Im Oktober 1945 nach Österreich zurückgekehrt, wurde Josef
Friedler im Wintersemester 1945/46 wieder an der Universität
Wien aufgenommen (4. Jänner 1946) und absolvierte sein 10.
Semester. Seine Promotion (nach der alten Ordnung, also ohne
Dissertation) erfolgte am 27.3.1947."
1947 lebte er mit seiner Frau, die er im selben Jahr in Wien ge¬
heiratet hatte, sowie den Söhnen Georg Henri (geboren 19.4.1944)
und Wolfgang (geboren 5.9.1946) in der Prinz-Eugen-Straße
58/10 und war im Altersheim der Stadt Wien in Lainz als Arzt
tätig.'” Ab 1957 war er praktischer Arzt in Wien-Favoriten, bis
1976 Betriebsarzt auf einem Olfeld.'
Josef Friedler starb am 28. Mai 1983.
Das 42-seitige, kopierte Schreibmaschinen-Typoskript aus dem
Nachlass Siglinde Bolbecher im Archiv der Theodor Kramer
Gesellschaft (TKG) wies keinerlei Hinweise zu AutorIn oder
Uberlieferung auf. Aufgrund der aus dem Text hervorgehenden
Informationen konnte mittels Literaturrecherchen als Verfasser
Josef „Joschi“ Friedler identifiziert werden. Entstehungszeit dürften
die frühen 1980er Jahre gewesen sein: Das Münchener Abkommen
wird im Text als „vor fast einem halben Jahrhundert“ angegeben.
Im Kontakt mit dem Sohn des Verfassers, Wolfgang Friedler,
stellte sich heraus, dass dieser einen weiteren Teil des Typoskripts
besitzt, der im Archiv der Theodor Kramer Gesellschaft nicht
vorhanden ist. Dankenswerterweise scannte er die vierzig Seiten
ein und stellte sie für das Projekt zur Verfügung, darüber hinaus
zahlreiche Dokumente und Fotos zum Aufenthalt seines Vaters
in Frankreich. Wolfgang Friedler schreibt zu den Erinnerungen
von Josef Friedler: „Wir fanden das Exemplar, das ich besitze, im
Nachlass meiner Mutter. Sicher ist nur, dass mein Vater nicht
selbst auf einer Schreibmaschine geschrieben hat und der Text
nicht von meiner Mutter abgetippt wurde.“
Der Text ist betitelt mit „In Frankreich für Österreich“. Das
ist auch der Untertitel eines Buchs von Franz Richard Reiter,
erschienen im Jahr 1984, basierend auf den Erinnerungen von
WiderstandskämpferInnen.!° Möglicherweise schrieb Friedler
seine Erinnerungen damals auf und sie wurden dann nicht in
dem Band publiziert.
Text .
Vor der Abfahrt aus Österreich
Nun war es so weit. Ich ging wie vereinbart ins Allgemeine Kran¬
kenhaus, wo ich mir den falschen Paß abholte. Und der Zufall
spielte mir noch eine kleine Schadenfreude zu. Ein Schulkollege,
den ich seit der Matura nicht mehr geschen hatte, und der zu den
wenigen Nazis der Schule gehört hatte, ging eben 20 bis 30 m im
Hof des „Allgemeinen“ an mir vorbei — verweint. Kein Wunder,
sein Vater war jüdischer Abstammung und wir hatten ihn immer
deswegen gehäkelt. Jetzt hatte er wahrscheinlich den erwarteten
Tritt seiner Parteigenossen bekommen ...
Das kleine, hämische Lächeln für mich selber änderte nichts
an der Tatsache, daß derselbe Tag für mich der Abreisetag war.
„Welche Gefühle beherrschen bzw. beherrschten Sie beim Ver¬
lassen Österreichs?“ wäre vielleicht die routinemäßige Frage eines
Journalisten in diesem Fall. Nun, die Situation traf mich nicht
unvorbereitet. Ich wußte, wenn die Sache schief ging (und die
Wahrscheinlichkeit war jaschr groß) und Hitlerdeutschland Öster¬
reich erobern würde, so hatte ich hier keine Betätigungsmöglichkeit
mehr, mein Platz war dann im österreichischen Bataillon „12.
Februar“'’” in den „Internationalen Brigaden“'® der Republika¬
nischen Armee im Spanischen Bürgerkrieg.
Wer war ich? „Volljude“, wie es so schön hieß im Nazijargon,
ausgestoßen „auf Lebenszeit“ von allen österreichischen Hochschu¬
len wegen Betätigung für die Kommunistische Partei, politischer
Leiter und Verbindungsmann zur illegalen KP des natürlich auch
illegalen „Roten Studentenverbandes“'”.
Nun, wieso ich das war und wieso ich das wurde, bedarf na¬
türlich einer Erklärung und da ist eine kleine Biographie fällig:
Die auf diese Zeilen folgende Kurzbiographie von Josef Friedler findet
sich zusammengefasst oben unter „Zum Autor“.
Es war also der 15. März 1938. An demselben Tagam Abend fuhr
ich mit meiner Schwester” nach Venedig ab. Von der Straßenbahn
aus sah ich eine kleine Menschenansammlung; wahrscheinlich
wurde ein Jude gezwungen, eine Parole für die Volksabstimmung
wegzuputzen.”! Am Bahnhof herrschte eine gewisse Hektik, Leute
und Gepäck wurden kontrolliert, an Details kann ich mich nicht
erinnern. Soviel ich weiß, wurden wir nicht belästigt, wir fuhren ja
in das verbündete Italien. Einige hatten Hakenkreuze angesteckt,
die einem überall in Wien angeboten wurden.
Die Stimmung im Abteil ließ sich am ehesten mit dem wiene¬
rischen Wort „mufflert“”?” umschreiben. Keiner sprach mit dem
anderen. Wir fuhren nach Italien hinein und nicht lange darauf
durchfuhren wir einen Tunnel. Als wir wieder draußen waren,
waren die Hakenkreuznadeln verschwunden und die Mienen der
Reisenden sichtlich entspannt. So ist alles relativ auf dieser Welt.
Mir fiel noch das Pfeifkonzert ein, das die Zuschauer im Wiener
Stadion anstimmten, als bei einem Ländermatch die italienische
Mannschaft auf das Spielfeld kam. So ging’s in lockerer Atmo¬
sphäre nach Venedig weiter. Nach Venedig, das ich schon immer
sehen wollte. Aber stier”°, wie man immer war ... Jetzt ging's auf
einmal — durch höhere Gewalt sozusagen.
Das war überhaupt erst meine dritte Auslandsreise. Das erstemal
war es eine geschaffte Arbeit. Da transportierte ich illegale Lite¬
ratur im doppelten Boden eines Koffers von Zürich nach Wien.
Die zweite Reise war eine Autostop-Tour (Tippeln nannte man
es damals) nach Paris im Sommer 36. Ich ahnte damals nicht,
daß ich es so bald wiedersehen würde.
In Venedig angekommen, mußten wir uns zum Markusplatz
durchfragen, ein kleiner Bub führte uns hin und wir hatten dann
alle Mühe, ihn abzuhängen, wir hatten ja nicht eine Lira, ihm
das erwartete Trinkgeld zu geben. Das Rendezvous mit unserem
Bruder am Markusplatz klappte. Ich mußte ihm rasch die Situation
erklären. Er hatte davon keine Ahnung; er hatte sich nie mit Politik
befaßt, schon gar nicht in „fernen Landen“. „Nun gut“, meinte
et, „bleiben wir drei, vier Tage in Venedig und fahren wir dann
nach Paris weiter.“ Am nächsten Tag lasen wir in einer Wiener
Zeitung, daß für Inhaber österreichischer Pässe der Visumszwang
verfügt wurde.” „Na servus, was machen wir jetzt?“ Nachdem
ich schon ein gewisses Training hatte, mich in miesen Situatio¬
nen herumzuschlagen, fiel mir was ein. „Wißt’s was, wir kaufen