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Robert Streibel Keiner schaut hin Am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Seit Jahren begleite ich Professor Heinz Böhme beim Aufbau seiner Sammlung von Kunst der „Verlorenen Generation“. Die Sammlung besteht ausWerken von KünstlerInnen, die im nationalsozialistischen Regime als „entartet“ verfemt, später verfolgt, in die Emigration getrieben oder ermordet wurden, und ist seit 2017 in einem Privatmuseum in der Sigmund-HaffnerGasse 12 in Salzburg untergebracht. Im Fokus stehen die oftmals unbekannten Lebensgeschichten der Künstlerinnen und Künstler. Beim Besuch der Sammlung fällt der Blick daher zunächst auf die Lebensdaten sowie den Geburts- und Sterbeort. Dazwischen liegt eine Welt und die ist alles andere als idyllisch, auch wenn der Sterbeort nicht Auschwitz oder Majdanek heißt.In mühsamer Arbeit hat der Sammler, dessen Privatsammlung zur Zeit mehr als 400 Werke umfasst, Hunderte Biographien recherchiert. Begonnen habe alles mit Ludwig Jonas, so Professor Böhme: „Ich habe in den 80er Jahren in einer Galerie in Berlin einige Bilder von ihm geschen, an den Besuch in der Galerie kann ich mich nur mehr dunkel erinnern, aber einen Katalog hatte ich mitgenommen damals. Die Kataloge der Ausstellungen, die ich besucht hatte, türmten sich bei mir, zu viel Papier. Bevor ich die Kataloge in den Papiercontainer warf, stach mir der rote, glänzende Katalog nochmals ins Auge, ich blätterte ihn durch. Ein sonderbarer Katalog, ein Katalog, in den auch Fotos eingeklebt waren. Was ist das? Warum Fotos? Ich begann zu recherchieren, damals war es mit dem Internet noch nicht so leicht. Wer war dieser Ludwig Jonas, dessen Ausstellung unter der Schirmherrschaft des Israelischen Botschafters stand? Und dann entdeckte ich eine Auktion, niemand wollte die Bilder von ihm kaufen, der Galerist war nach England ausgereist. Ich kaufte einige Bilder, und bekam Hinweise auf weitere Bilder. Bilder von Ludwig Jonas hängen heute noch in Tel Aviv, in Haifa und Jerusalem. Palästina war ein sicheres Land für Ludwig Jonas. Mit Ludwig Jonas hat alles begonnen, unbekannte Malerlnnen und SchülerInnen von Max Beckmann, nicht die erste Liga, würden Kritiker vielleicht sagen. Doch diese Unterscheidungen sind eine Klassifizierung, zu der unsere Gesellschaft gerne neigt, wir wollen nur das Beste, die Ersten und wer der Erste ist, das entscheidet nicht nur die Qualität, sondern auch die Vermarktung, das Glück, der Zufall. Viele von den Künstlerinnen und Künstlern, die keiner kennt, malen nicht schlechter als die, die heute bekannt sind.“ Es waren die Leerstellen im Leben zwischen Geburts- und Sterbeort sowie die vielfäligen Methoden der Künstlerinnen und Künstler, den Terror und die Verfolgung zu überleben, die der Motor für die Sammlertätigkeit von Professor Böhme wurden — und so wuchs die Sammlung. Wie viele Mitglieder der Familie der „verlorenen Generation“ wohl noch gefunden werden? Auf dem Plakat für die neue Ausstellung „Zur falschen Zeit am falschen Ort“ ist ein Gemälde des Malers Reinhold Ewald abgebildet. Der Künstler hatte durch ein wenig Anpassung versucht, der Verfolgung durch die Nazis zu entgehen — doch auch er landete bei den „Entarteten“. Ganz nebenbei erzählt Professor Böhme diese Geschichte über den Maler. Es ist ein Wagnis, das Plakat für eine Ausstellung, in der viele Künstlerinnen und Künstler präsentiert werden, die von den Nazis vertrieben und ermordet wurden, mit dem Gemälde eines Künstlers zu gestalten, der sich an die Nazis angebiedert hat. Dieses Wagnis ist fast so groß, wie einen Artikel über die Sammlung von Professor Böhme im Ausstellungskatalog mit einem Zitat aus Richard Wagners Meistersingern zu beginnen: „Drum sag‘ ich euch:/ ehrt eure deutschen Meister!/ Dann bannt ihr gute Geister;/ und gebt ihr ihrem Wirken Gunst,/ zerging‘ in Dunst/ das heil‘ge rom‘sche Reich,/ uns bliebe gleich/ die heil‘ge deutsche Kunst“ Am Beginn war Professor Böhme nicht glücklich mit dem Einstiegszitat meines Artikels, ich habe den Beginn mehrmals umgeschrieben und geändert, die Grundidee und das Zitat sind jedoch geblieben: „Die Annäherung soll mit einem Perspektivenwechsel erfolgen. Die Annäherung startet vom Feindgebiet aus und mit einem Kunstwerk, das unter anderem die Frage der Bedeutung der Kunst thematisiert. Es ist keine Blasphemie, mit einem Künstler und einem Kunstwerk zu beginnen, das die Ausgrenzer, die Räuber und Mörder geliebt und geschätzt haben. Leiter von Konzentrationslagern haben nach ihrem Tagwerk nicht nur Wagner, sondern auch Mozart geliebt. Die Annäherung hier beginnt mit Richard Wagner und den Meistersingern. Wer jetzt verunsichert ist, möge die Gewissheit mitnehmen, dass dieser Beginn ein Akt der geistigen Freiheit ist“, heißt es in meinem Artikel für den Katalog. Dezember 2020 33