In ihrer Wohnung hatte sie (zusammen mit der Böhm) einen
Radioapparat zur Verfügung, der als „Volksempfänger“?” ge¬
schaltet war, und wo die Iheres die deutschsprachigen Sendungen
aus London nicht hereinbekommen konnte. Sie ärgerte sich sehr
darüber und bat mich einmal, ihren Radioapparat anzuschen.
Schließlich, nach einigem Sträuben, willigte ich ein, unter der
Bedingung, daß dies zu einer Zeit geschehen müßte, wo die Böhm
im Dienst war und daß sie nicht vor der Böhm London hören
dürfe. Es gelang mir, eine Einstellung zu finden, wo sie London
ziemlich deutlich hören konnte. Nach einiger Zeit erfuhr ich von
ihr, daß die Böhm sie beim Stabszahlmeister™° Martin denunziert
hatte, weil sie London höre. Martin ließ sie kommen, machte ihr
einen Krach, weil sie so unvorsichtig und dumm sei und sie doch
bemerkt haben müsse, daß die Böhm eine gefährliche Person sei,
eine Hure überdies; diesmal könne er die Anzeige noch vermeiden,
aber ein zweites Mal könne er sie nicht schützen. Da hatte ich
offenbar eine Dummheit gemacht; ich konnte sie ja mündlich
über alles informieren, was ich auch tat. Wieder einmal hatte ich
Glück gehabt.
Hier sei eingeschaltet, was ich von diesem Zahlmeister Martin
(meist durch Emil) erfuhr und was ich selbst von ihm hörte: Er
war von Anfang an dabei: Die H.U.V. war in Lublin®“ aufgestellt
worden; bei der Besetzung der Südzone von Frankreich wurde
sie nach Marseille versetzt. Ein Jahr später, im November 1943,
veranstaltete Martin eine Feier aus Anlaß des Jahrestags der Ver¬
legung nach Marseille, zu der auch die französischen Angestellten
eingeladen waren. Auf dieser Feier hielt Martin eine Ansprache:
Was für ein Glück es gewesen war, aus dieser Hölle im Osten
wegzukommen, so daß man Anlaß habe, dieses Ereignis zu fei¬
ern. Ansonsten galt er als preußischer Kommisknopf, der es z.B.
ablehnte, die „österreichische“ Schirmmütze’“* zu tragen. Emil
mochte ihn wegen seiner militärischen Sturheit nicht leiden;
und er traute ihm nicht; ich erzählte ihm die Geschichte mit der
‘Theres, da war er sehr erstaunt...
Theres pflegte auch mit Nicolas zu diskutieren, und äußerte
auch ihm gegenüber ihre Ansichten über die Zukunft Österreichs.
Ich überließ es ihm, sie davon zu überzeugen, wie vorteilhaft die
Republik ist und daß die Russen auch keine Teufel sind. Er hatte
wohl wenig Erfolg...
n
Theres bemühte sich später, von Marseille wegzukommen. Das
gelang ihr mit Hilfe des ,,Standortarztes“*” (oder so ähnlich), der
ein Tiroler war. Bevor sie abfuhr, verriet sie mir, daf sie Mitglied
einer Geheimorganisation, des „Andreas-Hofer-Bundes“?” sei;
sie zeigte mir das Abzeichen: Unter dem Revers ihrer Jacke war
ein roter Tiroler Adler befestigt...
Wurde ich von jemandem gewarnt oder hatte ich selbst diesen
Eindruck: Fräulein Bauer aus Graz schien eine Nazisse zu sein
oder aus Nazimilieu zu stammen. So hielt ich mich eher zurück,
mit ihr in Kontakt zu kommen; bis ich eines Tages Ohrenzeuge
eines Gesprächs wurde, das ein Oberzahlmeister der Bauabtei¬
lung, ein Architekt aus Berlin, mit ihr führte. Er widerlegte sehr
geschickt ihre phrasenhafte Verteidigung Hitlers und der Nazis.
Ich erinnere mich heute nicht mehr, um was es konkret ging.
Jedenfalls wurde die Bauer immer kleinlauter und gab schließlich
zu, daß sie eigentlich auch „die Nase voll habe“. Ich suchte von da
an, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Das gelang, als sie einmal
von einem Urlaub in Graz zurückkam. Ich fragte sie aus, wie es
in Graz ausschaue, ob bombardiert worden war und über einige
Betriebe. Sie war über meine „Ortskenntnis“ sichtlich erstaunt
und ich mußte wieder einmal in großen Zügen meine „Geschich¬
te“ erzählen. Von da an kam sie öfter zu mir, um zu plaudern;
eines Tages platzte sie heraus: „Daß Sie a Franzos‘ sein sollen, des
kann i net glauben; Sie san a so a typischer Österreicher.“ Und
ich darauf: „Sie Tschopperl, ich war ja länger in Österreich, als
Sie auf der Welt sind.“ — „No ja, so kann man’s erklären“, — und
sie lachte und lachte.
Später, als sie ins Hinterland versetzt wurde, verabschiedete sie
sich von mir: „Sie, Herr Fargot, sie gfalln ma.“ — „Sie haben mir
gfalln.“ Und wieder lachte sie; ich mußte den Erstaunten nicht
spielen...
Später erfuhr ich von einem Österreicher in der H.U.V., daß sie
ihm (und wahrscheinlich auch anderen) ihre Ansicht mitgeteilt
habe, daß ich aus der Wehrmacht desertiert sei und mich mit
französischen Papieren als Franzose bei der H.U.V. anstellen ließ.
Und das fand sie für eine blendende Idee, so den Krieg ungefährdet
zu überstehen. Daß das alles für mich einigermaßen gefährlich
war, kam mir erst lange nachher so richtig zu Bewußtsein; aber
da war schon alles vorbei...
Illegale Schriften — per Post
Ende Mai 1944 wurde zum ersten Mal Marseille bombardiert””':
Die Aperitiv-Fabrik Pernod*” am Bahnhof, wo sich die H.U.V.
43 befand, blieb zwar verschont, aber 50 Meter weiter war die
Hölle los. Kurze Zeit später wurden die Büros der H.U.V. in
eine Villa nach La Rose*”’, einen Vorort, verlegt. Lucien war in¬
zwischen wieder von Marseille abgezogen worden und da war es
schwierig, illegales Material in die Einheit hereinzubringen, weil
ich das ja nicht tun sollte. Mein Verbindungsmann schlug mir
eine Methode vor, die zunächst verrückt aussah. Ich hatte aber
den Eindruck, daß sie offenbar anderswo schon erfolgreich aus¬
probiert worden war. Das war so: Ich gab Roger einige Namen
von solchen Landsern bekannt, die zwar „aufgeschlossen“, aber
bisher nicht irgendwie aktiv geworden waren. Da war der Ober¬
gefreite König, Heeressekretär Hering, der mir aufgefallen war,
als er, aufgrund eigener Beobachtungen in der Sowjetunion, der
Meinung entgegengetreten war, daß es dort „nichts“ gab, keine
moderne Industrie, ein Buchhalter der Berliner E-Werke, der mit
bissigen Bemerkungen zur Lage sich bemerkbar gemacht hatte,
und einige andere.
An diese wurden nun aus Paris mit der französischen Post in
blauen Kuverts „Soldat am Mittelmeer“ und Flugblätter gesandt.
Das erste Mal war ich nicht dabei, wie die Post ankam, aber der
Berliner, glaube ich, erzählte mir nachher, was da geschah. Zu¬
nächst verteilte der diensthabende Zahlmeister die Post; bald
darauf lieferten die Adressaten das Material an ihn ab. Er lief
sofort zum Chef, der einen großen Krach machte; ob sie ihn
zwingen wollten, es mit der Gestapo zu tun zu bekommen? Ob
sie den Verstand verloren hätten? Sofort vernichten, und wenn
er sowas nochmals vor die Augen bekäme, gäbe es Strafwache...
Einige Zeit später war ich bei der Ankunft einer solchen Sendung
dabei: Der Briefträger gibt die Kuverts beim diensthabenden
Zahlmeister ab. Dieser: „Ach, die Rundsendung ist da!“ „Gefreiter
König“ usw; er teilte die Kuverts aus. Der Berliner mir gegenüber