Gibt es im Weinviertel, dieser nordöstlichsten Region Österreichs,
abgesehen von vereinzelten Friedhöfen eigentlich weitere Spuren
oder auch Gedenkzeichen des früheren jüdischen Lebens?
Die Antwort ist leicht gegeben: Kaum, denn die ehemaligen
Synagogen in den Kleinstädten sind großteils zerstört und ver¬
schwunden. In Stockerau steht das Gebäude zwar noch, ist aber
heute eine evangelische Kirche. In Gänserndorf wollte die Stadtge¬
meinde vor kurzem die letzten Mauerreste der Synagoge abreißen,
um einen Parkplatz zu errichten. Manche der Friedhöfe erwecken
einen jämmerlichen Eindruck, wie z.B. der in Hohenau an der
March, andere werden von den Gemeinden durchaus gepflegt,
so in Stockerau.
Und wie sieht es in den Dörfern aus, die häufig in Sutten —
also Senken - liegen. Gibt es dort Spuren jüdischen Lebens?
Natürlich findet man etwa auf Theodor Kramers Geburtshaus
in Niederhollabrunn eine wenig geglückte Gedenktafel. Darauf
wird aber der Mutter des Dichters nicht gedacht: Sie lebte als
Frau des Gemeindearztes und Ehrenbürgers der Gemeinde, Dr.
Max Kramer, von 1892 bis 1928 in Niederhollabrunn. Babette
(Betty) Kramer wurde am 22. Juli 1942 ins KZ Theresienstadt
deportiert, wo sie am 26. Jänner 1943 starb. Sie hat kein Grab
und ihre Todesursache ist unbekannt.
Fährt man von Wien Richtung Hohenau und vermeidet dabei
die die Landschaft zerschneidende Nordautobahn, so kommt man
auf Landstraßen durch etliche zum Teil malerische Dörfer wie
Hautzendorf, Ulrichskirchen oder Unterolberndorf.
An der Hauptstraße am ehemaligen Feuerwehrhaus in Hautzen¬
dorf prangt eine Tafel mit der großen Aufschrift „Hier investiert
Niederösterreich“, denn das Gebäude wurde 2005 — 2007 unter
dem Obmann des Verschönerungsvereines Kreuttal, Josef Zandt,
zum Vereinshaus umgestaltet. Der Vorbeifahrende muss schon
sehr genau in die Seitengasse blicken, um hinter einer Telefonzelle
versteckt eine weitere Tafel an diesem Gebäude zu entdecken. Sie
erinnertan Jenny und Josef Edelhofer, Mutter und Sohn, die ein
Kaufhaus im Ort betrieben. Nach dem „Anschluss“ kommen sie
in eine Sammelwohnung im 2. Bezirk, werden am 28. Oktober
1941 ins Ghetto Litzmannstadt deportiert und dort ums Leben
gebracht. „Niemals vergessen“ steht auf der Gedenktafel. Warum
dann diese Tafel nicht an der Vorderseite des Gebäudes angebracht
wurde, fragt man sich.
Auch in Ulrichskirchen, unweit von Hautzendorf, lebten Ver¬
wandte von Jenny und Josef Edelhofer. Auch hier muss man
suchen, che man die schon ziemlich angegraute und leicht ver¬
witterte Gedenktafel, die an Adolf, Ernestine und Wilhelm Edel¬
hofer erinnert, findet. An der sogenannten „Judenstiege“ ist sie
neben einer Madonnenskulptur (!) angebracht. Die Edelhofers
betreiben bis 1938, gleich ihren Verwandten in Hautzendorf, ein
Kaufhaus, das nach dem „Anschluss“ arisiert wird. Die Familie
kommt ebenfalls in eine Sammelwohnung nach Wien. Der Sohn,
Adolf, wird schon im Oktober 1939 nach Nisko deportiert, und
dort verliert sich seine Spur. Seine Eltern, Ernestine und Wilhelm,
beide über 60 Jahre alt, werden am 20. Mai 1942 nach Maly
Trostinec deportiert und dort am 26. Mai 1942 ermordet.
Ein weiterer, nicht auf den Gedenktafeln angeführter Verwand¬
ter ist der in Hautzendorf geborene Siegfried Edelhofer. Er wird
Ende Dezember 1938 im KZ Dachau ermordet. Noch weitere
Verwandte der Familie Edelhofer aus Auersthal und Mistelbach
kommen in der Shoah ums Leben. An sie erinnert nichts.
In Unterolberndorf, unweit von Ulrichskirchen, findet sich an
der Hausmauer des chemaligen Arzthauses, in dem nun wieder
ein Gemeindearzt ansässig ist, eine weitere kaum zu entdeckende
Gedenktafel. Sie ist unter Efeu und anderem Gewächs fast nicht
mehr zu sehen. Sie erinnert an Dr. Albert Hollitscher, der von
1910 bis 1938 Gemeindearzt war, und an seine Frau Emma.
Auch sie müssen nach dem „Anschluss“ in einer Sammelwohnung
im 2. Wiener Bezirk unterkommen. Dort stirbt im Juli 1940
Emma Hollitscher. Ihr Mann wird am 5. März 1941 ins Ghetto
Modliborzyce deportiert. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt,
aber wegen seines hohen Lebensalters dürfte er keine Überlebens¬
chancen gehabt haben.
Dass all diese Gedenktafeln in den Jahren zwischen 2003 und
2008 angebracht wurden, ist ein lobenswerter Akt des Geden¬
kens. Doch die Tatsache, dass sie so gut versteckt werden, ist