Erich Hackl hat diesen Roman-Essaay
über das Erinnern in sehr gutes Deutsch
übertragen. Wir finden uns in einer gali¬
zischen Kleinstadt der Franco-Ara, wo die
Menschen, die für die Republik gekämpft
haben oder republikanisch gesinnt sind,
von den siegreichen Faschisten noch Jahre
danach zu Hinrichtungsstätten geführt und
jahrzehntelang als eine Menschenrasse be¬
handelt werden, der keine Ehre und Würde
gebührt. Doch diese Menschen lieben ihren
Heimatort, obwohl es hier keine Zukunft
gibt. Aus dem zunächst alles überdecken¬
dem Grau schälen sich nach und nach
Ereignisse heraus, die aus verschiedenen
Perspektiven bezeugt werden. Die verge¬
waltigung eines Buben durch Soldaten des
Regimes, der danach nur mehr mit den
Vögeln vor dem Fenster redet. Der Tod
eines Partisanen auf den Eingangsstufen
der Kirche. Ein Stierkämpfer, der sich hier
verliebt und damit dem Schicksal einer
tödlichen Cornada entgeht, die Liebes¬
geschichten einer Sängerin. Im vor- und
zurückgreifenden Gang der Erzählung
wird deutlich, dass die lange unterdrückten
Erinnerungen ja die eigene Realität sind,
nicht etwas verblassend Vergangenes: Ein¬
nerung verjährt nicht. — Ich bin mit dem
Nachdenken über dieses fesselnde Buch,
dasähnlich beeindruckend wie Tabucchis
"Frklärt Pereira" ist, nicht zuende. — KK.
Alfons Cervera: Die Farben der Angst. Ro¬
man. Aus dem Spanischen von Erich Hackl.
Wien: bahoe books 2020. 183 S. Euro 20,¬
So ein Gedichtband wie dieser steht wie
ein Leuchtturm der Lebendigkeit, sagt:
Hier ist ein atmendes fühlendes, vieles
bedenkendes Wesen, das zwar nicht alles,
was auf der Welt geschieht, verantworten
kann, aber hier, im Gedicht, übernimmt
es Verantwortung — ohne Machtanspruch,
öffnet das Gedicht zum schützenden Hafen
der so zerbrechlichen menschlichen Dinge.
Die Kentaurin nimmt sie auf ihre kräfti¬
gen Poesie-Schultern und sucht die großen
Unholde mit Zaubersprüchen zu bannen.
Daher ist auch einiges litaneiartig in dem
Band oder besingt mit dem Maulwurf das
aller Gleichförmigkeit Widerstehende. Ein
wunderbares Gedicht erzählt genauestens
von der Zubereitung einer Hühnerbrühe
zusammen mit der Enkelin, in einem an¬
deren überprüft ein Enkelkind medizinisch
genau den Gesundheitszustand der Grof¬
mutter. Obwohl alle Gedichte sich durch
eine sehr persönliche Note auszeichnen,
sind sie doch alles andere als bloßer Ver¬
weis auf die Kunstfertigkeit der Verfasserin.
Denn Menne bleibt auf ihre Weise bei der
Sache und bei ihrer Wahrheit. — KK
Brigitte Menne: Die Kentaurin von Kagran.
Zorn- und Liebesentwiirfe. Mit Zeichnun¬
gen von Christian Bazant-Hegemark. Wien:
edition fabrik.transit 2020. 191 S.
Dass der Fernbus eine Bühne des Lebens
ist, hat sich schon Verena Mermer mit "Au¬
tobus Ultima Speranza” zunutze gemacht.
Hier aber ist es keine Reise in die Hoff¬
nungslosigkeit, sondern eine in den Tod.
Der Reisende, der nach Jahrzehnten im
Exil in Wien seinen Heimatort besuchen
will, in der osttürkischen Provinz Tunce¬
li, die nach der Militäraktion benannt ist,
mit der 1937/38 ein kurdischer Aufstand
mit äußerster Brutalität niedergeschlagen
wurde, ist sich insgeheim mit Jean Amery
bewußt: "Wer der Folter erlag, kann nicht
mehr heimisch werden in dieser Welt." Der
Zurückgekehrte trifft auf den dagebliebe¬
nen Bruder, der sich dem türkischen Ko¬
lonialregime unterworfen hat und dafür
mit neurotischer Deformation bezahlt.
Erschüttert wird der Heimgekehrte durch
die Begegnung mit einer eigenwilligen Zie¬
gennhirtin, ein Kind noch, das ihm einen
geheimen Weg zu den Quellen des heiligen
Flusses Munzur weist. Von dieser Wande¬
rung zurück, erhält er die Mitteilung, daß
das Mädchen eben an einer Lungenentzün¬
dung gestorben ist. Der Roman hat gro߬
artige Passagen, wie die Liebesgeschichte
zweier Esel oder der Kampf auf Leben und
Tod, den zwei Frauen während der Fahrt
miteinander austragen. Und man erfährt,
welches Klima der Angst und des Terrors
in den 'befriedeten' kurdischen Gebieten
herrscht. - K.K
Richard Schuberth: Bus nach Bingöl. Roman.
Klagenfurt: Drava 2020. 280 S. Euro 21,¬