedenstaube daher, ist aber ein Wald- und Widergänger, und seine Friedenstaube, d.h. seine Friedensbotschaft, ist sein umgestülptes Henkerswort von gestern: „Dasselbe Unheil nimmt andere Gestalten an.“ IX Das Gedicht Mit der Friedenstaube hat Celan weiter bearbeitet. Im Nachlass findet sich eine zweite undatierte Fassung, die lediglich in der ersten Strophe zwei Änderungen aufweist: Der Werwolf kommt mit der Kunkeltaube inmitten zurechtgespiegelter Lügen daher. Die Kunkeltaube rückt die Gestalt des Werwolfs in ein ziemlich anderes Licht. Er kommt mit einem Spinnrocken daher, auch Kunkelstock genannt, an dem statt Flachs oder Wolle eine Taube angelegt ist — ein recht groteskes Bild von einem Werwolf, der auch noch ein Wald- und Widergänger ist. So schreitet er durch den Wald daher und spinnt seine Botschaft, und die ihm folgen, gehen ihm ins Garn. Bei „kunkelnden Werwölfen“ kann man auch an die zu dieser Zeit noch zahlreichen informellen Gruppen, Kreise und Tischrunden denken, etwa an die „Akademia Moralis“ und die sog. „Erste Legion“, wo, wie neue Forschungen belegen, mit prägendem Einfluss auf das Geistesleben und die politische Kultur der frühen Bundesrepublik deutschnational „gekunkelt“ wurde.“ Ferner findet sich unter den Bruchstücken im Nachlass Paul Celans ein undatiertes dichterisches Fragment, entstanden vermutlich im Herbst 1962, das lautet: