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und glücklich sein, wenn ich es schaffe, in eine weiterführende
Schule zu gehen, denke ich. Wir haben alles im Leben verloren,
unser Zuhause, unsere Heimat, unsere Verwandten und Freunde.
Wenn sie jedoch schen, dass es ihrer Tochter gut geht und sie in
Österreich eine neue Heimat gefunden hat und sich hier wohl
und sicher fühlt, werden sie sich sehr freuen. Ich kann es kaum
erwarten, nach Hause zu kommen. Ich klingle freudig an der
Tür und rufe meine Eltern. Mein Vater öffnet mit sehr düsterem
Gesicht die Tür: “Komm rein!” In dem Moment merke ich, dass
etwas nicht stimmt. Ich gehe hinauf und sche, dass alle in der
Küche sitzen und weinen. “Was ist passiert? Was ist los, Mama?”
Meine Mutter sagt: “Wir haben die Abschiebung bekommen. Wir
werden zurückgeschickt.” Nein, wie, wann, warum? Ich kann es
nicht verstehen. Das muss ein Albtraum sein. Mein Vater schimpft:
“Ich kann es nicht verstehen. Sie haben es nicht richtig angeschaut.

Margarete Windsperger
Samira heißt Prinzessin

Ich

Der Flughafen ist groß, trotz der Dunkelheit sieht man den
Dunst, der über der Stadt liegt und die Konturen der Gebäude
und der vielen blinkenden Lichter verwischt. Wie ein Umschlag
legt sich die warme Feuchtigkeit um meine Schultern und füllt
meine Lungen, wie ich aus dem Flugzeug auf die Treppe steige.

Es ist spät, nur wenige Maschinen kommen um diese Zeit an,
die Hallen und Gänge sind leer, bei der Passkontrolle blicke ich
in schwarze Augen ohne Gesicht, eingerahmt in Schwarz, ich
versuche, aus diesen Augen zu erkennen, ob ein Lächeln auf den
Lippen liegt oder nur Leere, Langeweile oder die Sehnsucht, auch
reisen zu können. Dann erinnere ich mich, dass ich gelesen habe,
dass man den Frauen nicht in die Augen schen sollte, nehme
meinen gestempelten Pass und gehe weiter.

In der Ankunftshalle ist reger Betrieb, Menschen in weißen
Tüchern, mit Erkennungskarten um den Hals, mit unförmigen
Plastiktaschen als Gepäck, sitzen müde aufden wenigen Bänken,
liegen zusammengerollt auf dem Boden, die Tasche als Kopfpol¬
ster unter sich, laufen ziellos umher, rufen, suchen, sind aufgeregt.
Die meisten kommen anscheinend aus Afrika, kleine, magere
Menschen, die zum ersten Mal ein Flugzeug bestiegen haben, die
hier verloren sind, die die große Reise ihres Lebens gewagt haben,
lange gespart für diesen Moment, ihren Glauben unter Beweis
zu stellen und zu vollenden. Sie alle steigen direkt in Busse oder
Züge, die sie nach Mekka bringen, ihr Visum erlaubt ihnen nicht,
sich außerhalb der heiligen Zone aufzuhalten. Seit das Flugzeug
die Linie überflogen hat, müssen sie die Tracht der Pilger tragen.

Bevor ich das Flughafengebäude verlassen werde, werde ich
mir auch einen dieser schwarzen Umhänge um die Schultern
legen müssen, ich bin schon aufgeregt, frage mich, wie es sich
anfühlen wird.

Wir werden abgeholt, mit einem großen Blumenstrauß, der in
der klimatisierten Halle noch schr frisch aussieht, und man legt
mir die Abaya um. Schwer ist sie, schwarz, aber sie fühlt sich kühl
an, glatt und kühl. Als ich mich darin einwickle, merke ich, wie
müde ich bin. Bei den ersten Schritten muss ich aufpassen, dass

Sie wollen uns einfach nicht in diesem Land haben. Wir müssen
weiterflüchten. Sie können jederzeit kommen. Die Polizei kann
jederzeit vor der Tür stehen und das ist dann das Ende. Dann
können wir nichts mehr machen.” Ich fange an zu schluchzen:
“Ich will nicht weg. Ich will bleiben. Das ist meine Heimat.”

Heute blickt die Autorin mit Dankbarkeit auf die Jahre in Öster¬
reich zurück. Hier wurde ihrer Familie durch den Einsatz engagi¬
erter ÖsterreicherInnen ein humanitäres Bleiberecht erwirkt. Die
Autorin konnte studieren und kann nun in der Tat sagen, sie habe
hier eine neue Heimat gefunden. Dass hier aber nach wie vor mit
Hassbotschafien gegen ganze Menschengrupen Politik gemacht wird,
erfüllt sie mit ohnmächtiger Empörung.

ich nicht stolpere, der Umhang ist lang, schleift auf dem Boden,
man muss ihn vorne leicht anheben beim Gehen.

Hannin

Hannin ist miide, die Augen brennen, sie kann die vielen Gesich¬
ter nicht mehr unterscheiden, die sie taglich durch die Kontrolle
winkt, Gesichter mit Augen in den unterschiedlichsten Farben,
Menschen, miide, aufgeregt, neugierig, die versuchen, in ihren
Augen zu lesen. Menschen, die ihren Blick nicht deuten können,
ihren Blick, der bunte Bilder eines Lebens sucht, das es für sie
nicht gibt. Bunte Bilder von Frauen, die laut und fröhlich sind
und nicht wie schwarze Fledermäuse als Schatten umher huschen
und unsichtbar bleiben. Doch Hannin hat einen Plan. Sie wird
fliehen, wird davonfliegen als bunter Schmetterling in eine bunte
Welt voll Blumen und exotischer Pflanzen.

Ich

Auf der Fahrt zum Hotel bietet sich das Bild, mit dem ich ge¬
rechnet habe: Glänzende Fassaden aus spiegelndem Glas, glatter
Marmor, grüne Gärten mit Springbrunnen, breite Autostraßen,
bunte Lichter. Schwarze Fledermausfrauen und weiß gekleidete
Männer mit den rot-weißen Kopftüchern. Wir halten bei einem
Restaurant einer amerikanischen Kette, um eine Kleinigkeit zu
essen und werden gleich an dem den Männern vorbehaltenen
Bereich in den hinteren Teil des Lokals geführt, der für Familien
vorgeschen ist. Trotz der späten Stunde ist noch reger Betrieb: am
Nebentisch sitzt eine Familie mit zwei kleinen Mädchen. Sie sind
herausgeputzt, tragen bunte Kleider mit Spitzen und Glitzerstein¬
en, die schwarzen Haare sind mit bunten Bändern geschmückt,
und sie laufen lachend und quietschend zwischen den Tischen
umher, bis der Vater aufsteht und die Kleinere aufhebt, sie in die
Arme nimmt, liebevoll drückt und küsst. Wann wird sich dieses
bunte und fröhliche Mädchen in eine dieser schwarzen Gestalten

Dezember 2020 51