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charismatischen Fredy Hirsch betreut wurden; er ernannte sie zur Bibliothekarin einer Bibliothek von zwölf Büchern. Über diese Zeit schreibt sie: “Die menschliche Sprache ist nicht in der Lage, Auschwitz zu beschreiben. [...] Die Sprache, die ich spreche, hat für das, was ich erlebt habe, keine Worte.” Ihr Vater starb in Auschwitz. Dita und ihre Mutter wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland gebracht. Sie überlebte drei Außenlager von Neuengamme und wird mit ihrer Mutter Elisabeth (Liesl) in Bergen-Belsen befreit. Liesl Kraus übersteht die Strapazen nicht und stirbt im Sommer 1945. Ditas Reaktion auf das Erlebte in den ersten Jahren war, dass sie keine Gefühle aktivieren konnte: “Eine Eisschicht hatte sich um mein Herz gelegt.” 1947 heiratete sie in Prag Otto Kraus, der als Erzieher im Kinderblock in Auschwitz überlebt hatte. Er studierte nach seiner Rückkehr Vergleichende Literaturwissenschaft, Philosophie, Englisch und Spanisch und arbeitete auch als Referent für englische Literatur für das Kultusministerium. 1947 wurde er zum Direktor der Wäschefabrik seiner Eltern ernannt; ihr Sohn Peter kam zur Welt. Otto Kraus war seit seiner Jugend Zionist und besuchte vor seiner Deportation nach Theresienstadt eine Hachscharah, eine landwirtschaftliche Vorbereitung fiir Palastina. Nach der kommunistischen Machtübernahme in der Tschechoslowakei wanderte das Paar 1949 nach Israel aus. Otto wurde zuerst Landarbeiter in einem Kibbuz, später Englischlehrer; er war bei den Schülern sehr beliebt. Nach seinem Studium der Grafologie an der Universität Tel Aviv arbeitete er auch als Grafologe. Als Ota B. Kraus schrieb er Romane, von denen einige ins Englische übersetzt wurden. Sein Roman über das Familienlager in Auschwitz, Die bemalte Wand, erschien 2002 posthum auch in deutscher Übersetzung. Er starb im Jahr 2000. Das Leben im Kibbuz war für Dita gewöhnungsbedürftig: “Kibbuzmitglieder benutzten selbst in strömendem Regen keinen Regenschirm, das galt als unnötiger Luxus. Sie lehnten jegliche höfliche Umgangsformen ab, die sie früher vielleicht einmal gelernt hatten.” Auch Dita wurde wie ihr Ehemann Lehrerin. Ab 1990 besuchte das Paar regelmäßig Prag. Sie kauften sich in der Stadt eine kleine Wohnung; Dita Kraus schreibt: “Meine Wurzeln liegen nicht Bei der vorliegenden Publikation in italienischer Sprache handelt es sich um die Dokumentation einer Veranstaltung, die im Februar 2017 an der universitären Abteilung für Psychische Gesundheit in Udine stattfand. Anfang der 2000-er Jahre wurde der damalige Leiter des Psychiatrischen Dienstes und frühere Mitarbeiter Franco Basaglias, Mario Novello, mit einer Anfrage befasst. Es ging um das Schicksal von acht ehemaligen PatientInnen des Psychiatrischen Krankenhauses in Udine. Sie waren im Jahr 1940 im Zuge der Option zuerst in die Psychiatrie nach Pergine und von dort aus weiter nach Zwiefalten transportiert worden. Die Recherchen zu den Personen waren Anlass zu öffentlichen Auseinandersetzungen mit einer bisher wenig erforschten Geschichte, nämlich jener von Opfern der NS-”Euthanasie” in Italien. ' Dabei handelte es sich vor allem um jüdische PatientInnen, die aus den Krankenhäusern abgeholt und deportiert wurden, wie dies in Triest und anderen Städten geschah. Im vorliegenden Fall geht es um acht nichtjüdische Menschen aus dem Kanaltal, dem Nonstal und aus der Steiermark, deren Familien im Zuge der Option die deutsche Staatsbürgerschaft “gewählt” hatten und nach Kärnten, in die damalige “Ostmark”, gezogen waren. Aus den Krankenakten geht hervor, dass sie alle aus einfachen Verhältnissen kamen. Eine weitere Gemeinsamkeit war, dass sie alle am 24. Mai 1940 in die Psychiatrische Anstalt nach Pergine bei Trient verlegt wurden. Recherchen in den Krankenakten in Zwiefalten ergaben, dass diese Männer und Frauen im Alter zwischen 16 58 _ ZWISCHENWELT und 46 Jahren nicht im Zuge der “Aktion T 4” ermordet wurden, mehrere von ihnen aber wahrscheinlich Opfer der sog. “dezentralen Euthanasie” geworden sind. So wie die SüdtirolerInnen waren auch Angehörige der deutsch- und slowenischsprachigen Minderheit im Trentino, in Belluno und in Udine im Jahr 1939 optionsberechtigt. Die OptantInnen waren von der “Aktion T 4” ausgenommen. Man fürchtete im Fall der Ermordung Angehöriger ungünstige Auswirkungen auf das Optionsergebnis. Als aber die Abwanderungszahlen der OptantInnen zurückgingen, benutzte man die in Institutionen untergebrachten armen, alten, kranken und behinderten Personen, um die Abwanderungszahlen für die Umsiedlung zu erhöhen. Dazu gehörten AltersheimbewohnerInnen in Südtirol ebenso wie die in der Psychiatrie in Pergine untergebrachen Personen. ? Die acht KanaltalerInnen blieben nur wenige Tage in Pergine, sie befanden sich im großen Transport der Südtiroler Kranken, der am 26. Mai 1940 von Pergine nach Zwiefalten in BadenWürtemberg ging. Die PatientInnen kamen aus den Anstalten in Pergine und Nomi bei Rovereto, aus Stadlhof und eben aus Udine. 160 Männer und 139 Frauen, — die meisten im Alter zwischen 40 und 50 Jahren — wurden von über 40 PflegerInnen und weiteren Personen begleitet, die später von dem Transport berichteten. Viele der Kranken waren verängsügt, sie wussten nicht, was mit ihnen geschah. Weder sie selbst, noch ihre Angehörigen wurden von der Verlegung an einen 500 km entfernten Ort informiert. Die Organisation des Transports verlief chaotisch mehr in Tschechien, aber ich kann auch nicht behaupten, dass ich mich in Israel verwurzelt fühle. Ich mag den Charme von Prag und die tschechische Landschaft, aber genauso liebe ich in Israel den See Genezareth und das Mittelmeer, in dem ich im Sommer jeden Morgen baden gehe.” Die englische Ausgabe ihrer Erinnerungen erschien unter dem Titel The Librarian of Auschwitz, auf einer meiner letzten Reisen habe ich es am internationalen Flughafen Warschau erworben. Die deutsche Ausgabe wurde von der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten herausgegeben und enthält Nachworte der Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft Carola Veit und von Detlef Garbe und Jens-Christian Wagner von den Gedenkstätten. Evelyn Adunka Dita Kraus: Ein aufgeschobenes Leben. Kindheit im Konzentrationslager— Neuanfang in Israel. Aus dem Englischen von Cornelius Hartz. Göttingen: Wallstein Verlag 2020. 487 S. € 25,70 und in großer Hast. Lechner schreibt, es sei angebracht, hier nicht von einer Auswanderung im Zuge der Option sprechen, sondern von einer Deportation.’ Die fünf Männer und drei Frauen aus dem Psychiatrischen Krankenhaus in Udine waren: Olga W,, geb. 1916 in Fondo im Nonstal im Trentino, war zum Zeitpunkt der Deportation 24 Jahre alt; Margaretha T., geb. 1912 in Mariahof, Steiermark, 28 Jahre; Emilia M., geb. 1894 in Tarvisio— Klein-Greuth/ Rutte Piccolo, 46 Jahre; Eduardus T., geboren 1923, gehörlos, in Malborghetto Valbruna, 16 Jahre; Robert P, geb. 1920 in Tarvisio/Tarvis/Trbiz — Weissenfels/Fusine Valromana, 20 Jahre; Josef S., geb. 1898 in Tarvis — Camporosso/ Saifnitz/Zabnice, 42 Jahre; sein Bruder Valentin S.,. geb. 1896 ebenfalls in Camporosso, 44 Jahre; Joseph Franz T., geb. 1894 in Tarvis, war 1940 46 Jahre. Während einige der erkrankten Männer verheiratet waren und Familie hatten, waren die drei Frauen ledig. Sie alle waren mehrsprachig und hatten eine geringe Schulbildung. Oft waren die Mütter bereits verstorben und die Familienverhältnisse desolat. Einige lebten vor ihrem Abtransport zum Teil bereits jahrelang in verschiedenen psychiatrischen Einrichtungen. Die in der Steiermark geborene Margaretha lebte vor ihrer Aufnahme ins Krankenhaus bereits länger in Oberitalien, ihr Vater lebte in Albanien. Olga, die vor ihrer Psychiatrisierung in einem von geistlichen Schwestern geleiteten Heim