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dämmerte bereits. Mir wurde bewusst, dass wir hier nun allein sind - nur wir, Auschwitz war ganz verlassen. Dann gingen wir. Am nächsten Tag in Bielitz, nur dreißig Kilometer entfernt von Auschwitz, fahren wir noch einmal durch den Zigeunerwald. Lauter schöne Villen, die aber bereits verfallen. Auch die Villa Anna, in der Stosius, ein Freund meines Vaters, gewohnt hat. Barger, der Geometrieprofessor, erzählt mir Papa unterwegs, habe ihn gefragt: Getreider, wie fällt der Schatten des Turmes der Villa Anna aufs Dach? Und später: „Durch den Zigeunerwald ging man auf den Klimczok und am Rückweg zum ‚Five‘ ins Tanzlokal.“ Nach der Grenze Drasenhofen drehen wir das Radio auf: Vranitzky auf Staatsbesuch in Polen. Am nächsten Tag wird er Auschwitz besuchen. Reise nach Bielitz im Mai 2018 Am Sonntag, dem 26. Mai, fahren wir ab, meine Schwester, mein Cousin, meine Cousine, die für diese Reise aus Israel nach Wien gekommen sind, und ich. Eigentlich sind wir nur „zweitgradige“ Cousins, aber wir sind einander ziemlich nah. Ihr Vater und mein Vater sind als Cousins in Bielitz aufgewachsen. Wir wollen uns die Stadt ansehen, von der wir von unseren Vätern immer so viel gehört haben. Leider habe ich mein Reiseprotokoll von 1987 nicht vorher gelesen. Das bedaure ich, da ich alles dort anders geschen hätte, hätte ich es getan. Im Gegensatz zu diesem vorigen Bericht, der aus Notizen besteht, die ich während der Reise gemacht habe, schreibe ich das Vorliegende aus der Erinnerung, ungefähr eine Woche nach unserer Rückkehr. Die Fahrt, jetzt schon von so vielen Eindrücken überdeckt, ist mir nur mehr schwach erinnerlich. Es ist Mai, alles wunderbar grün, wir fahren zuerst nach Brünn, dann nach Olmütz. Dort zweigen wir in die Stadt hinein ab, essen eine Kleinigkeit am schr hübsch restaurierten Hauptplatz in einem Kaffeehaus, das wohl noch aus der Monarchie stammt. Weiter fahren wir vorbei an Ostrau durch eine idyllische Landschaft. Das Feld von Austerlitz ist durch große Soldatenpuppen in napoleonischer Uniform gekennzeichnet, eine riesige, grün sich dehnende Fläche. Wir kommen ungefähr um 17 Uhr in Bielitz an, steigen im Hotel President, ehemals Hotel Kaiserhof, ab. Das nobelste Hotel der Stadt, einst und jetzt, Architekt Karl Korn, der in ganz Bielitz gebaut hat, wie wir kurz danach bei einem Stadtrundgang erkennen, — der Otto Wagner von Bielitz. Im Stiegenhaus zwischen den Treppen ist eine überlebensgroße Buddha-Statue platziert. Vor dem Hoteleingang liegt die 3. Mai Straße, die, wie ich nachher in meinem früheren Bericht lese, laut meinem Vater einst ein eleganter Boulevard gewesen ist, heute eine mehrspurig befahrende Straße, die einstige Eleganz nur ahnbar. Wir biegen ab in die heutige Hauptstraße, die „Listopada“. Sie führt über eine Brücke von Bielsko nach Biala, über den schmalen Fluß Biala, der die beiden Stadtteile trennt. Kaum ist man über die Brücke gegangen, scheint man in einer viel dörflicheren Umgebung zu sein, lauter kleine Häuser säumen die Straße. Meine Cousins wollen das Haus finden, in dem ihr Vater, Samek, mit seiner Mutter, der Schwester meines Großvaters aufgewachsen ist. Nach ihren Recherchen muss es das Haus No. 37 gewesen sein. Wir beschließen, die Suche aufzuschieben. Es ist Sonntagnachmittag, ziemlich heiß. Wir gehen ziellos herum, wenige Menschen sind auf der Straße. Wir sind beeindruckt von den Bauten, Jugendstil, Art Deco, manche Fassaden 42 ZWISCHENWELT renoviert, andere dunkelgrau, verfallen, aber als einst schr schöne Gebäude erkennbar. Das Rathaus von Karl Korn, er begegnet uns ständig, auch auf dem Friedhof. Wir sind beeindruckt von dem städtischen Charakter, von der Schönheit der Straßen und Plätze. Gleichzeitig ist vorstellbar, wie intim manches gewesen sein muss, wie lebendig diese Stadt war. Gegen Abend gehen wir zum „Rynek“ hinauf, dem alten Marktplatz. Meine Schwester behauptet, Papa habe immer vom Rynek erzählt, daran habe ich gar keine Erinnerung. Wir setzen uns auf eine Bank und beobachten die Menschen. Der Platz ist offensichtlich das Zentrum der Stadt. Es ist ein lauer Abend und die Menschen sitzen bei den Tischen vor den Restaurants, die den Platz säumen. Meine Cousine und ich gehen, als es bereits dunkelt, eine Straße, die vom Platz bergauf führt, hinauf. Eine schwache Erinnerung habe ich, dass das die Kaiserstraße, die Straße, in der mein Vater aufgewachsen ist, sein könnte. Ich habe davon ein Bild im Kopf, von meiner Reise im Jahr 1987. Die Atmosphäre sehr verträumt, ich stelle mir vor, wie schön es hier damals für die jungen Leute gewesen sein muss, wie aufregend. Am nächsten Tagam Morgen macht meine Schwester eine Liste, was wir alles anzuschen haben. Am Nachmittag hat sie ein Treffen mit dem Historiker Dr. Jacek Jözef Proszyk vereinbart, den uns ein Verwandter meines Vaters, den wir kontaktiert hatten, und der auch aus Bielitz stammt und heute in Israel lebt, genannt hatte. Strahlendes heißes Sommerwetter. Meine Cousins kommen, als wir im Friihstiickssaal des Hotels sitzen, bereits von einem Morgenrundgang zuriick. Sie sind schon im Textilmuseum gewesen, haben dort mit dem Leiter gesprochen, der ihnen mitgeteilt hat, ein altes Adressbuch von Bielitz zu haben und ihnen auch einen kleinen Stadtführer mitgegeben hat. Wir gehen zur Listopada, gehen über die Brücke nach Biala. Suchen Nummer 37. Ein kleines Haus an der Ecke eines kleinen Platzes ist es. Darin eine Apotheke. Ich drücke, ohne viel nachzudenken, auf alle drei Knöpfe der Gegensprechanlage. Jemand öffnet, wir hören eine Frauenstimme und gehen ins Haus. Ziemlich verarmt wirkt es, enger Gang, wir steigen die Treppe hinauf, eine alte Frau steht in ihrer Wohnungstür und schaut, wer da kommt. Wir werfen einen Blick in die Wohnung und versuchen, ihr zu erklären, dass wir da gerne hineinwollen. Meine Schwester legt ihr zehn Zloty hin. Sie lässt uns eintreten. Vorzimmer, voller Bilder und Nippes. Wohnzimmer am Eck. Meine Cousine sagt, sie glaube, sich zu erinnern, dass ihr Vater gesagt habe, es sei ein Eckhaus gewesen, und es sei am 2. Stock gewesen, es könnte also diese Wohnung gewesen sein. Sie und ihr Bruder sind voller Aufregung und fotografieren. Die Frau scheint Angst zu haben, sie legt die Hände ineinander und vors Gesicht, als würde sie beten. Ich verlasse die Wohnung und gehe im Stiegenhaus bis zum Dachboden hinauf. Mein Cousin folgt mir, und danach auch noch die Stiege hinunter zur Kellertür, die ich öffne. Er geht in den Keller hinunter, ich nicht. Vor dem Haus machen wir Fotos und beschließen, die Bürgerschule zu suchen, in die Samek gegangen ist. Gehen ein paar Gassen weiter zur Schulstraße, bis wir vor einem großen Schulgebäude stehen. Es ist gut erhalten, könnte in Wien stehen, Kinder, eine Volksschule. Danach nehmen wir ein Taxi und fahren zum jüdischen Friedhof- eine Straße bergauf, von der ich vermutet hatte, dass es die Kaiserstraße ist und die es tatsächlich ist, wie wir davor recherchiert haben, heute mit einer polnischen Bezeichnung.