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Ja was nutzt das alles, die poli¬
tische Situation wurde immer
düsterer, man schrieb März
1939. Die deutsche Wehr¬
macht marschierte in Prag ein
und liquidierte die tschecho¬
slowakische Republik°', nur ein

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halbes Jahr nach München. In Ee?
Frankreich begann die Kriegs¬
angst fühlbar zu steigen. Jetzt |
hörte man es immer häufiger:
„Ja, wenn die deutschen Her¬
ren mit ihrem Hitler sich nicht
an Verträge halten, kann es ja
morgen gegen uns losgehen.“
Dazu ging es mir wirtschaftlich
an den Kragen. Und das kam so:
Rouen war, wie schon erwähnt,
ein großer Weinhafen. Für das
Entladen der Fässer brauchte

man viele Arbeiter. Da kamen ©
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die großen Transportfirmen da- SS

allem billiger wäre, den Wein,
der aus Nordafrika kam, damals französische Kolonie”, in Tank¬
schiffen nach Frankreich zu bringen. Die meisten Arbeiter ver¬
loren dadurch ihren Platz im Weinhafen und mußten woanders
im Hafen untergebracht werden. Und so verlor ich meinen Job.
In England schien wegen meiner Einreise auch nichts weiter¬
zugehen. War ich überhaupt so erpicht, nach England zu gehen?
Ich weiß es nicht. Die „Secours Populaire“ konnte auch nicht viel
helfen, sie hatte alle Hände voll zu tun mit den tausenden Flücht¬
lingen, die aus Spanien kamen, nachdem Franco die Republik
vernichtet hatte”. Was tun? Da teilte man mir mit, daß eine
Rothschild-Stiftung™ ein Umschulungslager fiir mitteleuropaische
männliche Flüchtlinge in Ostfrankreich eingerichtet hat. Man
würde dort zum Metallarbeiter ausgebildet. Ich meldete mich.

In den Vogesen in den Krieg

So landete ich nun in Rothschilds Umschulungslager in Ostfrank¬
reich am Fuß der Vogesen, im kleinen Badeort Martigny-les-Bains.
Das Ganze war in einem ehemaligen Sanatorium recht gut und
ordentlich untergebracht. Auch in der Lehrwerkstatt waren alle
Werkzeuge da, um in die Schlosserei und das Schmiedehand¬
werk „eingeweiht“ zu werden. Berufslehrer waren in genügender
Anzahl vorhanden, sie gaben sich redlich Mühe. Es war auch im
Allgemeinen „guter Wille“ von seiten der „Lehrlinge“ vorhanden,
wenn man bedenkt, daß die Leute aus den verschiedensten Be¬
rufen und Jahrgängen kamen. Auch ein „Juniorchef“ von einem
Flohzirkus aus dem Prater war darunter, und sogar ein waschechter
Arzt, nicht nur ich, der „Unvollendete“. Ob ich ein ordentlicher
Schlosser geworden wäre, wenn es die Weltgeschichte zugelassen
hätte? Jedenfalls hat es sicher dazu beigetragen, daß ich mich, als
es endlich soweit war, besonders für die Arbeitsmedizin interes¬
siert hab‘.

Was die äußeren Umstände anlangt, so waren wir mehr oder
minder kaserniert. Das Ganze roch nach halber Internierung. Es
ging sich dennoch aus, einen zweitägigen Ausflug in die Vogesen

zu machen. Wir waren ein paar Leute in einer richtigen Hütte,
Elsässer, Burschen und Mädel saßen dort beisammen und sangen
abwechselnd deutsche und französische Schlager.

Ja, und dann schlug die Weltgeschichte zu. Hitler hängte mit
Polen an?, nachdem es ihm vorher bei der Vernichtung der Tsche¬
choslowakei geholfen hatte. Und in Frankreich ging der Riß quer
durch alle politischen Formationen. Die einen waren für einen
Frieden um jeden Preis und die anderen verlangten eine sofortige
Abwehr, bevor es für Frankreich zu spät sei. Für uns Emigranten
standen die, die Abwehr verlangten, logischerweise näher, auch
wenn viele von ihnen zum rechten Flügel der politischen Land¬
schaft gezählt wurden. Man hatte aber nicht den Eindruck, daß
diese Politiker wirklich Oberhand gewinnen würden.

Mitten in dieser Situation, die alle im Lager, nicht nur die poli¬
tisch ausgerichteten, mehr beschäftigte als das tägliche Einerlei,
platzte am 23. August 1939 die Nachricht vom deutsch-russischen
Nichtangriffspakt°°. Den möcht‘ ich unter den Kommunisten
kennen, der mit freudigem Herzen diese Nachricht zur Kenntnis
genommen hatte, oder der eine Freude gehabt hätte beim Anblick
des Fotos. Der Außenminister der Sowjetunion Molotow” und
der deutsche Außenminister Ribbentrop°® Seite an Seite sitzend,
den Pakt unterzeichnend, und dahinter Stalin. Was mich anlangte,
glaubte ich auch nicht, wie es im Organ der KPF, „LHumanite“”,
hieß, daß damit der Friede gerettet sei. Aber! Ich mußte nicht
allzu lange nach dem ersten Schock nachdenken, um darauf zu
kommen, daß Stalin recht hatte. Hatte ich doch in den eineinhalb
Jahren, die ich in Frankreich war, gesehen — nicht nur ich natür¬
lich — wohin der Karren läuft. Den Hider gegen die Bolschewiken
auszuschicken, damit er dabei auch was abbekommt. Nach all
dem, was man Hitlerdeutschland machen ließ, brauchte man kein
politisches Genie zu sein, um das zu erkennen, geschweige denn
die politische Führung der Sowjetunion mit Stalin an der Spitze.

Nun ging es Schlag auf Schlag. Frankreich und England drohten
mit dem Krieg, falls Hitlerdeutschland Polen angreifen wiirde. Hit¬
ler glaubte, sich eins lachen zu können, und schoß am 1. September
zurück, aufgrund eines von verkleideten Nazis durchgeführten

September 2020 31