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scheint bei mir schicksalhaft vorprogrammiert zu sein, war ich doch in Österreich Betriebsarzt im Ölfeld. In diesem Fall handelte es sich um Mineralölgewinnung aus ölhaltigem Schiefer durch Schwelen oder laienmäßig ausgedrückt durch Auskochen. Ob sich das in normalen Zeiten auszahlt, hatten wir als Laien unsere Zweifel, angesichts des ungeheuren Schuttes, der zurückblieb und den auf eine Schutthalde zu führen den größten Teil der Arbeit darstellt. Es wurde in Schichten rund um die Uhr gearbeitet. Gar groß war die ganze Sache nicht, aber wie gesagt, sie brauchten jeden Tropfen, die Herren aus dem Dritten Reich. Einmal sahen wir sogar drei davon in Offiziersuniform dieses so kriegswichtige Werk inspizieren. Das war übrigens das erste Mal, daß ich diese Herrschaften in voller Kriegesbemalung in Frankreich „bewundern“ konnte. Die Belegschaft bestand fast ausschließlich aus Franzosen. Als Ausländer waren in meiner Arbeitsgruppe noch ein Spanier und ein deutscher Emigrant. Man war bald eine verschworene Gemeinschaft, fest entschlossen, sich nicht für die deutsche Wehrmacht zu zerfransen. Nur einer fiel da irgendwie aus dem Rahmen, es war der deutsche Emigrant. Die anderen ärgerten sich darüber, und ich fragte ihn: „Wollen Sie sich vielleicht ein goldenes Parteiabzeichen verdienen?“ Er lachte und meinte, es mache ihm eben Spaß zu arbeiten. Er konnte eben aus seiner Haut nicht heraus. Ich war soweit mit meinem Schicksal zufrieden, ich hatte auch eine recht gute Unterkunft gefunden, und mit den Kumpeln vertrug ich mich wie gesagt recht gut. Wenn ich nicht mit ihnen nach der Abendschicht stundenlang hätte Kartenspielen müssen, um nicht aus dem Rahmen zu fallen. Ja, was nutzte das alles, wo doch die allgemeine Lage in Frankreich immer ärger wurde. Als im April Laval''° Ministerpräsident von „Petainfrankreich“ wurde, wußten alle, wieviel es geschlagen hatte. Er war ein erklärter Freund Hitlerdeutschlands. Es war an einem Nachmittag, ich hatte gerade keine Schicht, da saß ich mit einigen anderen im Wirtshaus, um uns die Regierungserklärung im Radio anzuhören. Was wird uns wohl der Kerl da erzählen? Angenehmes erwartete man sich nicht. Es begann mit einem allgemeinen Geschwafel, aber dann kam das dicke Ende: Alle wünschten sich ja, daß die Kriegsgefangenen wieder nach Hause kämen. Das wäre aber nur möglich, wenn junge Franzosen zur Arbeit nach Deutschland gingen und so die Gefangenen ablösen würden. Es würde zu diesem Behufe eine Arbeitsdienstpflicht eingeführt werden, um Deutschland in der Rüstungsindustrie zu helfen. Er schloß mit dem Satz, wie heute höre ich es noch: „Ich wünsche den Sieg Deutschlands.“ Wir sahen uns alle entsetzt an, keiner brachte ein Wort heraus. Wieviel das wirklich Hitlerdeutschland genutzt hat, müßten Fachleute untersuchen.''' In Frankreich war es jedenfalls kein Geheimnis, daß unter den in Deutschland Dienstverpflichteten Scharen von Saboteuren waren, Scharen von Leuten, die mit den Nachrichtendiensten der Widerstandsbewegung und den Allüerten in Verbindung standen. Und viele, viele junge Menschen zogen es vor, sich in den Maquis zu den Widerstandsgruppen durchzuschlagen statt zum Arbeitsdienst nach Deutschland zu gehen. Die Rede Lavals war da praktisch ein Mobilisierungsaufruf fiir den Massenwiderstand gegen die hitlerdeutsche Kriegsmaschinerie. Für Laval selbst war diese Rede sein eigenes Todesurteil, das an ihm nach Kriegsende vollzogen wurde. Verhaftung — Deportationslager — Flucht Man schrieb den August 1942. Ich hatte bereits Anrecht aufeinen vierzehntägigen Urlaub. Ich beschloß, Max und Lore zu besuchen, die ich das letzte Mal in den dramatischen Maitagen des Jahres 1940 geschen hatte. Sie wohnten in Nimes, der Hauptstadt des Departements Gard. Wie ich zu ihnen Verbindung bekommen hatte, weiß ich nicht mehr. Mir war es ein besonderes Bedürfnis, sie zu sehen, da Lore an einer damals unheilbaren Blutkrankheit litt und sich anscheinend im letztem Stadium befand. Ich fuhr also wieder nach dem Süden zu den beiden. Es war ein trauriges Wiedersehen, Lore war schon vom Tode gezeichnet. Wie es halt schon so ist in so einer Situation, man tat so, als ob alles in Ordnung wäre und unterhielt sich über die allgemeine Lage. Max sagte mir auf meine vorsichtige Frage, er hätte schon lange keine Verbindung mit den Russen. Er hatte einen guten Radioapparat und so hörten wir am Abend die französische Sendung der BBC.''* Nach der Darstellung der militärischen Lage teilte der englische Sender unter anderem mit, die Regierung Laval würde in den kommenden Tagen auf deutschen Auftrag Razzien gegen ausländische Juden durchführen, um sie dann den deutschen Sicherheitsbehörden zur Deportierung auszuliefern. Wir diskutierten nicht einmal darüber, wahrscheinlich lag uns Lore mehr am Herzen als alles andere. Am nächsten Morgen, ich glaube, es war nicht viel später als 5.00 Uhr früh, da klopfte es an der Tür. Max öffnete. Es waren Polizisten: Max und Lore sollten sich zusammenpacken und mitkommen. Max wies auf Lore. Sie „durfte“ bleiben. Ich mußte mich ausweisen. Nach einem Blick auf meinen Ausweis wurde mir bedeutet, gleich mitzukommen. Jetzt fiel uns die Sendung der BBC ein. Was half’s? Es half uns auch nicht, festzustellen, daß die Polizisten nicht gerade mit Begeisterung bei der Sache waren. Die Weisungen führten sie ja doch durch. Es hatte auch keinen unmittelbaren Nutzen, daß ich „meinem“ Polizisten sagte: „Heute holen Sie mich, morgen wird man Sie holen.“ Wir wurden zu einer Sammelstelle geführt und von dort mit einem LKW zu einer größeren Sammelstelle nach Aix-en-Provence gebracht. Dort, es sah wie eine aufgelassene Garage aus, waren ungefähr 200 Leute beisammen. Wir lungerten im Hof herum. Die Bewachung war nur sehr schwach. Man hätte also ausreißen können. Ohne Papiere? Wohin? Wäre es auch uns politisch Bewußten klargewesen, daß es 100prozentig um Tod oder Leben ging, mag sein, daß wir uns anders verhalten hätten. Wir waren jedenfalls gerührt, als einfache Menschen, die in dieser Region kaum selbst ihren Hunger stillen konnten, ohne auf die Wachtposten zu achten, uns Essen brachten. Vor allem Obst, das noch am ehesten zu haben war. Diese Demonstration der Solidarität dieser Leute, die zugleich eine spontane Demonstration gegen die faschistische Regierung darstellte, werde ich nie vergessen. Auch ein Herr mit der Offiziersrosette der Ehrenlegion im Knopfloch kam und wollte intervenieren. Es wurde ihm bedeutet, es handle sich ja nur um Ausländer. Die ganze Sache machte anscheinend in der Stadt so großes und für die Behörden so unliebsames Aufsehen, daß plötzlich der Präfekt der Region, Chiappe''?, höchstpersönlich im Lager erschien und den diensthabenden Polizeikommissär anfauchte: „Daß mir ja keiner hereinkommt und auch keiner hinausgeht.“ Ich dachte mir, den Dreckkerl müßte man sich merken. Es merkten sich ihn viele. Er überlebte nicht die Befreiung Frankreichs. September 2020 39