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Motesiczky hatte im Widerstand gegen das NS-Regime jüdische Familien versteckt und ihnen zur Flucht verholfen. Er und Ella Lingens wurden verraten. Montesiczky starb nach seiner Deportation nach Auschwitz.* In den USA war es ein Altösterreicher, der das SOS-Kinderdorf einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machte - Joseph Wechsberg (1907 in Mährisch-Ostrau —- 1983 Wien) stammte aus einer verarmten Bankiersfamilie, der Vater fiel im Ersten Weltkrieg. Er studierte in Wien, Paris und Prag, wo er zum Doktor der Rechte promovierte. In jungen Jahren bereiste er die Welt- u.a. als Schiffsmusiker—und war als Journalist und Reiseschriftsteller tatig. 1938 wurde er von der tschechischen Regierung zu Vorträgen über die sudetendeutsche Frage in die USA entsandt und kehrte erst bei Kriegsende als Militärkorrespondent der US-Armee nach Europa zurück.’ Seine Artikel, die er bis zu seiner Ausreise in die USA in Deutsch, Tschechisch und Französisch verfasst hatte, schrieb er nun aufEnglisch. Erschrieb sowohl für angesehene amerikanische Magazine wie Esquire und The New Yorker, aber auch für Playboy. Seit den 1950er Jahren lebte er in Wien, New York und Meran, wo auch seine Tochter Poppy (1950 — 2008) geboren wurde und sich sein Grab befindet.‘ Zu seinen zahlreichen Publikationen gehören neben Büchern über Lebenskunst, Musik, Kulinarik und Bäderkultur auch dieHerausgeberschaft von Simon Wiesenthals „Doch die Mörder leben“ (1967). Dem SOS-Kinderdorf widmete er sich in zwei langen Artikeln, die das Spendenaufkommen in den USA beträchtlich förderten. In seinem ersten Artikel „Ihey learn tosmile again“, der 1957 reich bebildert in der Saturday Evening Post erschien, packte er die amerikanische LeserInnenschaft mit einem Bezug zu den USA. Zu den frühen Kinderdorfkindern in Imst gehörten neben Kriegswaisen auch sog. „occupation children“, wie Wechsberg sie nannte, d.h. Kinder, deren Väter sog. Besatzungssoldaten waren. Sein Artikel begann mit folgenden Sätzen: You couldnt call Willie an orphan: his parents are alive. But Willie, a sturdy eleven-year-old Austrian boy doesn't know them. His father was an american soldier on occupation duty who retruned to the states in 1946, a year after Willie was born. His mother, an Austrian women, never got over the shock of having been jilted. She had a mental breakdown and is now confined to an asylum. [...].’ Im Kinderdorfaber habe er eine Heimat gefunden, Geschwister und eine Mutter, die sich um ihn kümmere. [...] From the balcony of his chaletlike house Willie sees the Ötztal Alps and the Upper Inn Valley of Western Tyrol and the 7000-foot-high Tschirgant — „our mountain [...]“. Ausführlich schilderte er in dem Artikel das Leben der Kinder und Kinderdorfmütter. Die Geldsummen, die die Mütter damals für jedes Kind im Monat erhielten, waren niedrig. 200 Schilling, acht Dollar, standen im Monat für das Essen zur Verfügung. Gmeiner erzählte Wechsberg von den Anfängen. In Innsbruck hatte er nach dem Ende des Krieges eine kleine Gruppe von Kindern in seine Obhut genommen: [...] [saw them hiding in ruins of bombed houses, hungry, wearing rags, their eyes reflecting the horror theyd been through. Their fathers and mothers were dead or had disappeard — refugees, prisoners of war, slave laborers, bomb victims. I thought it wasnt fair, that these innocent children were sent to reformatories and camps. They needed brothers and sisters instead of fellow inmates. A mother instead of a gurad. I began to form in my mind the idea of a small village, where the kids could grow up in a cheerful atmosphere—sunshine, mountains, woods. [...] 16 — ZWISCHENWELT Wenige Jahre später widmete Wechsberg Hermann Gemeiner ein ausführliches Portrait im New Yorker. Der Artikel erschien kurz vor Weihnachten 1962. Darin wird ausführlich auf Gmeiners pädagogisches Konzept eingegangen. Gmeiner erzählt darin auch, dass er einem russischen Buben sein Leben verdankt. Als Wehrmachtssoldat in Russland hatte er bei einer Frau und ihrem Kind Unterschlupf gefunden und war eingeschlafen. Der heimkommende Vater wollte ihn sofort erschießen, doch der Junge überzeugte den Vater, dass er keine Gefahr darstelle.® Liest man heute die Artikel Wechsbergs, entbehren sie nicht eines gewissen Kitsch-Faktors. Doch in der Zeit, in der Wechsberg sie schrieb, wurden Länder wie Österreich noch sehr stark mit den Verbrechen des Nationalsozialismus assoziiert und es war sicher nicht leicht, ein positives Bild zu zeichnen. Vermutlich waren es vor allem Exilierte und aus Europa Vertriebene in den USA, die für Projekte wie das SOS-Kinderdorf spendeten. Auch der Verlag des „New Yorkers“ spendete nach diesem Artikel eine größere Summe, 5.000 OS, fiir die sich Gmeiner in einem Brief vom Jänner 1963 bei Wechsberg herzlich bedankte.’ Die Autorin lebte als Kind einige Jahre im Südtiroler Kinderdorfin Brixen. Sie hat kürzlich eine vom Zukunftsfonds Österreichgeförderte Studie zum Kinderdorfgründer Sebastian Ebner durchgeführt; siehe: E. Malleier: Nachkriegszeit und Netzwerke. Der Kinderdorfgründer Sebastian Ebner. In: Günther Pallaver, Leopold Steurer, Martha Verdorfer: Einmal Option und zurück. Die Folgen von Aus- und Rückwanderung für Südtirols Nachkriegsentwicklung. Bozen 2019, S. 257-284. Anmerkungen 1 Zu Gmeiners Prinzipien siehe: Gmeiner, Hermann. Die SOS-Kinderdörfer. Moderne Erziehungsstätten für verlassene Kinder. Innsbruck, Wien, München 1960. Bereits im 19. Jahrhundert gab es Vereine, die das Konzept der Unterbringung von Kindern in kleineren familienähnlichen Gruppen entwickelten, älter ist das Prinzip der sog. „Penny-Vereine“, in der Habsburgermonarchie „Kreuzervereine“, bei denen der Mitgliedsbeitrag jeweils 1 Kreuzer im Monat betrug; siche: E. Malleier: „Kinderschutz“ und „Kinderrettung“. Die Gründung freiwilliger Vereine zum Schutz misshandelter Kinder im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Innsbruck, Wien, Bozen 2014. 2 https://www.sos-kinderdorf.at/ Weitere Publikationen zum SOS-Kinderdorf gibt es u.a. von Horst Schreiber, der gerade an einer Biographie des jungen Hermann Gmeiner arbeitet. 3 Evamarie Kallir (geb. 1925) „Ganz von Herzen etwas machen“. In: Bettina Hofer, Christina Lienhart: Idealistisch und wagemutig. Pionierinnen im SOS-Kinderdorf. Innsbruck, Wien, Bozen 2006, S. 151-165; siehe auch E.Malleier: „Hab menschliche Monokulturen nie gemocht.“ In: Augustin, Nr. 160. Wien 2005. Zu den Kinderdorfmüttern international siehe: E. Ullmann u.a. (Hg.): Frauenleben. SOS-Kinderdorf-Mütter aus aller Welt erzählen. Innsbruck 2003. 4 https://noe.orf.at/stories/3009554/ 5 Wechsberg, Joseph. Heimkehr. Wuppertal 2015. 6 http://www.josephwechsberg.com/ 7 Wechsberg, Joseph. They learn to smile again. Saturday Evening Post. Philadelphia, January 5th 1957. 8 Wechsberg, Joseph. A House called Peace. In: The New Yorker. New York, December 22nd 1962. 9 Kristina Singer: Der Journalist und Schriftsteller Joseph Wechsberg (1907 — 1983). Eine werksanalytische Einzelstudie mit Stationen in Mahrisch-Ostrau, Wien, New York und Meran unter Berücksichtigung der Aspekte Emigration und Lebensfreude. Diplomarbeit. Universität Wien, 2007.Vgl. auch: Sabine Mayr: Von Heinrich Heine bis David Vogel. Das andere Meran aus jüdischer Perspektive. Wien, Bozen 2019.