Am richtigen Ort zur richtigen Zeit.
Seit Jahren begleite ich Professor Heinz Böhme beim Aufbau
seiner Sammlung von Kunst der „Verlorenen Generation“.
Die Sammlung besteht ausWerken von KünstlerInnen, die
im nationalsozialistischen Regime als „entartet“ verfemt, später
verfolgt, in die Emigration getrieben oder ermordet wurden, und
ist seit 2017 in einem Privatmuseum in der Sigmund-Haffner¬
Gasse 12 in Salzburg untergebracht.
Im Fokus stehen die oftmals unbekannten Lebensgeschichten
der Künstlerinnen und Künstler. Beim Besuch der Sammlung
fällt der Blick daher zunächst auf die Lebensdaten sowie den
Geburts- und Sterbeort. Dazwischen liegt eine Welt und die ist
alles andere als idyllisch, auch wenn der Sterbeort nicht Auschwitz
oder Majdanek heißt.In mühsamer Arbeit hat der Sammler, dessen
Privatsammlung zur Zeit mehr als 400 Werke umfasst, Hunderte
Biographien recherchiert.
Begonnen habe alles mit Ludwig Jonas, so Professor Böhme:
„Ich habe in den 80er Jahren in einer Galerie in Berlin einige
Bilder von ihm geschen, an den Besuch in der Galerie kann ich
mich nur mehr dunkel erinnern, aber einen Katalog hatte ich
mitgenommen damals. Die Kataloge der Ausstellungen, die ich
besucht hatte, türmten sich bei mir, zu viel Papier. Bevor ich die
Kataloge in den Papiercontainer warf, stach mir der rote, glän¬
zende Katalog nochmals ins Auge, ich blätterte ihn durch. Ein
sonderbarer Katalog, ein Katalog, in den auch Fotos eingeklebt
waren. Was ist das? Warum Fotos? Ich begann zu recherchieren,
damals war es mit dem Internet noch nicht so leicht. Wer war
dieser Ludwig Jonas, dessen Ausstellung unter der Schirmherr¬
schaft des Israelischen Botschafters stand? Und dann entdeckte
ich eine Auktion, niemand wollte die Bilder von ihm kaufen, der
Galerist war nach England ausgereist. Ich kaufte einige Bilder,
und bekam Hinweise auf weitere Bilder. Bilder von Ludwig Jonas
hängen heute noch in Tel Aviv, in Haifa und Jerusalem. Palästina
war ein sicheres Land für Ludwig Jonas.
Mit Ludwig Jonas hat alles begonnen, unbekannte Malerlnnen
und SchülerInnen von Max Beckmann, nicht die erste Liga,
würden Kritiker vielleicht sagen. Doch diese Unterscheidungen
sind eine Klassifizierung, zu der unsere Gesellschaft gerne neigt,
wir wollen nur das Beste, die Ersten und wer der Erste ist, das
entscheidet nicht nur die Qualität, sondern auch die Vermark¬
tung, das Glück, der Zufall. Viele von den Künstlerinnen und
Künstlern, die keiner kennt, malen nicht schlechter als die, die
heute bekannt sind.“
Es waren die Leerstellen im Leben zwischen Geburts- und Ster¬
beort sowie die vielfäligen Methoden der Künstlerinnen und
Künstler, den Terror und die Verfolgung zu überleben, die der
Motor für die Sammlertätigkeit von Professor Böhme wurden —
und so wuchs die Sammlung. Wie viele Mitglieder der Familie
der „verlorenen Generation“ wohl noch gefunden werden?
den „Entarteten“. Ganz nebenbei erzählt Professor Böhme diese
Geschichte über den Maler. Es ist ein Wagnis, das Plakat für eine
Ausstellung, in der viele Künstlerinnen und Künstler präsentiert
werden, die von den Nazis vertrieben und ermordet wurden, mit
dem Gemälde eines Künstlers zu gestalten, der sich an die Nazis
angebiedert hat. Dieses Wagnis ist fast so groß, wie einen Artikel
über die Sammlung von Professor Böhme im Ausstellungskatalog
mit einem Zitat aus Richard Wagners Meistersingern zu beginnen:
„Drum sag‘ ich euch:/ ehrt eure deutschen Meister!/ Dann bannt
ihr gute Geister;/ und gebt ihr ihrem Wirken Gunst,/ zerging‘ in
Dunst/ das heil‘ge rom‘sche Reich,/ uns bliebe gleich/ die heil‘ge
deutsche Kunst“
Am Beginn war Professor Böhme nicht glücklich mit dem
Einstiegszitat meines Artikels, ich habe den Beginn mehrmals
umgeschrieben und geändert, die Grundidee und das Zitat sind
jedoch geblieben:
„Die Annäherung soll mit einem Perspektivenwechsel erfolgen.
Die Annäherung startet vom Feindgebiet aus und mit einem
Kunstwerk, das unter anderem die Frage der Bedeutung der Kunst
thematisiert. Es ist keine Blasphemie, mit einem Künstler und
einem Kunstwerk zu beginnen, das die Ausgrenzer, die Räuber
und Mörder geliebt und geschätzt haben. Leiter von Konzentrati¬
onslagern haben nach ihrem Tagwerk nicht nur Wagner, sondern
auch Mozart geliebt. Die Annäherung hier beginnt mit Richard
Wagner und den Meistersingern. Wer jetzt verunsichert ist, möge
die Gewissheit mitnehmen, dass dieser Beginn ein Akt der geis¬
tigen Freiheit ist“, heißt es in meinem Artikel für den Katalog.