Walter Thaler
Dr. Theodor Herz (1891 — 1973)
Vertriebener jüdischer Arzt aus Piesendorf wurde „Gringo-Doctor“
im argentinischen Urwald
Neunzehn Jahre lang diente Dr. Theodor Herz äußerst verdienst¬
voll als Sprengelarzt im Pinzgauer Ort Piesendorf. Er war wegen
seiner ärztlichen Fähigkeiten schr geschätzt und zudem beliebt,
weil er von der ärmeren Bevölkerung — gerade in den Zeiten der
galoppierenden Inflation der Nachkriegszeit — kein oder nur ein
geringes Honorar verlangte. Doch nach dem Einmarsch Hitlers
in Österreich im März 1938 änderte sich die Situation schlag¬
artig. Als Jude verlor er den Kassenvertrag und durfte seiner ärzt¬
lichen Tätigkeit nicht mehr nachgehen. Sein Schicksalsweg steht
stellvertretend für viele jüdische Schicksale im Pinzgau, die dem
kollektiven Vergessen anheimgefallen sind.
Es ist der über 90-jährigen Mundartdichterin Barbara Höll¬
werth-Rettenbacher und ihrer Nichte Wally Fox-Wallner (verst.
2019) zu verdanken, dass dieser großartige Arzt nun wieder in
die Erinnerung der Pinzgauer Bevölkerung geholt werden kann.
Wesentlich dazu beigetragen hat auch der österreichische Schrift¬
steller Erich Hackl, der durch seine Forschungen über Menschen¬
schicksale in der Zeit des Diktators Salvador Allende und durch
seine Spanischkenntnisse Licht in den weiteren Lebensweg des
Dr. Herz bringen und auch Nachfahren ausfindig machen konnte.
Dr. Theodor Herz wurde am 16. April 1891 in Wien geboren.
Sein Vater Dr. Norbert Herz hatte an der Technischen Hoch¬
schule und an der Universitat Wien Mathematik, Astronomie
und Geodäsie studiert und war sieben Jahre Direktor der Kuffner
Sternwarte. Nach dem Studium der Medizin an der Universität
Wien kam der junge Arzt Dr. Theodor Herz in den Pinzgauer
Ort Piesendorf. Er erwarb schr bald einen guten Ruf wegen seiner
hervorragenden Behandlung von Fußleiden. Noch mehr geschätzt
wurde von der Bevölkerung aber seine menschliche Güte. Der
ehemalige Pinzgauer Bezirkshauptmann und Chronist mehrerer
Pinzgauer Gemeinden, Max Effenberger, schrieb im Jahr 1990 in
dem von ihm verfassten „Heimatbuch Piesendorf“:
Ältere Menschen in Piesendorf reden noch heute von diesem Arzt
und rühmen sein Können, vor allem aber seine Menschlichkeit in
besonderer Weise.
So konnte er etwa die schweren Beinverletzungen des Alois
Höllwerth, eines Bergbauernsohnes vom Grünwaldhof in Nie¬
dernsill, die er sich bei der Holzarbeit zugezogen hatte, soweit
heilen, dass die Geh- und Arbeitsfähigkeit des jungen Mannes nicht
wesentlich beeinträchtigt war. Ein Jahr lang war der umsichtige
Arzt bemüht, dem jungen Mann einen dauernden Schaden zu
verhindern. Dr. Herz ordinierte im Haus Dorfstraße 167 und
war auch Eigentümer einer Liegenschaft in Piesendorf (EZ 195,
Grundbuch Piesendorf), die später an seinen Nachfolger, den
Arzt Dr. Walter Gratzer, gelangte.
Mit der NS-Machtübernahme in Österreich machte eine Flut
von Gesetzen, die in Deutschland bereits Geltung hatten, von
Erlässen und Anordnungen der jüdischen Bevölkerung das Leben
unerträglich. Jüdische Ärzte, Rechtsanwälte und Universitätslehrer
verloren von einem Tag auf den anderen ihr Recht auf Arbeit. So
verliert auch der beliebte Piesendorfer Arzt Dr. Herz die Mög¬
lichkeit, weiterhin seinen Beruf auszuüben. Die Großherzigkeit
des Piesendorfer Arztes veranlasste sogar den NSDAP-Kreisleiter
des Pinzgaus, Dr. Sepp Kastner, eine Zeitlang seine schützende
Hand über Dr. Herz zu halten. Doch dieser Schutz dauerte - vom
Anschluss aus gerechnet — nicht länger als drei Monate. Man
zwang ihn nun, mit seiner Familie, die Wohnung zu verlassen.
Wegen seiner starken Verankerung in der Bevölkerung bot ihm
und der Familie aber die Gemeinde eine Unterkunft im Ge¬
meindespital, was der NSDAP-Kreisleitung in Zell am See, die
im arisierten Parkhotel des einstigen jiidischen Besitzers Isaak
Arditti residierte, nun gar nicht mehr gefiel. Daher sah sich die
Bezirkshauptmannschaft Zell am See auf Drängen der Gestapo
veranlasst, Dr. Herz mit seiner Frau Rosa und Tochter Martha
aus dem Gemeindespital auszuweisen.
Ohne jegliche Aussicht auf eine Arbeit als Arzt und dauerhafte
Bleibe reiste die Familie daraufhin am 27. November 1938 nach
Genua und bestieg am 30. November ein Schiff, das sie nach
Argentinien brachte. Auf dem Aktenvermerk der Bezirkshaupt¬
mannschaft, der die Räumung der Wohnung im Gemeindespital
anordnete, wurde falschlicherweise als Auswanderungsland Brasi¬
lien angeführt. Die Familie versuchte zunächst in Patagonien im
Süden Argentiniens unterzukommen. Doch die österreichischen
Zeugnisse und die Promotionsurkunde, die Dr. Herz als Arzt
auswiesen, wurden in Argentinien nicht anerkannt. Er hätte so¬
wohl die Reifeprüfung als auch das Medizinstudium im spanisch
sprechenden Argentinien erneut absolvieren müssen, wie sein
Enkel Andres Torn in einem mail schreibt:
He didn't want to study medicine again from elementary school on
as some Austrian physicians did.
(Er wollte nicht noch einmal Medizin von der Volksschule an
studieren, wie dies einige österreichische Ärzte taten; E-mail v.
1.11.2018).
Glücklicherweise konnte er sodann mit der Regierung von Mi¬
siones, einer argentinischen Provinz im Nordosten an der Grenze
zu Paraguay und Brasilien, eine Vereinbarung abschließen, die
ihm die Möglichkeit einräumte, als Arzt zu arbeiten, solange kein
argentinischer Arzt im Umkreis von 25 Kilometern vorhanden war.
In einem Brief vom 16. Jänner 1940 schrieb Rosa Herz voller
Dankbarkeit an eine Freundin aus Österreich:
Der liebe Gott hat uns nicht im Stich gelassen! Nach vielen Mühen
und Sorgen ist es uns gelungen, hier im Bergland uns niederzulassen.
Zuerst hat es eine Zeit gebraucht, bis sich die Menschen entschlossen
haben, zu dem neuen Arzt zu gehen. Dann kamen sie immer mehr
und mehr, und es redete sich bald hier im Umkreis herum, dass ein
deutscher tüchtiger Arzt sich niedergelassen habe. Bald zeigte es sich
auch als notwendig, uns ein kleines Sanatorium einzurichten. Bis
zu vier Betten hatten wir schon belegt. (Brief von Frau Rosa Herz
v. 16.1. 1940).
Frau Herz wälzte auch schon Pläne, wie künftig das Leben
besser zu gestalten wäre:
In unmittelbarer Nähe leben viele Deutsche, alle sind Bauern.
Und ein Stück Tirol ist auch vertreten. Da haben wir lustige Leute
aus Schwaz, Jenbach und Wörgl kennengelernt... Jeder sah in den
anderen ein Stückerl Heimat. Dabei sind die Leute gerne hier. Der
Boden bringt alles hervor. Ihre Wirtschaften sind so hübsch, dass es uns
aller Wunsch ist, auch mal ein Stück fruchtbares Land zu besitzen.